Chapter 10 - Special

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Ich schlug die Augen auf. Die Luft war warm und ein paar Sonnenstrahlen blendeten mich. Seufzend richtete ich mich auf und lief leise die Wendeltreppe nach unten, um Fiona und Marcus nicht zu wecken, die noch schliefen.

Natürlich, immerhin hatten wir erst 6:15 Uhr am Sonntag morgen!

Als ich mir einen Apfel aus der Obstschale in der Küche fiel, fiel mein Blick auf ein Foto. Es zeigte Fiona, Marcus und mich am Strand auf Gran Canaria. Wir lachten glücklich in die Kamera und die Erinnerungen brachte mich erneut zum Grinsen. Es war ein unvergesslicher Urlaub gewesen, ich war 16 Jahre alt gewesen und es war kurz nach der Versteigerung gewesen. Fiona hatte mich mitgenommen, und obwohl Marcus mich am Anfang eher Angst vor mir gehabt hatte, hatten sie mich komischerweise gut behandelt. Ich glaube, das lag daran, dass Fiona keine Kinder bekommen kann und mich als eine Art Ersatz ansah.

Obwohl es mir ziemlich gut ging, fragte ich mich oft, was mit Alaska passiert war. Ich glaubte kaum, dass sie das selbe Glück wie ich hatte, und bei netten Menschen gelandet ist. Es frustrierte mich, dass ich keine Ahnung hatte wo sie war, wie es ihr ging, oder ob sie überhaupt noch am Leben war.

Ich nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit warmen Wasser, das ich in einem Zug herunter kippte. Auch wenn das Wetter gestern ziemlich schlecht gewesen war, schien die Sonne heute wieder und das Thermometer an der Terrasse zeigte 23 Grad. Hoffentlich blieb es noch eine Weile warm, denn ich konnte Kälte nicht ausstehen.

Gut gelaunt ging ich in den Garten und blieb dann abrupt stehen. Hier war jemand! Jemand, der hier nicht sein dürfte!

Langsam und aufmerksam drehte ich mich ein paar mal um mich selbst und ging dann auf den Pavillon zu. Vorsichtig schob ich mich weiter nach vorne... und erstarrte. Vor mir, auf dem Sofa, lag Alaska. Sie schlief, wachte jedoch auf, als ich zurück stolperte und gegen den Tisch stieß, der durch den heftigen Ruck umkippte und dabei ziemlich Lärm machte.

Wie ein Pfeil schoss sie in die Höhe und hockte in der nächsten Sekunde lauernd vor mir. Wie ein Tiger, der gleich zum Sprung ansetzen würde. Ich brachte nur ein kratziges „Alaska..." hervor, doch das genügte anscheinend, denn im nächsten Moment starrte sie mich entgeistert an. Sie schien mich zu erkennen. Dann stand sie auf. Wie zu Eis erstarrt starrten wir uns an, ohne, das irgendwer etwas sagte. Ich bemerkte, wie eine kleine Träne an ihrer Wange herunter rollte. Dann sprang sie auf mich zu und umarmte mich. Sie schluchzte stumm und auch ich musste schlucken. Wie konnte sein sein, dass sie auf einmal bei uns im Garten auftauchte?

„Ich... hab dich vermisst!", flüsterte ich ihr ins Ohr. Irgendwann beruhigte sie sich und sagte leise: „Ich dachte, du hättest mich vielleicht vergessen..."

Ich sah sie entsetzt an. „Dich vergessen? Niemals!"

Dann lächelte auch sie und ich betrachtete sie genauer. Sie war nicht mehr so klein wie früher. Ihre silberweißen Haare waren gewachsen und fielen ihr nun bis weit in den Rücken und ihre eisblauen Augen strahlten wie früher. Auch wenn sie eigentlich genauso aussah wie ich sie in Erinnerung hatte, hatte sie sich irgendwie verändert. Sie sah erwachsener aus. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

„Wie kommst du hier her?", fragte ich schließlich. Sie schaute einen unbestimmten Punkt am Horizont an. Dann wieder mich. „Ich bin weggerannt. Harry Embrass hat mich wieder geschlagen, weil mir ein Teller auf den Boden gefallen ist."

Ich bemerkte, wie es in mir zu brodeln begann. Wie konnte man Alaska schlagen? Aber es waren eben Menschen, die nicht begreifen wollten, dass wir mal welche von ihnen gewesen waren. Ihre Frage riss mich aus meinen Gedanken: „Sind deine Menschen auch so schlimm?"

Ich schüttelte den Kopf und erzählte ihr alles. Wie Fiona auf Marcus eingeredet hatte, ihn schließlich überzeugen konnte, wir zusammen Urlaub gemacht hatte, dass ich hier mein eigenes Zimmer hatte, und dass ich einfach wie jemand behandelt worden war, der jemandem etwas bedeutete. Als ich endete, schaute Alaska mich aus großen Augen an. „Das... ist krass...", meinte sie dann.

„Dich beschäftigt doch noch etwas, oder?", fragte ich.

Sie schien zu überlegen, doch dann nickte sie. „Ich habe gestern Abend ein Mädchen gesehen, vor dem Haus dahinten. Sie konnte ihr Aussehen ändern. Wie heißt sie?"

Ich musste nich lange nachdenken, denn ich wusste, wen sie meinte. „Das ist Hope. Sie lebt noch nicht lange bei den Zanes. Ich habe einmal mit ihr gesprochen, als die Zanes bei uns zu besuch waren." Die Erinnerung daran war nicht gerade schön, denn Emily und John gehörten zu den Leuten, die Mutanten abgrundtief hassten. Hope war sehr schüchtern gewesen, hatte nur in einer Ecke gesessen und an die Wand gestarrt.

„Damals habe ich ihr ein Versprechen gegeben: Wenn ich irgendwann gehen sollte, dann nehme ich sie mit!"

Alaska sah mich an, als würde es in ihrem Kopf rattern. Doch sie schien unzufrieden zu sein, denn sie schien wohl nicht auf das gewünschte Ergebnis zu kommen. „Hrmpf...", grummelte sie.

„Was willst du jetzt machen?", fragte ich nach kurzem Zögern. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung!"

„Fiona und Marcus würden dich bestimmt bei sich aufnehmen... Ich könnte sie fragen...", schlug ich vor. Zweifelnd sah sie mich an. „Glaubst du wirklich?"

Ich konnte ihr Misstrauen gegenüber Menschen sehr gut nachvollziehen, immerhin Tate dieser Harry Embrass sie geschlagen, doch ich wollte nicht, dass sie ging!

„Hör auf mich mit diesen Welpenaugen anzusehen!", fuhr sie mich im nächsten Moment an, grinste aber dabei. Dann nickte sie. „Okay..."

Mir war die Erleichterung wohl anzusehen, denn die boxte mir gegen die Schulter, bevor sie mir geräuschlos zum Haus folgte. Vor der Terrassentür blieben wir stehen.

„Bereit?", fragte ich. Sie schüttelte heftig den Kopf. „Nein!" Doch dann schluckte sie, holte tief Luft und machte einen Schritt nach vorne.


Alaska︱✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt