Kapitel 46

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Biggi hatte derweil geduscht und sich angezogen. Als sie dann aber das Chaos im Wohnzimmer sah, packte die das Bedürfnis aufräumen zu müssen.
Zunächst sollten die Koffer dran kommen. Das Gepäck stand einfach im Weg, deshalb wollte sie die Koffer in ein anderes Zimmer bringen. Als sie zunächst den von Thomas hoch hob, fiel plötzlich etwas auf den Boden. Das eine Fach des Koffers war offen gewesen und darin hatte sich ein kleines Notizheft befunden. Biggi hob es auf und und da es offen gewesen war, konnte sie sehen das darin lauter Telefonnummern geschrieben standen.
Eigentlich war sie niemand, die fremdes Eigentum einfach ohne Erlaubnis unter die Lupe nahm. Aber irgendwie machte sie das Ganze gerade stutzig und deshalb überflog Biggi die Seiten. Allzu voll war es nicht, jedenfalls im Verhältnis zu den Seiten, die das Heftchen insgesamt beinhaltete. Tatsächlich standen darin nur Telefonnummern und das nur von Frauen. Teilweise standen da aber auch nur ganz komische englische Namen, die kaum von einem Menschen sein konnten. Biggi erkannte, dass es wohl Namen von Orten sein mussten. Vielleicht von Bars oder Diskotheken. Sie erinnerte sie an ihre Urlaube in Amerika und da hatte sie oft solche Namen wie hier gelesen. Allerdings war sie sich plötzlich auch sicher, dass diese Nummern ebenfalls von Frauen stammen mussten.
Die Pilotin schluckte. Es konnte natürlich auch etwas ganz anderes bedeuten, aber das was sie sofort dachte, war eben am naheliegendsten. Biggi klappte das Fundstück wieder zu und fuhr sich durch die noch leicht nassen Haare. Thomas hatte doch gemeint, er hätte in Amerika niemanden kennengelernt und jetzt hatte sie das gefunden. Eine Sammlung von Telefonnummern von Frauen, von denen Thomas offenbar teilweise schon gar nicht mehr die Namen gewusst hatte. Biggi konnte es einfach nicht fassen und einfach so vergessen konnte sie es schon gleich gar nicht mehr. Sie würde Thomas zur Rede stellen, sofort wenn er zurück kam.
Eigentlich ging es sie ja auch nichts an, denn vor der vergangenen Nacht war zwischen ihnen nichts passiert. Allerdings ging es Biggi ums Prinzip, denn Thomas hatte sie offenbar angelogen. Und was das anging war die Pilotin seit der Sache mit Enrico noch empfindlicher geworden als ohnehin schon.
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Thomas ahnte derweil noch nichts von dem Unheil was ihm drohte, wenn er von seinem Spaziergang zurück war. Er war nach wie vor glücklich und zufrieden und dachte an niemanden, außer an Biggi.
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Die hatte ihr Vorhaben aufräumen zu wollen längst vergessen. Nachdem sie nun das Heft von Thomas gefunden hatte, konnte sie sich auf nichts mehr anderes konzentrieren. Unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Auch hatte sie überlegt, ob sie vielleicht mal bei einer der Frauen anrufen soll, aber ging dann auch für sie zu weit.
Ihr blieb nichts anderes übrig als auf Thomas zu warten und zu hoffen, dass er ihr die Wahrheit sagte. Wenn er allerdings wirklich eine Freundin oder vielleicht sogar mehrere in Amerika hatte, dann würde sie das was gerade erst begonnen hatte sofort beenden. Mit dem Wissen, das Thomas neben ihr noch eine Frau hatte, damit konnte die junge Pilotin keinesfalls leben. Alleine nur die bloße Vorstellung ekelte Biggi bereits an. Still sitzen konnte sie auch nicht, weshalb sie unruhig im Wohnzimmer hin und her lief.
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Thomas befand sich derweil wieder auf den Rückweg und erreichte die Hütte kurze Zeit später. Nichtsahnend ging er mit Balu hinein. Biggi wollte sich zunächst nichts anmerken lassen und tat so als würde sie die DVD-Filme durch stöbern. Thomas zog Jacke und Schuhe aus und näherte sich ihr von hinten. Behutsam legte er seine Arme von hinten um sie und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. "Wir sind wieder da.", teilte Thomas Biggi mit. "Sehr gut.", meinte Biggi. "Find ich auch, wir hatten ja noch etwas vor.", erinnerte Thomas sie und küsste sie zärtlich am Hals.
Doch anders als zuvor konnte Biggi das nicht genießen, geschweige denn sich irgendwie darauf einlassen. Länger hielt sie es schließlich nicht mehr aus. "Wer ist Helen?", fragte Biggi und Thomas musste überlegen. "Wo hast du den Namen denn plötzlich her?", wollte er wissen, doch Biggi gab ihm keine Antwort.
Stattdessen hatte sie beschlossen ihm weitere Namen aufzuzählen. "Oder wer sind Nancy oder Gracie?", fragte die Pilotin weiter und Thomas dämmerte es. Nur wollte er noch nicht wirklich mit der Sprache heraus rücken. "Das sind.. Arbeitskollegen.", log Thomas in der Hoffnung, Biggi würde einfach nur so aus Blödsinn fragen. Doch da sie ausgerechnet diese Namen verwendete konnte Thomas sich bereits denken, woher sie die haben musste.
Er wurde nervös. Das blieb Biggi nicht verborgen und sie wusste nun sicher, dass Thomas sie an log. "Arbeitskollegen, ja?", fragte Biggi, deren Stimme bereits jetzt vor Wut leicht bebte. "Und wer sind dann die ganzen anderen Weiber, deren Nummern hier drin stehen?!" Biggi drehte sich zu Thomas um und drückte ihm das Heft gegen die Brust. Thomas nahm es an sich und erkannte sofort, was Biggi hier gefunden hatte.
"Scheiße!", entfuhr es ihm. "Ja, scheiße gell?! Wenn die Frau die du angeblich liebst und mit der du die Nacht verbracht hast sowas findet! Das ist mehr als scheiße!", rief Biggi aufgebracht. Sie stand nun bereits ein wenig weiter weg. "Was hat es damit auf sich?!", wollte die Pilotin nun sofort wissen. "Das ist doch nicht wichtig!", gab Thomas zurück. "Wichtig ist nur, dass ich jetzt wieder da bin und wir endlich zusammen sein können! Biggi, bitte glaub mir das mir keine dieser Frauen irgendwas bedeutet hat!" Thomas ging auf sie zu, doch Biggi wich ihm sofort aus.
"Das sind also doch nicht nur Arbeitskollegen, mh?!", schlussfolgerte Biggi. "Nein.", gab Thomas zu. "Was bedeutet das dann?" Biggi wollte es unbedingt aus Thomas' Mund hören, um es glauben zu können. Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Rede!", forderte Biggi ihn auf. "Bist du dir sicher, dass du das wissen willst?", fragte Thomas besorgt. "Würde ich dich sonst fragen?! Verdammt, Thomas!", schrie Biggi.
"Du hast mich angelogen, ist dir das eigentlich klar?! Du hast mir erzählt du hättest in Amerika keine einzige Freundin gehabt oder was weiß ich und dann finde ich dieses bescheuerte Notizbuch! Natürlich will ich wissen, was du mir verschwiegen hast!", stellte Biggi klar. "Ich habe dich nicht belogen.", antwortete Thomas ruhig. "Ich hatte keine Freundin, das stimmt und das musst du mir glauben!", beteuerte er weiter. "Ich muss gar nichts!", herrschte Biggi ihn an. "Aber du musst mir das erklären und zwar alles! Und wag es nicht mich nochmal anzulügen oder irgendwas auszulassen!", fügte Biggi wütend hinzu.
Thomas erkannte, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als Biggi nun die Wahrheit zu sagen. Er hatte Angst davor, aber es musste wohl sein, denn beschwichtigen können würde er sie auf eine andere Art und Weise wohl nicht mehr. Er seufzte und nickte schließlich. "Gut, okay.", sagte er. "Setz dich und wir reden.", schlug Thomas vor, doch Biggi blieb stur. "Mir egal was du machst, aber ich bleib stehen!", stellte sie klar. "Dann bleib stehen, wie du willst.", murmelte Thomas und tat es ihr gleich.
"Es stimmt, dass diese Frauen keine Arbeitskollegen von mir waren.", gab Thomas zu. "Ich hatte was mit ihnen, mit jeder einzelnen hatte ich was." Er fühlte sich schäbig, aber leugnen konnte er es jetzt nicht mehr und verdrängen wie er es die letzten Wochen bereits getan hatte sowieso nicht. "Du hast jede einzelne von ihnen flach gelegt, sag es doch einfach!", blaffte Biggi ihn an. "Genau das habe ich getan.", stimmte Thomas ihr zu. "Aber bei keiner habe ich irgendetwas empfunden und keine war meine Freundin. Es waren alles One-Night-Stands, ich habe keine von ihnen danach wieder getroffen und mit keiner bin ich eine Beziehung eingegangen.", erklärte Thomas.
"Dann versteh ich aber nicht warum du die Nummer da rein geschrieben hast!", meinte Biggi sauer. "Die meisten haben mir halt ihre Nummer gegeben und ich dachte ich schreibe sie mir mal zusammen, für den Fall das.. ich es mal nicht schaffe eine neue mit nach Hause zu nehmen."
Das war so leicht ausgedrückt wie möglich, aber Thomas wäre am liebsten schon jetzt vor Scham im Boden versunken. "Ich habe meine Nummer nie weiter gegeben, aber die Weiber haben mir oft ihre da gelassen. Ich musste danach nicht einmal fragen, es war so.. einfach. Verstehst du? Und als ich gemerkt habe, dass es funktioniert, habe ich weiter gemacht. Ich weiß auch wirklich nicht, was genau ich mir dabei gedacht habe. Ich hatte wohl irgendwie die Hoffnung so über diejenige hinweg zu kommen, die ich zu der Zeit nicht haben konnte. Irgendwie dachte ich, ich würde eine finden mit der ich neu anfangen konnte. Eine neue Frau, eine neue Familie.. ich wollte wieder einen Sinn im Leben haben!", klärte Thomas Biggi über seine damalige Hoffnung auf.
"Und um diesen Sinn zu finden musstest du gleich mal jede Frau flach legen, die Amerika zu bieten hatte?! Verarschen kann ich mich selber, Thomas!", stellte Biggi klar. "Ich verarsche dich nicht, verdammt nochmal!", entgegnete Thomas nun ebenfalls lauter. "Biggi, checkst du eigentlich nicht das du gemeint bist?! Das du diejenige bist, die ich die ganze Zeit über geliebt habe, diejenige die ich nach wie vor liebe und diejenige, die ich plötzlich nicht mehr haben konnte?! Ich musste dich verlassen und zudem noch meine Mädels, weil ich euch sonst auch noch in Gefahr gebracht hätte!", erklärte Thomas verzweifelt. "Und mir ist das nicht leicht gefallen, wenn du das glaubst! Monatelang hatte ich mit den Folgen dieser Explosion zu kämpfen und außerdem noch mit meinem schlechten Gewissen! Und mit dem Wissen, das ich euch wahrscheinlich nie wieder sehen werde! Es hat mich fertig gemacht, hörst du?! Mit dem Weiber abschleppen habe ich doch nur angefangen, in der Hoffnung die anderen Gedanken die mir im Laufe der Zeit gekommen sind, vergessen zu können! Bedeutet hat mir von diesen Weibsbildern doch keine einzige etwas, ich wollte doch nur irgendwie versuchen über alles hinweg zu kommen und das ging für diesen kurzen Moment! Nur dann konnte ich vergessen, aber danach waren alle Gedanken sofort wieder da und wahrscheinlich hätte ich diesen einen Plan womöglich irgendwann sogar durchgezogen, hätte ich mich nicht mit diesen Frauen abgelenkt!"
Die Worte, die nun aus Thomas' Mund kamen, wollten gar kein Ende mehr nehmen. "Welchen Plan?", wollte Biggi nun wissen und Thomas bereute es, dies ausgesprochen zu haben. Aber sie wollte die ganze Wahrheit hören, da gehörte das dazu.
"Du bist nicht der einzige Mensch, der mit Selbstmordgedanken zu kämpfen hatte.", offenbarte Thomas Biggi schließlich. "Nach dem Unfall und der langen Rehabilitationsphase.. dann zusätzlich noch die Sehnsucht nach Hause, nach euch allen.. und diese ganze Sache mit der neuen Identität, die ich annehmen musste. Meinst du wirklich, ich habe das was ich getrieben habe, nur aus Spaß gemacht? Nein, ich habe nur irgendwie versucht weiterzumachen nach der ganzen Scheiße die passiert ist.", stellte er ebenfalls klar.
Dieses Geständnis hatte Biggi geschockt. So sehr, dass sie es irgendwie nicht glauben wollte. "Das hättest du nie getan!", leugnete Biggi. "Dich umbringen, das.. Nein! Niemals!" Thomas sah sie durchdringend an. "Eigentlich dürfte ich dir das gar nicht erzählen, aber.. ich war tatsächlich schon kurz davor.", gestand Thomas ihr nun. "Wie.. wie meinst du das?", fragte Biggi. "Das willst du gar nicht wissen.", wich Thomas ihrer Frage aus und genau das machte Biggi wieder rasend.
Deshalb bohrte sie erst recht weiter. "Jetzt sag schon!", forderte sie ihn auf und Thomas seufzte. "Du kannst einem manchmal so richtig krass auf die Nerven gehen, weißt du das eigentlich?!" Von dieser Aussage ließ Biggi sich nicht beeindrucken, da sie irgendwie wusste, dass Thomas das nicht so meinte. "Spuck es schon aus!", verlangte sie erneut.
"Meinetwegen, wenn du das auch noch unbedingt bis ins Detail wissen willst!", erwiderte Thomas und suchte nach den richtigen Worten. Aber dafür gab es keine. "Ich ich hab doch bei diesem Heli-Stützpunkt gearbeitet.", begann er schließlich und Biggi nickte. "Allerdings nicht als Pilot, sondern eher als eine Art Mechaniker. Ich durfte also nicht fliegen.", fuhr Thomas fort. "Jedenfalls durfte ich das nicht offiziell, aber ich habe es trotzdem gemacht. Ab und zu, wenn keiner außer mir noch dort war. Mit unserem Baby konnte keiner dieser Mühlen mithalten, aber.. alleine das Gefühl in der Luft zu sein, das hab ich gelegentlich einfach gebraucht." Biggi konnte ihn verstehen, sagte aber nichts und sah ihn weiterhin mit einem wütenden Blick an. Allerdings hatte sie Angst vor dem, was Thomas ihr gleich erzählen würde. "Eines Nachts habe ich wieder nicht schlafen können, eben wegen all diesen Gedanken und.. naja, ich bin dann schließlich zum Stützpunkt gefahren und mit einer der Maschinen los geflogen. Und dabei habe ich mir kurz überlegt, ob ich jetzt nicht einfach in den Sturzflug übergehen soll oder irgendwo drauf fliegen soll. Stick vor, loslassen, Augen zu und Boom. Einfach irgendwo zerschellen und alle Probleme wären mit mir gestorben. Die Sehnsucht nach dir und den Mädels, das scheiß Heimweh.. einfach alles!", berichtete Thomas Biggi nun ausführlich.
Und das war der Augenblick, in dem ihr alles zu viel wurde. Dieses Kopfkino, was Thomas' Erzählungen auslösten, war für Biggi unerträglich und sie wollte der Situation gerade einfach nur noch entfliehen. Sie drehte sich um und lief zur Tür, wo ihre Schuhe standen. Diese zog sie an, bevor sie nach der Leine griff. "Balu, komm!", sagte sie bestimmt und der Hundewelpe sah sie irritiert an. "Komm, wir gehen Gassi!" Daraufhin erhob sich der kleine Hund und lief zu Biggi.
"Er war gerade erst draußen.", meinte Thomas. "Du willst doch jetzt nicht ernsthaft verschwinden, oder?! Biggi, bleib hier und wir reden über alles in Ruhe."
Doch die Pilotin ließ sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen.

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