Kapitel 3

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"Wer verdammt nochmal war das?", kam es von Mark. Alle konnten nicht glauben, dass Biggi heute schon zum zweiten Mal und diesmal noch schlimmer ausgerastet war. Aber sie erkannten, dass sie irgendwo nicht ganz Unrecht hatte.
"Das wollte ich wirklich nicht.", flüsterte Karin, die nun Schuldgefühle verspürte und zum Fenster lief. Sie sah wie Biggi ihren Helm vom Lenker ihres Motorrads nahm. "Sie will jetzt ernsthaft noch fahren!", stellte sie erschrocken fest. "Enrico, geh und halt sie auf!" Aber Biggi war auf Enrico auch nicht wirklich gut zu sprechen, weshalb Peter sich bereit erklärte Biggi aufzuhalten. Er hatte die ganze Zeit über nichts mehr gesagt. Schnell ging er nach draußen zu Biggi, sie durfte so aufgebracht keinesfalls mit dem Motorrad wegfahren.
"Biggi, hey!", rief Peter. Aber Biggi ignorierte ihn zunächst und drehte den Schlüssel um, um das Motorrad zu starten. So hörte sie Peter erst wieder, als er unmittelbar neben ihr stand und den Schlüssel einfach abzog. "Geht's noch?!", schrie Biggi und nahm ihren Helm nochmal ab. "Schau das du meine Schlüssel raus rückst, Berger!" Doch Peter dachte nicht daran. "Vergiss es, Schwerin!", entgegnete er genauso bissig wie seine Kollegin. "Ich will nach Hause, das wollt ihr doch alle!", protestierte Biggi. "Ich bring dich nach Hause, du fährst in deinem Zustand bestimmt nicht selbst! Ich hab keinen Bock deine Überreste hinter der ersten Kurve da vorne von der Straße zu kratzen, weil du gefahren bist wie Kamikaze!", stellte Peter klar. "Entweder du fährst mit mir oder du rufst dir ein Taxi oder sonst was. Aber selber fährst du jetzt nicht! Was mit deiner Hand sowieso schwierig werden könnte." Peter steckte die Schlüssel von Biggi demonstrativ in seine Hosentasche, sie kam nicht mehr an sie ran.
"Wenn's sein muss.", gab Biggi schließlich nach und hängte ihren Helm wieder an den Lenker des Motorrads. Zu zweit gingen sie dann weiter zu Peters Auto. Karin war erleichtert als sie sah, dass Biggi bei Peter mit einstieg und doch nicht ihr Motorrad nahm. "Ich bin zu weit gegangen.", seufzte die Notärztin und setzte sich auf die Couch, um dort den Kopf in den Händen zu vergraben. Gina setzte sich neben sie und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. "Es war richtig. Sie hätte so nicht fliegen können, auch wenn sie noch so fest davon überzeugt ist."
Peter fuhr derweil vom Parkplatz. Biggi zitterte am ganzen Körper und konnte nicht glauben, dass sie gerade vor ihren gesamten Kollegen und Freunden die Fassung verloren hatte. Es war als hätte sich plötzlich ein Schalter in ihrem Kopf umgelegt, als wäre eine Sicherung durchgebrannt und hatte sie zu diesem schrecklichen Verhalten verleitet. Wie bereits bei der Auseinandersetzung mit Jens war sie gerade auch nicht sie selbst gewesen.
"Wieder beruhigt?", fragte Peter nach ein paar Minuten schweigender Fahrt. Biggi antwortete nicht, sondern beobachtete durch die Scheibe neben sich die vorbeiziehende Landschaft. Im Radio lief leise Musik, trotzdem war es im Auto wieder still.
Peter gefiel das gar nicht, das ließ ihn nur unruhig werden. "Ich weiß noch ganz genau was vor einem Jahr passiert ist.", sagte er schließlich. "Und daran zu denken tut weh. Biggi, ich weiß wie du dich fühlst." Biggi sah zu ihrem Kollegen hinüber und sah den Schmerz in seinen Augen. "Es tut mir leid, Peter.", sagte Biggi aufrichtig. "Ich hätte mich zurückhalten müssen, aber ich konnt's nicht mehr." Biggi bereute ihre Behauptungen. "Du musst dich nicht entschuldigen.", antwortete Peter. "Irgendwo hast du ja auch recht. Ich hab auch das Gefühl, dass es den anderen nicht so viel ausmacht. Dabei gehen wir einfach unterschiedlich damit um, das ist alles."
Biggi nickte und blickte wieder aus dem Fenster. "Ich wollte eigentlich noch zum Friedhof.", sagte sie leise. "Ich auch.", erwiderte Peter. "Wenn du magst, dann fahren wir einen kleinen Umweg und schauen da vorbei.", schlug Peter vor. "Wenn du ne Furie wie mich dabei haben willst." Peter lächelte leicht. "Es gibt im Moment keinen mit dem ich lieber hinfahren würde, um ehrlich zu sein.", gab er zurück. Die Beiden machten sich also auf den Weg zum Friedhof.
Vorher bat Biggi Peter aber noch an einem kleinen Blumenladen zu halten. "Bin gleich wieder da.", teilte sie ihm mit und stieg aus. Als sie den Laden betrat, klingelte oberhalb der Tür ein kleines Glöckchen. Hinter dem Tresen tauchte eine junge Frau auf. "Hallo, kann ich ihnen helfen?", fragte sie Biggi. Doch die Pilotin wusste bereits genau, nach was sie suchte. Sie ging zu der Ecke mit den Rosen. Es gab sie in allen möglichen Farben, doch Biggi brauchte keine rosanen oder gar blau eingefärbten. Sie suchte einmal die drei schönsten gelben Rosen aus und die drei roten, die am größten und schönsten blühten. Damit kehrte sie zur Kasse zurück, um sie zu bezahlen. "Passend zum Outfit.", meinte die Verkäuferin lächelnd und Biggi sah an sich hinunter. Sie trug noch ihren Overall. Sie bezahlte die Blumen und nahm sie mit, ohne irgendeine Verpackung. Sie brauchten sie immerhin gleich, da wäre es überflüssig gewesen sie einpacken zu lassen.
"Hübsch.", sagte Peter, als Biggi mit den Blumen wieder einstieg. "Ich würde gerne erst zu Gabi.", meinte Biggi. "Wir machen das jetzt wie du willst.", antwortete Peter. Die restliche Fahrt über schwiegen sie. Peter parkte auf dem Parkplatz vorm Friedhof und die beiden stiegen aus. "Was möchtest du haben? Rot oder gelb?", fragte Biggi ihn. "Ich nehme das, was übrig bleibt." Biggi sortierte die Rosen nach Farben und gab Peter die drei gelben. Vor dem Torbogen, der den Eingang des Friedhofs darstellte, blieben die Zwei nochmal stehen.
"Wie oft ich selber schon hier gelandet wäre.", dachte Biggi laut. Dabei dachte sie an den Absturz, an den Einsatz als ein kleines Mädchen und sie in den Katakomben einer Fabrik eingeschlossen gewesen waren, an die Bombe die man einmal am Heli angebracht hatte und an noch ganz viele andere Dinge. Auch Peter konnte davon ein Lied singen, wenn es darum ging wie oft er dem Tod schon ins Auge geblickt hatte. Nur waren sie ihm immer wieder entwischt, Gabi und Thomas nicht. Und Michael war damals auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, hätte er den Mord an einem Patienten nicht beobachtet wäre das alles nie passiert. Er hätte nie in den Zeugenschutz aufgenommen werden müssen und Thomas wäre beim Versuch ihn zu retten nicht umgekommen. Es wäre vermeidbar gewesen. Gemeinsam gingen Biggi und Peter dann erstmal zu Gabrieles Grab, das es hier schon länger gab das von Thomas und das gefälschte von Michael. Biggi legte als erste eine ihrer Rosen nieder und sagte etwas, Peter verstand sie jedoch nicht. Anschließend legte er eine gelbe Blume hinzu und nach ein paar Minuten des Gedenkens machten sie sich auf zu den anderen Gräbern.
Ihnen fiel auf, dass der Friedhof heute ziemlich leer war. "Wann warst du das letzte Mal hier?", fragte Peter. "Vor ein paar Tagen. Je nachdem wie es die Schichten zulassen bin ich hier ein- bis zweimal die Woche. Du?" Peter zuckte mit den Schultern. "Ehrlich gesagt weiß ich es nicht mehr. Stella sagt zwar immer ich soll gehen, aber.. ich weiß nicht, hier kommen immer so viele Erinnerungen hoch.. noch mehr als eh schon. Ist dann kaum auszuhalten." Biggi konnte genau nachvollziehen was er meinte.
Es dauerte nicht lange, bis sie die anderen zwei Grabstätten erreichten. Biggi spürte, wie der Schmerz in ihrem Brustkorb schlimmer wurde. Als würde man ihr, mit jedem Schritt den sie näher kam, ein Stück weiter die Luft abschnüren. Sie erblickte das Kreuz und hielt inne.
"Heute fällt es mir irgendwie schwerer als sonst.", gab Biggi zu. "Ist auch kein Tag wie jeder andere." Auch Peter fiel es schwer, die letzten Schritte zu gehen. Aber für Biggi wollte er stark sein und zeigte es nicht. Keine Ahnung warum, aber irgendwie hatte er das Gefühl das sie eine besondere Verbindung zu Thomas hatte. Schon vor seinem Tod. Er konnte oder wollte es nur nicht so wirklich glauben und Biggi danach fragen erst recht nicht.
Sie gingen schließlich die letzten paar Schritte und standen vor den zwei Gräbern, die in ein paar Tagen ebenfalls ein Jahr bestehen würden. Als Zeichen der Loyalität legte Biggi die zweite von ihren drei roten Rosen auf das Grab von Michael. Sie hatte ihn selbstverständlich nicht vergessen, aber bei Thomas saß der Schmerz des Verlustes einfach tiefer. Weil Michael war nicht tot.
Auch Peter legte nun eine gelbe Rose hinzu und trat zurück. "Wenn ich damals gegangen wäre, um das Insulinset des Patienten den Ärzten zu bringen, dann wäre Michael nie in das Visier der Russen geraten." Insgeheim gab Peter sich nämlich die Schuld an allem. "Und dann?", fragte Biggi ihn. "Dann hätten die dich gejagt und das wäre wohl kaum besser gewesen!", machte Biggi ihrem Kollegen klar. "Nein, aber für mich leichter zu verkraften als das hier.", antwortete Peter.
Biggi fühlte sich plötzlich wie damals bei Gabi, als Ralf an den Schuldgefühlen fast zerbrochen wäre und sie ihn mit der Waffe des kleinen Jungen die er vom Einsatzort mitgenommen hatte in einem Raum des Krankenhauses erwischt hatte. Da war Gabriele kurz vorher verstorben und Biggi hatte das schlimmste befürchtet. Sie ging zu Peter und nahm ihn fest in den Arm.
"Sag das nie wieder!", flüsterte sie den Tränen nahe. "Ich will das aus deinem Mund nie mehr hören, verbann diese Gedanken  bloß aus deinem Kopf!"Peter erwiderte die Umarmung, ohne etwas zu sagen. "Sag das nie, nie wieder! Ich will keinen mehr verlieren, es reicht! Es reicht, es reicht!"
Lange standen sie umschlungen da. Es tat beiden ziemlich gut, da sie sich vom jeweils anderen verstanden fühlten. Nachdem sie sich wieder los gelassen hatten, legten sie die beiden letzten Rosen auf Thomas' Grab nieder.
Biggi war wirklich zum Heulen zumute, aber es ging nicht. Ob es an Peter lag wusste sie nicht, aber auch wenn ihre Augen mit Tränen gefüllt waren konnte sie nicht weinen. "Fährst du mich jetzt bitte nach Hause?", fragte Biggi Peter schließlich. "Sicher, Stella wird auch schon auf mich warten." Arm in Arm liefen sie zurück zum Ausgang und stiegen dann wieder ins Auto. Biggi merkte wie müde sie sich eigentlich fühlte und war froh, sich gleich ins Bett legen zu können. Vielleicht war das mit den paar freien Tagen doch nicht so schlecht, obwohl sie wirklich Angst hatte und keine Ahnung hatte wie sie sie verbringen sollte.
Peter wusste den Weg zu der neuen Wohnung von Enrico und Biggi noch, er hatte wie seine anderen Kollegen beim Umzug geholfen. Er hielt genau vorm Eingang des Hauses. "Danke fürs Fahren.", sagte Biggi. "Gern geschehen." Die beiden nahmen sich nochmal fest in den Arm. "Wir sehen uns nach deinem Zwangsurlaub.", sagte Peter. "Ja." Mehr konnte Biggi gerade nicht sagen. "Komm gut nach Hause und grüß Stella und den Knirps von mir." Peter versprach ihr dies zu tun, gab ihr noch ihre Schlüssel zurück, dann stieg sie aus. Peter blieb noch stehen und blickte ihr hinterher, selbst als sie bereits durch die Haustür verschwunden war. Er fühlte sich nicht ganz wohl dabei Biggi alleine zu lassen. Aber dann fuhr er doch los.
Biggi war inzwischen vor der Wohnung angekommen und schloss die Tür auf. Noch immer fühlte es sich nicht an wie nach Hause kommen. Ungefähr drei Monate wohnte sie mit Enrico nun hier und alles wirkte so fremd. Als gehörte sie nicht hierhin. Biggi stand im Flur und konnte erstmal nicht weiter gehen. Plötzlich fühlte sie sich so alleine, so schwach, so verloren. Sie ließ sich vor der Wohnungstür nieder, zog die Beine an den Körper und ließ den Tränen nun freien Lauf.
Eine Weile saß sie schließlich so da. Weinte die Tränen, die sie seit vorhin so krampfhaft zurückgehalten hatte. Nur ihr lautes Schluchzen durchbrach alle paar Sekunden die erdrückende Stille. Sie bedauerte den Tod von Thomas, die Beziehung zu Enrico, den Verlust anderen  Kollegen, regelrecht ihr ganzes Leben und somit sich selbst. Warum hatte er sie nicht gewollt? Warum hatte sie ihn so schnell aufgegeben? Viele dieser Fragen schwirrten Biggi durch den Kopf. Als ihre Kräfte weniger wurden hörte sie auch auf zu weinen. Das Schluchzen jedoch hielt an und Biggi blieb weiterhin sitzen. Sie glaubte nicht die Kraft zum Aufstehen aufbringen zu können.
Als plötzlich ihr Handy klingelte zuckte sie zusammen. Eine Nachricht von Enrico, das erkannte sie am Klingelton. Es kostete sie Überwindung in ihre Jackentasche zu greifen. Ihre Augen taten ihr vom Weinen so weh, dass das Licht des Displays sie blendete. 'Ich hoffe du bist gut zu Hause angekommen. Es tut mir leid was eben passiert ist und den Kollegen auch. Höppler konnte mit Rosenheim aushandeln, dass sie ab 18 Uhr unsere Einsätze übernehmen. Bedeutet ich komme früher nach Hause, gehe vorher noch was einkaufen und wir können was zusammen kochen. Haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Ich liebe dich!', las Biggi und sah auf die Uhr. Es war 17:47 Uhr. In ungefähr einer Stunde würde er hier sein und das obwohl Biggi gehofft hatte ihre Ruhe zu haben. Aber gleichzeitig fiel ihr auf, dass sie eineinhalb Stunden auf dem Boden sitzend verbracht hatte. Sie erhob sich nun, auch wenn es dauerte bis sie sicher auf den Beinen stand. Sie wollte ins Bett, vielleicht konnte sie so dem Abend mit Enrico entgehen.
Um ins Schlafzimmer zu gelangen musste sie durchs Wohnzimmer und stolperte dort erstmal über Enricos Schuhe. Den Aufprall auf dem Laminat konnte sie gut abfangen, auch wenn das noch mehr Schmerzen in ihrer Hand verursachte. Sie rappelte sich auf, hob die Schuhe auf und spürte erneut eine unglaubliche Wut. Biggi schleuderte die Schuhe anschließend einzeln durch den Raum. Mit dem ersten traf sie noch die Wand, mit dem zweiten eine Vase die klirrend am Boden zu Bruch ging. Und dabei sollte es nicht bleiben.
In Biggis Inneren brodelte es und wieder war es so, als würde sich irgendein Schalter umlegen und sie ausflippen lassen. Diesmal jedoch um einiges heftiger und diesmal auch nicht verbal, da sie nun Taten sprechen ließ. Das Klirren den Scherben war wie Musik in ihren Ohren gewesen und sie wollte mehr davon, weshalb sie die Vase vom Wohnzimmertisch packte und auf den Boden donnerte. Sie zersplitterte ebenfalls in hunderte Teile, das darin enthaltene Wasser bildete eine Pfütze auf dem hellen Boden und die Blumen lagen nun einfach daneben. Aber es machte Biggi nichts aus, im Gegenteil, es war irgendwie befreiend. Daraufhin schnappte sie sich die Fernbedienungen und warf diese herum. So ging es weiter. Selbst vor dem Fernseher machte sie nicht Halt, sie verpasste ihm einen Tritt und er fiel erst um und dann vom Schrank. Die Bilder an der Wand blieben ebenfalls nicht verschont. Eins nach dem anderen nahm Biggi ab und warf es zu Boden. Das tat sie mit allem was sie zu fassen kriegte. Wahllos wählte sie die Gegenstände aus, der Wert war ihr im Moment gleichgültig. Auch das Enrico gleich nach Hause kommen würde interessierte sie nicht im geringsten. Nachdem das Wohnzimmer aussah wie eine Müllhalde ging es in der Küche weiter. Biggi tobte lange und sah nicht ein aufzuhören. Den Blick für die Realität hatte sie längst verloren.
Was Enrico konnte, das konnte sie schon lange und außerdem viel besser. Mit jedem Teil das sie umher warf schrie sie ihren Schmerz heraus, ihre Verzweiflung, ihre unbändige Wut. Innerhalb der kurzen Zeit hatte Biggi die von ihr mühevoll eingerichtete Wohnung in ein Schlachtfeld verwandelt. Alles hatte sie überwiegend selbst eingerichtet, Enrico war meistens nur im Weg gestanden oder hatte etwas in den Weg gestellt. Und dann fasste Biggi einen Entschluss. Sie würde gehen, heute noch, sofort. Sie hielt es keinen Tag länger aus. Ob sie Enrico damit verletzte oder nicht, das war ihr nun gleichgültig. Jedenfalls im Zustand dieser abnormalen Wut. Ob sie litt, das war ihrer Ansicht nach auch jedem egal und ihr reichte es. Sie wollte nicht länger in einer Beziehung gefangen sein, die ihr nicht gut tat, in der sie sich fühlte wie ein Vogel im goldenen Käfig.
Enrico parkte vorm Haus, in dem sich die Wohnung von Biggi und ihm befand und stieg aus. Er hatte sich extra beeilt und war in Windeseile mit dem Einkaufen fertig gewesen. Nun freute der Sanitäter sich auf einen ruhigen Abend mit seiner Freundin und hoffte sie ein wenig ablenken zu können. Beziehungsweise sie ein wenig beruhigen zu können, da er ja mitbekommen hatte das ihr der geschenkte Urlaub gar nicht passte. Enrico nahm sich aber fest vor ihr die Zeit zu Hause so angenehm wie möglich zu machen. Zumal er seit einiger Zeit schon versuchte sie davon zu überzeugen ein Baby zu bekommen und er hatte die Hoffnung, dass es inzwischen geklappt hatte oder bald klappen würde weshalb Biggi sich so schon mal ans zu Hause bleiben gewöhnen konnte. Manchmal musste man ihr zu ihrem Glück verhelfen, das wusste er und hatte deshalb Vorkehrungen getroffen.
Der Sanitäter holte noch die Tüten aus dem Kofferraum, schloss das Auto ab und ging ins Haus. Das eine Stockwerk hatte er schnell überwunden und war erstaunt, als er vor seiner Wohnungstür zwei Nachbarinnen stehen sah. Sie lauschten offensichtlich an der Tür. "Entschuldigung?" Die Damen fuhren erschrocken herum. "Was tun sie da?", wollte Enrico wissen. Die Frauen fühlten sich sichtlich ertappt. "Wir.. Naja, wir.. Also..", stammelte die eine. "Wir haben da so ein Scheppern und Schreien aus ihrer Wohnung gehört, da wollten wir nachsehen was los ist. Wir waren auch kurz davor die Polizei zu rufen.", erklärte letztendlich die andere. Enrico wusste damit nichts anzufangen, lauschte dann aber selbst. Er hörte nichts.
"Ich weiß ja nicht was sie gehört haben wollen, aber ich höre überhaupt nichts.", meinte Enrico. "Aber wir sind uns sicher, das kam aus ihrer Wohnung.", beharrte die eine Frau. Allerdings bat Enrico sie zu gehen und konnte immer noch nicht nachvollziehen wie sie auf eine so absurde Idee gekommen waren beziehungsweise was sie gehört haben wollen. Doch das sollte sich gleich ändern, sobald er die Wohnung betrat. Enrico öffnete die Wohnungstür und trat gleich auf irgendetwas, das dort nicht liegen sollte. Beinahe hätte er vor Schreck die Tüten fallen lassen, der Flur war komplett verwüstet, überall lagen Sachen herum.
Dem Sanitäter kamen gleich die absurdesten Gedanken. Ein Einbruch oder irgendwas dergleichen. Enrico ließ nun wirklich die Tüten fallen. "Biggi?!", rief er. Aber eine Antwort bekam er nicht. "Biggi, wo bist du?!" Wieder keine Reaktion. Doch dann hörte er plötzlich eine Art würgen, das ganz deutlich aus dem Badezimmer kam.
Biggi war gerade dabei gewesen ihren Koffer zu packen, als ihr schlecht geworden war und sie hatte ins Bad rennen müssen. Enrico stieg über die Scherben und Trümmer hinweg, um zum Badezimmer zu gelangen. Nun hörte er es ganz deutlich und es war definitiv Biggi. Langsam öffnete er die Tür. Biggi kniete vor der Toilette und musste sich gerade erneut übergeben. "Schatz, hey!" Enrico war erleichtert sie unversehrt vorzufinden, zumindest nicht irgendwie niedergeschlagen oder sonst in irgendeiner Form die auf einen Einbruch hindeutete. Aber das musste bedeuten, dass Biggi das Chaos verursacht hatte. Er konnte es erstmal nicht so wirklich glauben oder er wollte es eher nicht glauben, aber eine andere Erklärung gab es nicht.
Bis er Biggi aber fragen konnte musste er sich erstmal um sie kümmern, weshalb er sich neben sie auf den Badewannenrand setzte und sie an der Schulter berührte. Sie fuhr zusammen. "Ist dir nicht gut?", fragte Enrico besorgt. "Das kann dir doch scheiß egal sein!", pampte Biggi ihn an und unterdrückte den Brechreiz der erneut aufzusteigen drohte. Sie hätte schon längst weg sein können, wenn das jetzt nicht dazwischen gekommen wäre. "Es ist mir aber nicht egal.", erwiderte Enrico ganz ruhig. "Das ist bestimmt die Aufregung. Komm, ich mach dir einen Tee und dann kannst du dich ein wenig hinlegen.", schlug er vor. "Oder du könntest mir einfach meine Ruhe lassen!" Biggi riss ein Stück Papier ab, machte sich damit den Mund sauber und warf es in die Toilette um alles hinunter zu spülen. Dann stand sie mit wackeligen Beinen auf und schleppte sich zur Tür.
Enrico hatte sie einfach sitzen gelassen, jedoch folgte er ihr gleich mit Sicherheitsabstand ins Schlafzimmer. Das Wohnzimmer hatte genauso ausgesehen, genau wie die Küche in die er kurz hatte rein schauen können. Im Schlafzimmer sah er nun einen geöffneten Koffer auf dem Bett  liegen.Biggi ging zielstrebig auf den großen Kleiderschrank zu und begann Klamotten in den Koffer zu werfen. Sie achtete nicht darauf was, sondern schmiss alles einfach hinein was sie in die Hände bekam. Enrico blieb in der Tür stehen, da selbst im Schlafzimmer Spuren der Verwüstung zu sehen waren. Allerdings nicht so schlimm wie im Rest der Wohnung.
"Was tust du da?", fragte Enrico seine Lebensgefährtin schließlich. "Gegenfrage: Warum fragst du so blöd?! Du hast gesehen das ich gekotzt hab und jetzt das ich Sachen in einen Koffer packe. Folglich war mir nicht gut und jetzt packe ich, es ist genau das wonach es aussieht!" Biggi ging weiter zum Nachtschrank um diesen auszuräumen und lief dann ins Bad um wenigstens ihre Zahnbürste und ein bisschen was zum kultivieren mitzunehmen. Damit kehrte sie ins Schlafzimmer zurück. Enrico war stehen geblieben und konnte nicht glauben was gerade passierte.
"Wo willst du hin?", fragte er schließlich. "Werde ich sehen.", erwiderte Biggi tonlos. Sie durfte jetzt keine Gefühle zulassen, sie musste gehen, ansonsten schaffte sie den Absprung nie wieder. Und die Sachen zu packen fühlte sich befreiend an, weshalb sie weiter machte und den Koffer letztendlich schließen wollte. Er war so voll, dass er kaum noch zu ging und sie zu kämpfen hatte.
Enrico trat hinter sie und wollte sie aufhalten. "Jetzt lass doch den Blödsinn!", bat er sie und wollte sie vom Koffer weg ziehen. "Nein!", schrie Biggi. "Nein, ich lass es nicht!" Die Pilotin riss sich los. "Ich kann nicht mehr, verstehst du?! Ich kann das hier nicht mehr!" Enrico sah sie entsetzt an. "Was kannst du nicht mehr?" Er wollte es jetzt genau wissen, aus ihrem Mund und sie dabei ansehen. Er musste ihr in die Augen sehen, denn nur darin hatte er bis jetzt immer die Wahrheit erkannt. In diesen rehbraunen Augen, die nicht wie üblich Wärme und Liebe ausstrahlten. Im Moment erkannte er darin nur Hass und Verachtung, Schmerz und Trauer, Müdigkeit und Kraftlosigkeit. Das war nicht mehr die Biggi von damals, sie hatte sich vollkommen verändert und er hatte es die ganze Zeit über nicht wahr haben wollen.
"Antworte!", befahl Enrico, als Biggi ihn nur ansah. Mit diesem Blick, diesen Augen, er konnte es kaum ertragen. "Kannst du dir das nicht denken?", fragte Biggi ihn und wandte sich wieder ihrem Koffer zu. "Ich will es von dir hören!" Enrico packte Biggi erneut, um sie zu zwingen ihn anzusehen. Der Schreck war ihr anzusehen. "Fühlst du dich in dieser Beziehung noch wohl?", wollte Biggi von ihm wissen. "Ich mich nämlich nicht!" Enrico ließ sie wieder los. "Wir streiten uns nur noch und es geht überwiegend immer nur um das Thema Kinder. Natürlich will ich eine Familie, aber merkst du nicht das mich vollkommen unter Druck setzt? Dann deine Vorstellungen von Ordnung.. Enrico, ich bin nur dabei dir hinterher zu räumen!", hielt Biggi ihm vor.
"Und was soll ich da sagen?! Im Gegensatz zu dir habe ich niemals die gesamte Wohnung in Schutt und Asche gelegt!", stellte Enrico klar. "Die Nachbarn hätten beinahe die Polizei gerufen! Schau dir das Chaos an, du tickst doch nicht mehr ganz richtig!" Biggi war es egal, was er nun von ihr dachte. "Es war von Anfang an eine blöde Idee wieder zusammen zu ziehen!", schrie Biggi. "Ich frage mich wirklich warum ich so doof war und geglaubt habe du hättest dich wirklich geändert! Gar nichts ist passiert und wie gesagt, ich kann nicht mehr und ich will auch nicht mehr!" Biggi hievte den schweren Koffer vom Bett. "Es ist aus, Enrico! Endgültig!"
Und nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte lief sie an ihm vorbei. Den Koffer musste sie tragen, da zu viel Zeug auf dem Boden verteilt war. Sie war schon fast bei der Wohnungstür angelangt, als Enrico ihr folgte. "Das nehme ich nicht hin! Wir können das hinkriegen, wir beide zusammen! Du kannst nicht einfach abhauen und das war's dann!" Biggi wandte sich nicht mal um. "Doch, ich kann und ich werde!", rief sie. Plötzlich wurde sie von Enrico gepackt, ziemlich grob. Er wollte sie aufhalten und merkte nicht, dass er damit gerade zu weit ging. "Du bleibst hier!", schrie er und Biggi bekam nun Angst. "Lass mich sofort los!", schrie sie. "Enrico, du tust mir weh!" Erschrocken ließ er sie los. "Du spinnst doch total!", schluchzte Biggi, schnappte sich all ihre Sachen und flüchtete aus der Wohnung.
Sie hatte vor fast einer halben Stunde ein Taxi bestellt, was hoffentlich bereits auf sie wartete. Und tatsächlich stand es auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Biggi lief ohne großartig zu schauen hinüber,  der Taxifahrer stieg aus. "Schwerin?", fragte er. "Ja.", antwortete Biggi und der Fahrer nahm ihr sofort den Koffer ab der ihr sichtlich zu schwer war. Diesen verstaute er im Kofferraum. Enrico rannte nun ebenfalls die Treppe hinunter und kam ebenfalls nach draußen.
"Biggi, warte!", rief er. Doch sie dachte gar nicht daran. Schnell stieg sie vorne ins Auto ein. Der Fahrer verstaute den Koffer schnell im Kofferraum und stieg ebenfalls ein. "Fahren sie los!", flehte Biggi ihn an. Und der Fahrer erkannte, dass sie es wohl wirklich eilig hatte und fuhr augenblicklich los. Enrico konnte es nicht verhindern. "Ihr Freund?", fragte der Fahrer nach. "Ex-Freund.", berichtigte Biggi ihn und ließ sich erschöpft zurück in den Sitz fallen. Das Chaos anzurichten und der Streit mit Enrico hatten ihre letzten Kraftreserven aufgebraucht. "Ah, verstehe.", antwortete der Mann mitfühlend. "Wohin darf ich sie bringen? Zu Familie oder Freunden?", wollte er wissen. Doch Biggi hatte keine Ahnung wohin mit sich.
Ihre Familie lebte in Wien, aber da konnte sie unmöglich hin, Kontakt hatten sie seit Jahren keinen mehr. Freunde waren nur ihre Kollegen und dahin konnte sie nach der Aktion heute auch nicht, zu keinem von ihnen. Höchstens zu Peter, aber der hatte Familie und da wollte sie sich nicht auch noch ankündigen. "Ich kann zu keinem.", gestand Biggi. "Fahren sie mich bitte einfach zur Basis von Medicopter 117.", bat sie ihn nun und nannte ihm die Adresse. "Geht klar, Frau Pilotin.", antwortete er und Biggi sah ihn fragend an. "Steht auf ihrer Jacke.", erklärte der Mann lächelnd. "Ich vergesse die ganze Zeit, dass ich meine Uniform noch an hab.", antwortete Biggi. "War ein harter Tag, mh?" Biggi nickte nur.
"Und da wollen sie wirklich zurück zu ihrem Arbeitsplatz?", fragte der Fahrer zur Sicherheit nach. "Wie gesagt, ich kann zu keinem.", wiederholte Biggi ihre Worte. "Das kann ich gar nicht glauben, dass so jemand wie sie niemanden hat." Biggi schaute hinaus. "Es ist aber so."
Enrico kehrte in die Wohnung zurück, als das Taxi außer Sichtweite war. Hinterher fahren würde er ihnen auch nicht, dafür war er viel zu sauer und gleichzeitig auch entsetzt. Biggi hatte gerade tatsächlich ihre Beziehung beendet und ihm ein unglaubliches Chaos hinterlassen. Bevor er die Wohnung betreten hatte, hatte er noch die Hoffnung gehabt das man noch irgendwas retten konnte. Aber nun war der letzte Funke erloschen. Das einzige was ihm nun geblieben war, war dieser riesige Haufen von Durcheinander den er jetzt wohl aufräumen musste.
Nur wusste er nicht wo er anfangen sollte, außerdem machte er sich natürlich Sorgen um Biggi. Wohin wollte sie jetzt? Vielleicht zu Karin, aber genau konnte Enrico das natürlich nicht sagen. Und er wollte jetzt auch nicht jemanden anrufen oder irgendwas dergleichen tun. Biggi war alt genug, sie musste selbst wissen was sie tat. Sie hatte auch ohne mit der Wimper zu zucken mit ihm Schluss machen können, da sollte sie jetzt selber schauen wo sie landete.
Enrico beschloss im Schlafzimmer anzufangen, dort hatte Biggi am wenigsten gewütet. Nach und nach schaffte er dort wieder Ordnung. Unter dem Bett lagen ebenfalls Sachen, die er erstmal wieder hervor holen musste. Aber dabei entdeckte er etwas, das er noch nie bemerkt hatte. Eine kleine Kiste, ein Schuhkarton, stand unter dem Bett in der hintersten Ecke auf Biggis Seite. Der stand da nicht zufällig und offenbar war er nicht dafür bestimmt, dass Enrico ihn fand. Genau das machte ihn stutzig, weshalb er ihn hervor zog und sich damit aufs Bett setzte. Ohne groß darüber nachzudenken ob das privat war oder nicht öffnete er den Karton.
Oben drauf lag ein Buch mit der Aufschrift 'Tagebuch'. Er hatte nicht gewusst das Biggi Tagebuch schrieb, sie auch nie dabei gesehen. Sie hatte nie etwas gesagt. Aber da er seit Monaten nicht mehr wirklich wusste was in ihr vor ging konnte er der Versuchung nicht widerstehen und begann darin zu lesen. Auf jeder Seite stand dieser eine Name, oft mehrmals und die Worte verletzten ihn. Der Grund für all das hier, für Biggis Verhalten und die Trennung, für ihren Sinneswandel war ein anderer Mann. Und dieser Mann, dieser Grund hatte einen Namen. Thomas Wächter.
Auf der restlichen Fahrt zur Basis redete Biggi kein Wort mehr. Der Fahrer konnte sie verstehen und hatte Mitleid mit der jungen Frau, die offensichtlich sehr verzweifelt war. Er sah durch die Spiegelung der Scheibe, dass sie weinte. Ganz still und leise rannen die Tränen hinunter. Er war sich sicher, dass sie wohl gerade mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte. Glaubte aber auch, dass noch mehr in ihr vor ging als das. Nur ansprechen wollte er sie jetzt nicht mehr aus Angst etwas falsches zu sagen. Deshalb schwieg auch er, bis er schließlich dort an kam wo seine Kundin ihn hin geschickt hatte.
"Wir sind da.", teilte er ihr mit, als sie keine Anstalten machte auszusteigen. "Aber noch kann ich sie woanders absetzen, ohne dass ich ihnen mehr berechne. Das geht auf mich." Ihm war nicht ganz wohl dabei Biggi hier raus zu lassen, denn die Basis war offenbar geschlossen. Keine Häuser in der Nähe, keine anderen Leute. Sie war vollkommen alleine hier draußen. "Danke, aber Nein. Ich bin hier schon richtig.", antwortete Biggi und stieg aus.
Der Fahrer tat es ihr gleich, um ihr mit dem schweren Koffer zu helfen. Es dämmerte bereits und es würde nicht mehr lange dauern, bis es vollkommen dunkel war. "Falls sie es sich doch noch anders überlegen, rufen sie einfach wieder hier an." Der Fahrer gab Biggi eine Visitenkarte seines Taxiunternehmens. "Ich sag denen in der Zentrale das sie mich schicken sollen, wenn eine reizende Pilotin namens Schwerin anruft." Biggi lächelte, zum ersten Mal seit langem konnte sie aufrichtig lächeln. "Ich werde bei Bedarf darauf zurückkommen.", versprach sie ihm und nahm die Karte an sich. Der Fahrer holte noch ihren Koffer aus dem Kofferraum und Biggi holte ihren Geldbeutel hervor, um den Taxifahrer zu bezahlen. "Wie viel schulde ich ihnen?", fragte sie. "21,60. Aber nachdem ihr Tag wohl wirklich ziemlich bescheiden war, genau gar nichts." Doch das wollte Biggi nicht und holte 30 Euro heraus. "Das ist zu viel.", meinte der Fahrer. "Der Rest ist Trinkgeld. Sie waren der erste der heute nett zu mir war und der offenbar nicht denkt ich sei vollkommen  irre." Daraufhin verabschiedete Biggi sich, nahm ihren Koffer und zog ihn mit sich hinters Gebäude.
Der Taxifahrer blickte ihr nach, konnte nun aber nichts mehr tun und stieg wieder in seinen Wagen um davon zu fahren. Biggi hörte wie sich das Auto entfernte und anschließend vernahm sie nur noch das Geräusch welches die Rollen ihres Koffers machten, als sie über den Boden fuhren. Sie lief hinauf zu dem alten Heli, der schon so manchem Mitarbeiter  Zuflucht geboten hatte. Da drin konnte man super schlafen, auch ein bisschen kochen und duschen konnte sie in der Basis. Für die Zeit bis sie eine Wohnung gefunden hatte reichte es aus. Biggi wusste wo der Schlüssel versteckt war und konnte sich deshalb leicht Zutritt verschaffen. Auch hier kamen Erinnerungen hoch.
Das Essen mit Peter damals, mit diesen ungenießbaren Ravioli oder im Sommer die kleinen Feste. All das gab es seitdem Thomas und Michael fort waren nicht mehr so häufig. Es hatte sich viel verändert, zu viel.
Biggi brachte erst den Koffer hinein und ging dann selbst rein. Lange war sie nicht mehr hier drin gewesen, aber verändert hatte sich nichts. Hier würde sie nun für eine Zeit lang wohnen, auch wenn es bedeutete Enrico trotzdem jeden Tag sehen zu müssen. Aber das musste sie ja sowieso, immerhin waren sie in der gleichen Crew. Vielleicht ließ Höppler sich erweichen und gestattete, dass Peter in ihr Team wechselte. Dann hätte sie wenigstens einen, auf den sie sich verlassen konnte. Wobei sie das bei Karin genauso konnte und bei allen die neu dazu gekommen waren, war Karin die gewesen bei der es Biggi am leichtesten gefallen war sie zu akzeptieren. Die einzige mit der sie wirklich Freundschaft geschlossen hatte und die sie genauso vor den Kopf gestoßen hatte wie alle anderen.
Biggi ließ sich aufs Bett fallen. Sie war müde, aber schlafen würde sie nicht können, das wusste sie. Sie spürte ihre Hand schmerzhaft pochen, ihren Kopf ebenso und ihr Herz tat ebenfalls bei jedem Schlag furchtbar weh. Sie wollte einschlafen und am besten nie wieder aufwachen. Einfach einschlafen und in seinen Armen aufwachen, ohne Schmerzen, ohne Leid, ohne Tränen. Um bei ihm zu sein, dafür würde Biggi im Moment alles geben, selbst ihr eigenes Leben. Ein Leben ohne ihn war für sie wertlos, das hatte sie dieses Jahr deutlich gespürt.
Je länger Biggi da lag desto konkreter wurden ihre Gedanken, vor denen sie selbst Angst bekam. Sie schnellte hoch. Hier auf der Basis hatte sie genügend Möglichkeiten um ihre Gedanken in die Tat umzusetzen. Aber sie hatte so einen Respekt vor ihnen, dass sie sich unbedingt ablenken musste um sie irgendwie zu vergessen.
Und es gab nur eine Sache die ihr jetzt helfen konnte, eine Runde fliegen. Biggi wusste das hier im Wohnheli irgendwo ein Ersatzschlüssel für die Basis versteckt war. Das war damals Thomas' Idee gewesen. Er hatte sowieso immer nur gute Ideen gehabt, ihrer Meinung nach. Jetzt musste sie ihn nur noch finden und es dauerte nicht lange, bis sie den besagten Schlüssel in ihrer Hand hielt. Die Bedenken wegen ihrer Hand, die Karin ausgesprochen hatte, waren ihr egal. Sie musste jetzt fliegen, sie brauchte es dringend und mehr denn je.
Sie verließ also den Wohnheli ohne das Licht auszumachen und lief hinunter zur Basis. Sie schloss den Hangar auf und stand nur Augenblicke später vor ihrem Baby. Langsam lief sie außen herum und strich dann behutsam über die Nase des Helis. "Meine zweitgrößte Liebe.", flüsterte Biggi. Die erste hatte sie verlassen, ohne Vorwarnung, ohne ein Wort. Das konnte ihr mit ihrem Baby nicht passieren und das tröstete sie ein wenig. Sie öffnete das Tor und brachte den Helikopter nach draußen, das Schieben der Plattform kostete ihr enorme Kraft. Aber sie schaffte es trotzdem. Anschließend schloss sie das Tor wieder und machte die Tür des Hangars hinter sich zu, um wieder abzuschließen. Man konnte nie wissen, wer sich hier draußen um die Uhrzeit noch herum trieb.
Dann ging sie zum Hubschrauber. Zuerst zog sie ihre Jacke aus und warf die auf den Co-Piloten Sitz, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Anschließend stieg sie ein und griff nach dem Helm. Sie freute sich auf den bevorstehenden Flug und hatte bereits ein Ziel im Kopf, welches sie ansteuern würde. Einen Ort, wo sie schon lange nicht mehr gewesen war. Aber dort hatte sie mitunter die schönsten Stunden ihres Lebens verbracht, zusammen mit Thomas. Auch das lag bereits ein paar Jahre zurück.

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