Kapitel 29

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Benommen öffnete Biggi die Augen. Es war aber trotzdem dunkel um sie herum und sie spürte Regentropfen auf ihre Haut prasseln. Ihr war eiskalt und zunächst konnte sie sich nicht rühren. Biggis ganzer Körper schmerzte, allem voran der Kopf. Dadurch war ihr ziemlich schlecht und sie glaubte sich gleich übergeben zu müssen. Sie schmeckte außerdem etwas metallisches, flüssiges in ihrem Mund. 'Blut!', dachte Biggi sofort und hatte keinerlei Zweifel. Sie musste sich, während sie gefallen war, auf die Zunge gebissen haben.
Sie blieb noch einige Zeit auf dem durchnässten Waldboden liegen und kämpfte gegen das Verlangen einzuschlafen. Ihr Verstand sagte ihr nämlich, dass sie das nicht durfte, obwohl sie kaum die Kraft hatte wach zu bleiben.
'Steh auf!', schoss es Biggi durch den Kopf. 'Na mach schon, steh auf!' Biggi hatte keine Ahnung, warum ihr diese Gedanken kamen, nachdem ihr das Leben doch eigentlich nichts mehr bedeutete. Aber sie gehorchte ihrer inneren Stimme und setzte sich vorsichtig auf. Alles drehte sich. Biggi atmete tief durch und spürte etwas an ihrer Stirn hinunter laufen. Es war definitiv dickflüssiger als Wasser und sie fasste sich automatisch an den Kopf. Sie brauchte die klebrige Flüssigkeit nicht einmal sehen, um zu wissen das Blut nun ebenfalls an ihren Fingern haftete.
Biggi versuchte nun aufzustehen. Sie brauchte einige Anläufe, bis sie endlich auf den Beinen stand. Ziemlich wacklig, aber immerhin. Sie hatte keine Ahnung in welche Richtung sie laufen musste und sah auch den Weg nicht, deshalb ging sie langsam in irgendeine Richtung los. Wenigstens die Bäume konnte sie ertasten und sich an ihnen abstützen.
Biggi konzentrierte sich nur darauf immer wieder einen neuen Baum zu finden, das sie gar nicht bemerkte das sie an eine noch steilere Stelle kam. Erneut verlor sie den Halt und schrie auf. Diesmal landete sie allerdings nicht auf dem Boden, sondern konnte sich gerade noch am Rande eines Felsvorsprungs festhalten, über dem sie jetzt hing. Unter ihr war meterweit nichts. Die Wolken vor dem Mond hatten sich verzogen und dieser spendete wenigstens etwas Licht. So viel, dass Biggi erkennen konnte in welch misslicher Lage sie nun steckte.
Thomas lief bereits schon eine ganze Weile im Wald umher, aber noch immer gab es keine Spur von Biggi. Der Regen schien gar nicht mehr aufhören zu wollen und der Wind war ebenfalls noch stärker geworden. Er durfte nicht mehr warten und wollte zurück zur Hütte rennen, um von dort aus Hilfe zu rufen. Thomas hatte sich gerade neu orientiert, als er plötzlich einen Schrei hörte. Gar nicht weit weg, aber der Wiederhall, der Donner und der Regen machten es ihm schwer zu lokalisieren woher der Schrei gekommen war.
Bei etwas war er sich allerdings ganz sicher, dieser Schrei war von Biggi ausgegangen. Sonst war hier bestimmt keiner in der Nähe, mitten in der Nacht und bei diesen Wetter sowieso nicht. Biggi war in Gefahr, auch das wusste Thomas und sofort rannte er los. Er beschloss seinem Instinkt zu vertrauen und ging in die Richtung, die er am ehesten für richtig erachtete.
"Biggi?!", rief er wieder, jedoch war Biggi zu sehr damit beschäftigt dem sicheren Tod zu entkommen. Einen Sturz aus dieser Höhe würde sie niemals überleben. Krampfhaft krallten sich ihre Finger in den Stein des Felsvorsprungs, sie rutschte aber dennoch immer wieder ab. Auch versuchte Biggi mit den Beinen irgendwie Halt zu finden um sich hochziehen zu können, jedoch war es hier dasselbe. Immer wieder rutschte sie an der Felswand ab und baumelte danach wieder frei über dem Abgrund. Ihr tat jeder einzelne Knochen weh und an allen möglichen Stellen brannte ihre Haut. Sie musste sich unzählige Schürfwunden zugezogen haben, aber das war gerade ihr kleinstes Problem.
Biggi schluchzte auf. "Hilfe.." Sie versuchte zu schreien, aber mehr als ein heißerer Laut kam ihr nicht über die Lippen. Mit einer Hand rutschte sie von der Kante ab und konnte sich noch gerade so vom Sturz ins Nichts retten. Fürs erste jedenfalls, aber ihre Kräfte verließen sie zunehmend. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie musste schreien, auch wenn sie bezweifelte das man sie hörte. Ob Thomas sie suchte?
Plötzlich bereute sie ihre Flucht bitterlich. Sie könnte jetzt in einem warmen Bett liegen, stattdessen kämpfte Biggi nun ums Überleben.
Und sie wollte nicht sterben. Sie hatte es die ganze Zeit gedacht aber jetzt, nachdem sie dem Tod ins Auge blickte, konnte sie für diesen Augenblick wieder klar denken. Biggi wollte Leben und wieder die werden, die sie vor alldem gewesen war. Sie wollte kämpfen, um wieder ein normales Leben führen zu können. Ohne Depressionen, ohne Angst, ohne Hass auf sich selbst und jeden der ihr irgendwie helfen wollte.
'Nein, ich geh hier jetzt nicht drauf!', dachte die Pilotin entschlossen. 'Nicht hier, nicht heute, nicht in naher Zukunft!' Sie krallte sich noch fester an den Felsvorsprung und versuchte wieder nach oben zu gelangen. Ihre Kraft reichte dafür aber bei weitem nicht aus.
Auf einmal vernahm sie Rufe. "Biggi?" Jemand rief ihren Namen. Es konnte nur Thomas sein, nach allem was sie ihm angetan hatte suchte er nun tatsächlich noch nach ihr. Sie schöpfte neuen Mut. "Hilfe!", brachte sie erneut hervor, allerdings war das kaum lauter als beim ersten Versuch. Erneut hörte sie Thomas rufen. "Biggi, wo bist du?!"
Er war anscheinend ganz in der Nähe. Biggi schloss für einen Moment die Augen und atmete einmal tief ein und wieder aus. Ohne ihre Hilfe würde Thomas sie wohl nicht mehr rechtzeitig finden, deshalb konzentrierte sie sich darauf gleich so laut wie möglich zu schreien. Als sie die Augen wieder öffnete fand sie sich in der Realität wieder, die sie für einen kurzen Moment hatte ausblenden können. Schmerzen, Kälte, Lebensgefahr.
Wieder hörte sie Thomas rufen und Biggi nahm alle Kraft zusammen, die sie noch irgendwie aufbringen konnte. Es war nicht viel. "Hilfe!!!", schrie sie so laut sie konnte und drohte wieder abzurutschen. "Thomas, Hilfe!"
Er hörte ihre Rufe und Biggi war erleichtert, als er antwortete. "Thomas, ich bin hier!", rief Biggi schluchzend. Thomas rannte umher und lauschte. "Wo is hier?!" Doch dann hörte er sie weinen, ganz in der Nähe. Er leuchtete den Boden ab und sah plötzlich zwei verdreckte Hände. Genauer gesagt nur noch Fingerspitzen, die gleich abrutschen würden.
"Biggi!", stellte Thomas erleichtert fest und Biggi war ebenso froh, als sie einen Lichtschein und Thomas' Stimme oberhalb des Vorsprungs vernahm. Doch dann verlor sie den Halt endgültig.

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