Kapitel 42

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Dieser Vorfall hatte wieder eine gewisse Distanz zwischen den beiden geschaffen. Auch fünf Tage danach redeten sie nur das Nötigste miteinander und schliefen wieder getrennt. Keine abendlichen Kuscheleinheiten, keine zärtlichen Berührungen und schon gar keine Küsse.
Die Situation machte beiden zu schaffen, jedoch waren beide zu stur um irgendwas dagegen zu unternehmen. Biggi merkte, dass ihr diese Nähe zu Thomas fehlte und umgekehrt war es genauso. Er kümmerte sich zwar nach wie vor um alles, aber die Stimmung war weiterhin angespannt.
Wenigstens hatte Biggi ihre Erkältung überwunden und auch mit allen anderen ging es aufwärts. Von ihrem Sturz vor ein paar Tagen waren nun nur noch ein paar Blessuren übrig und die Schnitte verhielten langsam. Sie hatte sich seit dem letzten Mal nicht mehr selbst verletzt, das war der längste Zeitraum bisher. Und obwohl sie den Drang verspürte riss sie sich zusammen. Thomas passte nämlich weiterhin auf wie ein Schießhund. Auch seine Verletzung an der Hand war inzwischen verheilt, denn so schlimm war die Verbrennung nicht gewesen. Dennoch verschwanden die Gedanken einfach nicht mehr, egal was Thomas auch tat.
"Ich geh mit Balu.", meinte Thomas und leinte den Welpen an. "Kann ich mitkommen?", wollte Biggi wissen, was Thomas überraschte. "Fühlst du dich dafür denn fit genug?", erkundigte er sich. "Lass es uns raus finden. Ich muss auch mal wieder an die frische Luft, schaden kann's nicht." Daraufhin stimmte Thomas zu und wartete bis Biggi sich angezogen hatte.
Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft verließen sie beide gleichzeitig die Hütte. Sonst war immer nur Thomas gegangen, entweder um einkaufen zu fahren, um mit Balu Gassi zu gehen oder um Biggi zu suchen. Biggi selbst hatte die Hütte seit ihrer Flucht während der ersten Nacht nicht mehr verlassen. Aber jetzt wollte sie mitgehen und nicht wie immer wieder eingesperrt werden. Sie wusste, dass Thomas das nur tat um sie zu schützen und das überwiegend vor sich selbst. Nur belastete ihn irgendwas gewaltig und Biggi wollte herausfinden was es war. Vielleicht war dieser gemeinsame Spaziergang die perfekte Gelegenheit dafür.
Lange liefen die beiden einfach schweigend nebeneinander her. Regelmäßig sahen sie zum jeweils anderen hinüber, als dieser gerade nicht aufpasste und beide schauten sie schnell weg wenn der andere es auch nur ansatzweise bemerken konnte. Biggi fühlte sich machtlos. Sie spürte, dass Thomas etwas sehr belastete, aber er wollte nicht reden. Inzwischen konnte Biggi wenigstens wieder so etwas wie Empathie zeigen, aber das half nichts, wenn Thomas dicht machte.
Und plötzlich ahnte sie, wie es für ihn gewesen sein musste, als sie sich so ähnlich verhalten hatte. Biggi schluckte. Es war schrecklich nicht zu wissen, was in ihm vor ging. Vor allem, nachdem sie sich geküsst hatten und Biggi seine Lippen am liebsten jede einzelne Minute auf ihren spüren wollte. Aber er hielt konsequent Abstand. Selbst jetzt, wo sie umher liefen, war zwischen ihnen eine große Lücke und schließlich hielt Biggi dieses Schweigen nicht mehr aus.
"Wirst du jetzt für immer nur noch das Nötigste mit mir reden?", fragte sie und wartete vergeblich auf eine Antwort. Thomas fixierte seinen Blick auf Balu, der an der Leine vor ihm her trottete und jeden Millimeter des Bodens beschnupperte. "Thomas, ich rede mit dir!", sagte Biggi energisch. "Ich weiß, du bist ja laut genug.", erwiderte Thomas ruhig. "Und warum antwortest du dann nicht?!", fragte Biggi vorwurfsvoll. "Weil du, auch wenn du gesagt hast ich muss nicht darüber reden, es trotzdem weiter versuchen wirst das ich drüber rede und das will ich nicht, kapiert?! Es gibt nix worüber wir reden müssen und fertig! Gerade du solltest am besten wissen, wie es ist, wenn man etwas mit sich selbst ausmachen muss und genau so geht's mir jetzt!" Biggi blieb stehen.
"Und warum meinst du dann, du hättest das Recht mich zu bevormunden?!", wollte sie wissen. "Du hast mich doch bekehrt, von wegen reden hilft und was weiß ich alles! Und jetzt stehst du nicht mal selbst dazu, das nenn ich konsequent! War das, was du mir erzählt hast, dann alles nur blödes Gerede?! Ach, ich will es gar nicht wissen! Aber wie soll ich jemanden vertrauen, der mir nicht vertraut?! Ich kann's dir sagen, nämlich gar nicht!" Und daraufhin machte Biggi kehrt, um den Rückweg anzutreten.
"Wo willst du hin?", wollte Thomas wissen, doch Biggi würdigte ihn keines Blickes. Sie drehte sich nicht nochmal nach ihm um, sondern schaute einfach nur geradeaus. Tränen sammelten sich in ihren Augen, vor Wut und auch vor Enttäuschung. "Biggi!", rief Thomas laut, doch sie reagierte nicht. Kurz darauf war sie bereits zwischen den Bäumen verschwunden. Sie hatte sich den Weg diesmal allerdings eingeprägt, weshalb sie genau wusste, wo es zurück zur Hütte ging. Sie hörte Thomas rufen, doch es war ihr gleichgültig. Wenn er etwas wollte, sollte er ihr folgen.
Thomas blickte zu Balu, der ihn schief und beinahe schon vorwurfsvoll ansah. "Ich geh ja schon!", sagte Thomas daraufhin und trat ebenfalls den Rückweg an. Er hoffte nur, dass Biggi nicht wieder irgendeinen Blödsinn machte und wieder ab haute. Aber als Thomas sich der Hütte näherte, saß Biggi auf der Bank neben der Tür. Sie kam nicht rein, da Thomas die Schlüssel hatte.
Dieser war erleichtert, Biggi dort sitzen zu sehen und er bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Sie hatte irgendwie Recht mit dem, was sie gesagt hatte. Er konnte nicht von ihr verlangen zu reden, während er schwieg und selber alles in sich hinein fraß. Vielleicht war Biggi inzwischen stabil genug, damit Thomas ihr erzählen konnte, was ihm passiert war. Derweil hatte Biggi sich ebenfalls Gedanken gemacht und war zu dem Entschluss gekommen, voreilig gehandelt zu haben. Sie wollte nicht mehr mit Thomas streiten und endlich wieder normal mit ihm reden können, andererseits sollte er nicht ohne Gespräch davon kommen.
Thomas erreichte die Hütte und lief die paar Stufen hinauf, anschließend setzte er sich neben Biggi. "Es tut mir leid!", sagten sie beide gleichzeitig und mussten daraufhin erstmal lachen. "Zwei Dumme, ein Gedanke.", meinte Biggi und Thomas stimmte ihr zu. "Darf ich trotzdem zuerst? Ich hab mir da nämlich was überlegt, wie wir es für uns beide fair gestalten können.", offenbarte die Pilotin Thomas. "Da bin ich jetzt aber mal gespannt.", antwortete Thomas. "Wie stellst du dir das denn vor?", fragte er. "Lass uns erstmal rein gehen."
Biggi stand auf und Thomas schließlich ebenfalls, da er aufsperren musste. Sie zogen dann erstmal Jacke und Schuhe aus, bevor sie sich auf die Couch setzten. Balu legte sich ins Bett auf dem Boden. "Also, ich höre.", meinte Thomas. "Willst du immer noch wissen, was ich träume, wenn du mich aufwecken musst? Was ja in letzter Zeit häufiger vorgekommen ist." Thomas sah Biggi überrascht an. "Weil ich würde es dir jetzt erzählen, sofern du es noch wissen möchtest.", fügte Biggi hinzu. "Natürlich würde ich das gerne wissen wollen, aber du musst dich nicht verpflichtet fühlen.." Biggi ließ Thomas nicht ausreden. "Ich weiß.", stellte sie klar. "Aber ich denke, vielleicht ist es dann leichter für dich, mir zu erzählen was mit dir los ist. Du warst die ganze letzte Zeit für mich da, Thomas. Lass mich das jetzt für dich genauso sein."
Biggi griff nach seiner Hand. "Du meinst also du erzählst mir was und als Gegenleistung erzähle ich dir was? Klingt gar nicht mal so übel.", musste Thomas zugeben. Er merkte, dass Biggi sich Sorgen machte und er wollte natürlich auch wissen was mit ihr los war. Deshalb erschien ihm ihr Vorschlag gar nicht so blöd zu sein, allerdings wusste er ja noch nicht was Biggi erzählen würde. Denn er würde es gleich noch bereuen, sich auf diese Abmachung eingelassen zu haben. "Siehst du. Also machen wir es so? Ich kann auch anfangen." Thomas nickte dann und Biggi fing an zu erzählen.
Sie berichtete Thomas genau, was sie in ihren Alpträumen sah. Nämlich überwiegend ihn und wie er in diesem Bergwerk verbrannte. Es war nicht einfach für sie darüber zu reden, aber für Thomas war es genauso schwer zuzuhören. Wenn nicht sogar noch schwerer als für Biggi ihm davon zu erzählen. Und plötzlich bereute er es auf diesen Deal eingegangen zu sein, denn jetzt konnte er Biggi auf keinen Fall mehr erzählen was mit ihm los war. Das würde ihr nur mehr schaden als helfen, das dachte Thomas jedenfalls.
Er entschied sich deshalb dafür, weiterhin zu schweigen. Biggi durfte die Wahrheit nicht erfahren, sie würde sie nicht ertragen können. Das jedenfalls glaubte Thomas nun, nachdem Biggi ihm von ihren Träumen erzählt hatte. Als er die Tränen in ihren Augen sah, griff er nach ihrer Hand.
"Alles gut.", versicherte Biggi ihm und wischte sich schnell über die Augen. "Du bist ja da und am Leben, demnach nicht in diesem Bergwerk verbrannt." Doch Biggi ging es damit nicht gut und das spürte Thomas, weshalb er sich in seiner Überzeugung ihr nun doch nichts zu erzählen nur bestätigt fühlte. Nie hätte er mit so etwas gerechnet, nie hätte Thomas gedacht, dass es Alpträume mit ihm waren die Biggi in der Nacht schreien und weinen ließen. Die ihr den Schlaf raubten, erbarmungslos.
"Wirklich alles klar?", wollte Thomas wissen und Biggi nickte. "Es ist zwar schlimm, aber.. immer wenn du bei mir bist hört es auf.", erklärte Biggi ihm. "Ich weiß.", erwiderte Thomas. "Woher?", fragte Biggi verwundert. "Ich habe mich, schon bevor wir hierher gekommen sind, mal zu dir ins Bett gelegt weil du wieder geträumt hast. Danach hast du seelenruhig geschlafen und genauso ist es hier. Immer wenn du alleine schläfst träumst du und wenn ich dich wecke, kriegst du kaum etwas mit. Sobald ich dann bei dir liege hört es auf, das hat bis jetzt jedes Mal geklappt.", berichtete Thomas. "Du bist also offiziell mein Heilmittel.", meinte Biggi und stupste mit ihrer Nase an seine.
"Und jetzt du.", meinte Biggi anschließend. "Erzähl mir was mit dir los ist, vielleicht kann ich dir genauso helfen wie du mir." Doch Thomas wich sofort ihrem Blick aus und ging wieder auf Abstand. "Das geht nicht.", meinte er und erhob sich von der Couch. "Aber.. Thomas, genau das war der Deal!", stellte Biggi klar. "Ich erzähle dir von meinen Träumen und du mir davon, was dich so belastet."
Aber Thomas zog sich nur wieder seine Jacke an. "Ich geh noch ein bisschen Holz von draußen holen.", offenbarte er ihr. "Du gehst jetzt nirgendwo hin!", rief Biggi aufgebracht und erhob sich ebenfalls. "Wir haben eine Abmachung und.." Thomas fiel ihr ins Wort. "Brigitte!", herrschte er sie an. "Es ist besser so für dich, also akzeptier es einfach und hör auf mit mir diskutieren zu wollen! Das wird dir nichts nützen!", fügte Thomas streng hinzu und stürmte dann zur Tür hinaus.
Biggi blickte Thomas nach und zuckte zusammen, als die Tür knallend zu fiel. "Arschloch!", schrie Biggi ihm hinterher und warf vor Wut das erste gegen die Wand, was sie in die Finger bekam. Dabei handelte es sich um einen Ball von Balu, der noch auf dem Sofa lag. Mit diesem traf sie ein Bild an der Wand, welches zu Boden fiel und das Glas des Rahmens ging beim Aufprall klirrend zu Bruch.
Thomas hörte den Schrei und auch den Knall, konnte aber nicht zurück gehen. Nicht sofort jedenfalls, denn er hatte Biggi gerade sehr verletzt. Das war ihm bewusst, aber im Moment fand er sogar das besser, als ihr die Wahrheit zu sagen.
Thomas ging deshalb hinter die Hütte um dort neues Feuerholz zu hacken, auch wenn eigentlich noch genügend vorbereitet war.
Währenddessen kochte Biggi vor Wut. Erst, als sie Balu erblickte, der sich in die hinterste Ecke des Raumes verzogen hatte und ängstlich drein blickte wurde ihr bewusst, was sie getan hatte. Und den kleinen Welpen so zu sehen tat ihr im Herzen weh, weshalb sie langsam auf ihn zu ging.
"Es ist alles okay, komm her.", sagte sie ruhig und ging in die Knie. Balu zögerte. Er hatte sich aufgrund der lauten Stimmen und den lauten Geräuschen sehr erschreckt. "Komm.", ermutigte Biggi Balu erneut und diesmal tappte er langsam auf sie zu. Biggi nahm das Hundebaby an sich und knuddelte es. Bis vor ein paar Tagen noch hätte sie das nicht interessiert, aber nun merkte sie selbst, dass sie sich verändert hatte und langsam wieder ihr altes Ich zum Vorschein kam. Noch war sie davon zwar weit entfernt, aber Fortschritte hatte sie definitiv gemacht. Deshalb tat ihr der Streit mit Thomas auch leid, aber er hatte sie provoziert.
Als sich Balu wieder beruhigt hatte, sah Biggi zum Scherbenhaufen hinüber. Den beseitigte sie sofort und auch wenn die Scherben sie fast dazu verleiteten, schaffte Biggi es sie wegzuwerfen, ohne sich mit ihnen auch nur ansatzweise irgendwelche Schnitte zuzufügen. Weder unbeabsichtigt, noch beabsichtigt.
Kurz überlegte Biggi, ob sie zu Thomas gehen sollte. Jedoch entschied sie sich dann doch dagegen und beschloss stattdessen duschen zu gehen. Sie hoffte dort in Ruhe nachdenken zu können.

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