Kapitel 10

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Zur gleichen Zeit liefen Karin und Ralf, der inzwischen im Krankenhaus eingetroffen war, zusammen zurück zu Biggis Zimmer. Ralf hatte ein paar ihrer Sachen dabei. Allerdings fanden sie Biggi nicht wie erwartet schlafend vor, sie war inzwischen wach und hatte sich in den Kopf gesetzt das sie die Klinik verlassen würde.
Vom EKG hatte sie sich bereits selbst befreit, die Infusionen sollten gerade folgen als Karin und Ralf herein kamen. "Biggi, was soll das werden?", fragte Karin und konnte sie gerade noch daran hindern die Nadeln zu ziehen. "Ich bleib nicht hier!", stellte Biggi klar. "Doch, du bleibst ganz sicher hier.", antwortete Karin ruhig. "Nein, bleib ich nicht! Mach du die Nadeln raus oder ich mach's selber!" Biggi hielt Karin auffordernd den Arm hin. "Sind da meine Sachen drin?", wollte Biggi gleich darauf von Ralf wissen, der eine Tasche bei sich hatte.
"Vielleicht.", meinte Ralf. "Nichts da mit vielleicht!", bellte Biggi sauer. "Sind da meine Sachen drin, ja oder nein?!" Ralf und Karin warfen sich vielsagende Blicke zu. "Biggilein, sei doch vernünftig.", versuchte Karin es nochmals auf die nette Art. "Bin ich!", antwortete Biggi trotzig. "Ich werde durchdrehen, wenn ich hier bleiben muss! Ich will doch nur hier raus, mehr nicht!"
Ein flehender Unterton hatte sich in ihre Stimme eingeschlichen. "Ich kann außerhalb des Krankenhauses auch liegen und nichts tun. Ich will auch erstmal gar nicht arbeiten, nur meine Krankenmeldung müssten wir schnell auf der Basis vorbei bringen und dann werde ich mich ins Bett verkriechen. Ich versprech's, nur lasst mich nicht hier!", flehte Biggi schon fast und war den Tränen nahe.
Karin ging auf ihre Freundin zu, schnappte sich ein Taschentuch vom Nachtschrank und nahm ihre Hand. Wortlos zog sie die Nadel, den Zugang der sich auf Biggis Handrücken befand, heraus und presste das Taschentuch auf die winzige Einstichstelle. "Drück noch für ein oder zwei Minuten da drauf.", wies sie Biggi an, die der Aufforderung sofort nach kam. "Ich geh die Entlassungspapiere für dich besorgen.", sagte Karin anschließend, da sie merkte das es Biggi hier drin wirklich nicht gut ging und zu Hause hatten sie sie wenigstens im Auge. Sie würde so oder so gehen, da war es besser wenn sie sie gleich mit Heim nahmen. Ansonsten würde sie in ihrem labilen Zustand bestimmt noch irgendeinen Mist bauen, was Karin vermeiden wollte. Ihr hatte der Trinkabend von Biggi im Pilots wirklich gereicht, noch so etwas wollte Karin keinesfalls herausfordern.
"Hilf ihr dabei, dass sie sich ein bisschen frisch machen kann und dann pack das wenige Zeug von ihr zusammen. Wir nehmen sie mit.", erklärte Karin Ralf, der ziemlich überrascht war das sie Biggi nun doch nicht hier lassen würden. Dem Sanitäter war nicht ganz wohl dabei, hatte Biggi doch erst gestern ihr Kind und viel Blut verloren. Von ihrem psychischen Befinden dadurch ganz zu schweigen. Aber er sprach das nicht aus, da auch er glaubte Biggi nicht am Gehen hindern zu können und sie mitzunehmen war die einzige Möglichkeit wenn sie auf Biggi aufpassen wollten.
Während Karin also irgendjemanden auf Station suchte, der ihr behilflich sein konnte an Biggis Entlassungspapiere zu kommen, blieb Ralf bei Biggi. "Gib mir die Tasche.", bat Biggi ihn und Ralf gab nach. Er stellte die Reisetasche aufs Bett neben Biggi, die sie gleich öffnete. "Für wie viele Tage hast du denn gepackt?", fragte Biggi angesichts der Tatsache, dass sich haufenweise Klamotten in der Tasche befanden. "Ich hab auf jeden Fall mit mehr als einem Tag gerechnet.", gab Ralf zu.
"Ralf, mir geht es gut.", versuchte Biggi ihrem langjährigen Freund zu versichern. Nur glaubte er ihr kein Wort. "Ob du es dir eingestehen willst oder nicht, dir geht es nicht gut. Das kannst du so oft sagen wie du willst, ich kauf der das nicht ab.  Das kauft dir übrigens keiner ab, zumindest nicht diejenigen die dich kennen. Du warst mal anders und was dir passiert ist, das ist grausam! Du darfst deine Gefühle nicht unterdrücken und keinesfalls darfst du dich überschätzen, auf eigene Verantwortung zu gehen ist Überschätzung hoch einhundert!" Biggi blieb trotz seines wütenden Tonfalls ruhig, irgendwie kam es Ralf vor als hätte Biggi mit einem Mal ihre Gefühle erstmal abgestellt. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung, sie wirkte vollkommen kalt. "Was soll ich eurer Meinung nach tun?", fragte sie gruselig gelassen. "Nochmal ausrasten, zusammen brechen, damit man mich wieder ruhig stellen kann wie ein Tier? Vergiss es."
Biggi stand auf. Allerdings ein wenig zu schnell und ihr wurde schwindelig. Ralf merkte es zum Glück und konnte sie abfangen. "Dir geht's ganz hervorragend, das seh ich.", meinte er. Biggi befreite sich aus seinem Griff und schnappte sich die Klamotten, die sie bereits aus der Tasche genommen hatte. "Klappe!", knurrte sie und ging ins Bad. Dort schloss sie sich ein.
Jeder Schritt tat weh und das aus einem Grund. Jeder Gedanke an ihn versetzte ihr regelrecht einen Stich und sie zwang sich die Gedanken irgendwie zu beseitigen. Sie glaubte das Geschehene so am schnellsten irgendwie verarbeiten zu können und ahnte nicht, dass diese Verdrängung es noch schlimmer machen würde als es ohnehin schon war.
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Die Kollegen hatten ihren Einsatz inzwischen beendet und saßen im Aufenthaltsraum beisammen. Enrico hatte ein paar Minuten gewartet, bevor er hinein gegangen war, um keinen Verdacht auf sich zu lenken. Von seinen ehemaligen Kollegen wurde er gemieden, keiner redete mit ihm. Gina war inzwischen auch eingetroffen, aber nur um Max bei etwas zu helfen. Trotzdem ließen es sich die zwei ebenfalls nicht nehmen, mit ihren Kollegen schnell einen Kaffee zu trinken.
Das Thema um das es hauptsächlich ging war gerade dabei seinen Schrank auszuräumen, deshalb bekam Enrico davon nichts mit. Sie wussten inzwischen alle, was er Biggi angetan hatte und waren froh das er offensichtlich ging. Den umsonst räumte man schließlich nicht seinen Schrank aus.
"Ich hoffe Biggi übersteht das alles.", meinte Gina. "Erst das mit Thomas und Michael, dann der Stress mit Enrico und jetzt hat sie auch noch ihr Kind verloren. Für einen ganz allein viel zu viel zu verkraften." Ihre Kollegen konnten ihr nur zustimmen. "Das hat sie definitiv nicht verdient.", pflichtete Peter Gina bei. "Aber Biggi ist hart im Nehmen, das war sie schon immer. Zumindest seitdem ich sie jetzt kenne, sie kommt wieder auf die Beine."
Peter war sich selbst nicht sicher, versuchte jedoch Optimismus zu verbreiten. Plötzlich hörten sie, dass jemand draußen zur Tür herein kam und Menhoff stand gleich darauf in der Tür zum Aufenthaltsraum. "Ich suche ihren Chef.", sagte er ohne jegliche Begrüßung im Vornherein. "Im Büro.", antwortete Mark überrascht und sah, dass seine Kollegen wohl ebenfalls überrascht waren Menhoff hier zu sehen. "Hoher Besuch.", sagte Jens, als Menhoff außer Hörweite war. "Das bedeutet nichts Gutes.", befürchtete Peter und seine Kollegen nickten allesamt.
"Da kommen Ralf und Karin.", meinte Gina, die zum Fenster gegangen war und nun sehen konnte das die Beiden mit dem Auto ankamen und ausstiegen. "Und Biggi.", fügte die junge Pilotin hinzu, als sie die andere Pilotin ebenfalls aussteigen sah.
"Ausgerechnet jetzt wo das Arschloch auch da ist.", seufzte Peter. "Scheiß Timing.", meinte daraufhin auch Jens.Gleich darauf kamen Karin, Ralf und Biggi in den Aufenthaltsraum. Die Begrüßung fiel klein aus und Biggi bemerkte augenblicklich die mitleidigen Gesichtsausdrücke ihrer Kollegen. "Oh, bitte! Verschont mich mit diesen Blicken, ehrlich!", motzte sie sofort und die anderen schauten sofort weg. "Ist Höppler da?", fragte Biggi daraufhin. "Im Büro.", antwortete Peter.
"Aber Menhoff ist da, da würde ich jetzt nicht.." Biggi war schon hinaus gegangen, bevor Peter den Satz angefangen hatte. "..rein platzen.", beendete Peter dennoch noch das, was er hatte sagen wollen. "Menhoff ist da?", erkundigte Karin sich verblüfft. "Ja und noch jemand, deshalb entschuldigt mich kurz bevor sich die Beiden.." Peter konnte abermals nicht aussprechen, da er im Flur Biggi bereits hörte. Das was er eigentlich hatte vermeiden wollen war eingetreten. "..sich begegnen.", beendete Peter auch diesen Satz und eilte hinaus.
"Lass mich los!", schrie Biggi gerade und Peter sah, dass Enrico sie fest hielt. "Loslassen, sofort!", forderte auch er Enrico auf. "Ich hab nichts gemacht, ich wollte lediglich nochmal versuchen das sie mir zu hört!", verteidigte Enrico sich. Mit Biggis Auftauchen hatte er nicht gerechnet, aber es kam ihm gelegen und passte perfekt in seinen Plan. Er hatte Biggi gepackt und gewusst, dass sie schreien würde, kurz nachdem sie sich begegnet waren. Fast vor der Tür von Höpplers Büro. Und es passierte genau das was er gehofft hatte, denn nicht nur die Kollegen waren Peter gefolgt und standen nun alle im Flur. Auch die Tür des Büros öffnete sich und Menhoff kam heraus.
"Was ist das denn für ein Lärm hier?", fragte er aufgebracht und Enrico ließ Biggi los. "War sie das?", fragte Menhoff Enrico, der eifrig nickte. "Frau Schwerin, gut das sie hier sind.", meinte Menhoff daraufhin und das kam Biggi schon komisch vor. Höppler kam ebenfalls heraus und sah seine Mitarbeiterin mitleidig an. Biggi wurde sofort ganz anders, sie ahnte das etwas nicht stimmte.
"Ich hätte sie eigentlich erst nach ihrem Krankenhausaufenthalt her gebeten.", sagte Höppler. "Eigentlich dachte ich, dass es länger dauern wird bis man sie entlässt.", fügte der Basisleiter hinzu."Ich hab mich selbst entlassen, bin aber noch krank gemeldet." Biggi hielt ihren Chef die Krankenmeldung hin, die Menhoff jedoch an sich nahm. "Krank gemeldet wegen psychischer Beschwerden?", fragte er und las sich das Schriftstück durch. "Nein.", antwortete Biggi. "Wenn sie es genau wissen wollen habe ich ein Kind verloren und.. brauche Zeit um mich davon zu erholen." Biggi wäre am liebsten sofort in Tränen ausgebrochen, blieb aber standhaft.
"Mein Beileid. Zuerst Ihre Kollegen und nun das, sie müssen doch mit dem Nerven am Ende sein.", meinte Menhoff und Biggi wurde noch misstrauischer. "Worauf wollen sie eigentlich hinaus?!", fragte sie aufgebracht. Karin stellte sich hinter sie und legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. "Bleib ruhig, Biggilein. Ich bitte dich!", flüsterte die Notärztin ihrer Freundin zu, der es vollkommen egal war das sie gerade den Chef des gesamten Medicopter-Imperiums vor sich hatte.
"Er soll einfach sagen was das Problem ist!", forderte Biggi Menhoff indirekt auf. "Ich habe anonyme Hinweise bekommen, denen ich nachgehen muss. Und diese Hinweise betreffen sie, Frau Schwerin." Sofort sahen Biggi und die anderen zu Enrico.
"Anonyme Hinweise, interessant.", meinte Peter spöttisch. "Ich tue nur meine Arbeit. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mitarbeiter eine psychische Erkrankung geheim hält aus Angst vor möglichen Konsequenzen. Ich würde mir nur kurz ihren Spind ansehen wollen und vielleicht noch im Helikopter kurz etwas nachschauen, das ist alles.", erklärte Menhoff.
Enrico hatte ihm genau erklärt, wo er Biggis vermeintlichen Vorrat an Tabletten finden würde. "Wozu?", fragte Biggi. "Anonyme Hinweise.", erwiderte Menhoff nur und ging voraus in die Umkleide der Mitarbeiter. Er wusste wo sie sich befand, da es angeschrieben war. Biggi und Höppler folgten ihm unmittelbar, dahinter alle Kollegen. Nur Enrico blieb stehen und freute sich insgeheim schon sehr über seinen baldigen Triumph.
"Welcher davon ist ihrer, Frau Schwerin?", wollte Menhoff von Biggi wissen, als sie alle im Raum versammelt waren. Biggi, die glaubte das etwas inszeniert worden war, zögerte. Aber das konnte sie schlecht sagen und weigern konnte sie sich ebenso wenig. Das hätte nur noch mehr Misstrauen geschaffen.
Deshalb ging Biggi zu ihrem Schrank und öffnete ihn. "Der hier.", meinte Biggi und Menhoff drängte sie gleich beiseite. "Hübsche Bilder.", meinte Menhoff, der die Fotos an der Innenseite der Spinttür entdeckt hatte.
Ein Gruppenbild von allen und ansonsten eigentlich hauptsächlich Bilder von Gabriele und Thomas. "Kann mich gar nicht erinnern, dass die mal bei uns gearbeitet hat.", sagte er und deutete auf ein Bild von Gabi. "Dr. Gabriele Kollmann.", antwortete Biggi. "Traurig, dass sie als Chef nicht wissen wer sie ist!", fügte sie gleich darauf hinzu.
"Notärztin tödlich verunglückt.", las Menhoff den Titel des ausgeschnittenen Artikels, der ebenfalls dort klebte. "Ah, ich erinnere mich. Hat uns einige Nerven gekostet dieser Unfall, bis alles geregelt war." Ralf verkniff sich einen bissigen Kommentar und auch Biggi musste sich beherrschen, ebenso wie Peter und Max. "Herr Wächter hat ihnen offenbar auch viel bedeutet.", redete Menhoff weiter. "Waren sie beide.." Biggi ließ ihn den Satz nicht beenden. "Nein, waren wir nicht!", stellte sie klar. "Ich hab mich nur deshalb gefragt, weil hier so viele Bilder von ihm hängen aber keines von ihrem Lebensgefährten.", antwortete Menhoff. "Ex-Lebensgefährte!", erwiderte Biggi zornig. "Und ich muss mit ihnen nicht mein Privatleben diskutieren, das geht sie absolut nichts an!" Menhoff grinste nur. "Schon gut, schon gut. Ich interessiere mich nur für meine Mitarbeiter, als Chef sollte man sich doch kümmern. Wie dem auch sei, wir sind ja aus einem anderen Grund hier."
Menhoff begann daraufhin den Schrank zu inspizieren. "Egal was sie suchen, sie werden nichts finden. Biggi hat sich nichts zu Schulden kommen lassen.", meinte Peter überzeugt und alle anderen nickte. Menhoff hatte inzwischen schon ein paar Minuten damit verbracht den Schrank zu durchsuchen und fand schließlich das, weshalb er hier war.
"Da muss ich sie enttäuschen, denn ich hab was gefunden.", teilte er allen Anwesenden mit und hielt eine Schachtel Tabletten hoch.

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