Kapitel 59

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Die Zeit, die ihnen schließlich noch auf der Hütte blieb, genoss das Paar wie geplant in vollen Zügen. Allerdings vergingen die Tage für Biggis Empfinden leider viel zu schnell und so kam auch schließlich irgendwann der Tag der Abreise. Und dieser war auch gleichzeitig der Tag ihrer Prüfung. Sie hatte trotzdem relativ gut geschlafen und da ihre Prüfung und auch die von Thomas erst am Nachmittag statt finden würde, hatten sie den Morgen noch für sich.
Ein wenig gepackt hatten sie bereits und Thomas hatte bereits ein wenig Gepäck hinunter zum Auto getragen. Deshalb konnten sie den Morgen noch ein wenig genießen und aus diesem Grund lagen sie auch noch im Bett. Biggi war gestern in Thomas' Armen eingeschlafen und an dieser Position hatte sich seitdem nichts geändert. Thomas war inzwischen schon sein zwei Stunden wach und beobachtete Biggi seitdem. Er wollte ihr jede Minute an Schlaf ermöglichen, denn sie sollte später ausgeschlafen und vor allem entspannt an die Sache ran gehen.
Da die Prüfung auf der Basis in Berchtesgaden stattfinden würde und sie nicht die einzigen Prüflinge sein würden, wollte er Biggi jegliche Aufregung im Vornherein irgendwie ersparen. Aber zum Glück fand die Prüfung nicht auf ihrer eigenen Basis statt, denn somit konnte Biggi sie ablegen, bevor sie auf die anderen traf. Nach der Prüfung würden sie schließlich nach Hause fahren, jedenfalls war das der Plan. Sie hatten alles beisammen, sowohl das ärztliche Gutachten, als auch das von Biggis Psychologen. Jetzt musste sie nur noch die praktische Prüfung meistern und dann war zumindest ihr Job gerettet.
Auch Thomas hatte bei Medicopter wieder eine Stelle in Aussicht und das erleichterte alles enorm. Gerade als Thomas über das alles nach dachte, begann Biggi aufzuwachen. Müde blinzelte sie ihn an. "Guten Morgen.", sagte Thomas sanft und küsste ihre Stirn. "Das ist kein so guter Morgen und du weißt warum.", erwiderte Biggi nachdenklich. "Es ist trotzdem ein guter Morgen, auch wenn wir heute nach Hause fahren. Wir meistern diesen Tag heute, okay? Wir haben das alles besprochen und du bekommst das hin, da hab ich keine Zweifel.", versuchte Thomas, Biggi ein wenig die negativen Gedanken zu nehmen.
Und tatsächlich schaffte er es, sie wenigstens ein bisschen zu beruhigen. Während Biggi dann duschen ging, ging Thomas mit Balu und anschließend bereitete er das Frühstück vor. Auch das wollte er so schön gestalten, wie möglich und machte dafür nochmal ein neues Feuer im Kamin.
Als Biggi aus dem Bad kam, saß Thomas unten in dem Nest aus Decken, das ihnen nun wochenlang als Bett gedient hatte. "Ich hab Frühstück gemacht.", meinte Thomas und deutete auf ein Tablett mit einem Teller und einer Schüssel. Für sich hatte er ein Brot gemacht, für Biggi aber extra Milchreis mit Kirschen, da er wusste wie gerne sie das aß.  Außerdem hatte er zwei Tassen Kaffee vorbereitet. Er trank seinen schwarz, für Biggi hatte er Milch und Zucker bereits hinzu gegeben.
"Komm, setz dich.", forderte Thomas Biggi auf und die Pilotin kletterte zu ihm ins Bett. Sie lächelte, als sie sah, welche Mühe sich Thomas gemacht hatte. "Wir gehen das alles ganz entspannt an, in Ordnung? Jetzt frühstücken wir, danach räumen wir so langsam alles zusammen und dann fahren wir über die gemütliche Route nach Berchtesgaden und bestehen beide unsere Prüfung. Und danach fahren wir nach Hause, aber auch das, ohne uns großartig zu stressen. Und egal, wie der Tag ausgeht, ich stehe absolut hinter dir.", stellte Thomas klar. Und auch, wenn er dasselbe bereits vor ihrer Untersuchung gesagt hatte, war Biggi sehr gerührt.
Also beugte sie sich zu Thomas hinüber und küsste ihn. "Ich liebe dich!", flüsterte sie. "Und du glaubst gar nicht, wie sehr ich das tue!" Thomas strich ihr über die Wange. "Dasselbe gilt für mich.", antwortete er. "Ich liebe dich auch so sehr, dass ich es dir nicht oft genug sagen kann!" Daraufhin folgte ein weiterer Kuss.
"Aber jetzt iss mal deinen Milchreis, ansonsten wird er noch kalt." Biggi kicherte und aß wie von Thomas verlangt ihr Frühstück. Er tat es ihr gleich. Als sie fertig waren, kuschelten sie sich vor dem Kamin noch einige Zeit aneinander, bis Thomas schließlich das Geschirr in die Küche räumte und Biggi anfing, ihre restlichen Sachen zu packen.
Das tat sie vorwiegend mit Widerwillen. Irgendetwas in ihr wollte einfach noch nicht nach Hause zurück kehren, denn die Angst vor einem Rückfall war verdammt groß und deshalb ließ Biggi sich mehr Zeit mit dem Packen, als eigentlich notwendig gewesen wäre. Gemeinsam mit Thomas räumte sie dann die gesamte Hütte auf und gegen Mittag sah sie so aus, als ob sie nie hier gewesen waren.
Thomas gab sein Bestes, Biggi zu nichts zu drängen, aber so langsam aber sicher mussten sie nun doch aufbrechen. Ansonsten würden sie zu spät zu ihrer Prüfung kommen und das würde für sie bedeuten, dass sie zwangsläufig durchfallen würden und das ohne überhaupt angetreten zu sein.
Also verließen sie die Hütte mit ihrem restlichen Gepäck und Balu im Schlepptau und nachdem Thomas alles abgeschlossen hatte, liefen sie den Berg langsam hinunter.
Am Auto angelangt, verstaute Thomas auch noch die restlichen Gepäckstücke, während Biggi sich mit Balu bereits wieder auf dem Beifahrersitz nieder ließ. Thomas machte kurz darauf den Kofferraum zu und nachdem er eingestiegen war, fuhren sie schon los. Biggi war heute verständlicherweise nicht so gesprächig und Thomas ließ sie auch in Ruhe, denn er hatte das Gefühl, dass sie genau das jetzt brauchte. Also verlief die Fahrt weitestgehend schweigend und für Biggis Empfinden verging sie leider auch viel zu schnell.
Auf der Basis herrschte aufgrund der Prüfungen heute kein regulärer Ablauf und da sie schneller durchgekommen waren, als geplant, waren Biggi und Thomas die ersten Teilnehmer, die dort eintrafen. Sie waren beide schon öfter hier gewesen, weshalb sie sich aus kannten und wie so eine Prüfung ablief, wussten sie sowieso.
Thomas hatte für sich und Biggi noch Overalls organisiert, welche er in eine Tasche gepackt hatte und diese holte er nun aus dem Auto. Biggi nahm derweil Balu an die Leine und anschließend stieg die Pilotin ebenfalls aus.
"Lass uns rein gehen. Wir können uns schon mal umziehen, bevor die anderen kommen.", meinte Thomas und somit gingen beide in das Gebäude. "Weißt du, wie viele heute genau dran sind?", fragte Biggi auf dem Weg zu den Umkleiden, was Thomas jedoch verneinte. Das würden sie aber noch früh genug erfahren.
Schließlich gingen Thomas und Biggi sich gleich umziehen und trafen sich ein paar Minuten später wieder im Flur vor den Umkleiden. Balu hatte dort geduldig auf sie gewartet. Thomas verstaute Biggis Klamotten ebenfalls in der Tasche und holte gleichzeitig etwas anderes hervor, was er die ganze Zeit vor Biggi versteckt gehalten hatte. Aber nun war der richtige Zeitpunkt, es ihr zu geben.
"Ich hab da noch was für dich.", meinte Thomas und holte Biggis Teddybären aus der Tasche. Die Pilotin staunte nicht schlecht, als sie ihn erblickte. "Daran hast du wirklich gedacht?!", fragte sie ungläubig. "Natürlich!", erwiderte Thomas. "Und es war schwer genug, ihn vor dir zu verstecken. Ich habe gedacht, dass gibt dir zusätzlich noch ein bisschen Sicherheit. Du bist eine ausgezeichnete Pilotin und das zeigst du denen gleich auch!"
Biggi fiel Thomas um den Hals. "Ich danke dir!", schluchzte sie und konnte ein paar Tränen nicht zurück halten. "Dafür doch nicht.", antwortete Thomas. "Das habe ich gerne gemacht und jetzt lass uns schon mal raus gehen, vielleicht sind die Prüfer ja schon da."
Und tatsächlich standen die Prüfer bereits im Hangar und begrüßten die beiden Piloten. Auch Balu wurde nicht außen vor gelassen und wurde von jedem der Männer gestreichelt. Insgesamt waren drei Prüfer anwesend, weshalb auch insgesamt drei Helikopter draußen vor dem Hangar bereit standen. Es konnten also immer jeweils drei Prüflinge gleichzeitig ihre Prüfung ablegen und die übrigen Leute trafen nun auch nacheinander ein.
Insgesamt waren es heute neun Prüflinge, demnach drei für jeden Prüfer. Alle kamen sie von unterschiedlichen Stützpunkten, aber auch von unterschiedlichen Organisationen. Nur ein weiterer von ihnen war bei Medicopter angestellt und zwar hier in Berchtesgaden. Die übrigen sechs kamen von der DRF, vom ADAC und einer kam sogar von den Johannitern.
Da sie alle auf unterschiedliche Helikopter-Typen spezialisiert waren, gab es auch dementsprechend die drei verschiedenen, die benötigt wurden. Für Thomas, Biggi und den anderen Medicopter-Piloten war das entsprechende Modell natürlich eine BK-117.
Ein kompletter Neuling war hier niemand, weshalb alle wussten wie so eine Prüfung ablief. Trotzdem waren die Prüfer verpflichtet, die anwesenden Piloten über die bevorstehende Prüfung und die Richtlinien aufzuklären. Obwohl alle das schon so oft gehört hatten, hörten sie auch diesmal aufmerksam zu. Die Prüfungsdauer betrug für jeden 60 Minuten und geprüft wurden sowohl Theorie, als auch Praxis. 15 Minuten waren für einen Check des Helikopters vorgesehen, die restlichen 45 für einen Flug, dessen Route die Prüfer vor gaben. Und jeder flog dabei eine andere, keine Strecke glich sich.
Nach der Belehrung folgte die Zuteilung der Piloten zu ihrem jeweiligen Prüfer und während einer flog, durften die anderen dann nochmal im Hangar auf die Rückkehr ihres Vorgängers warten. Die Ergebnisse wurden dann am Ende gesammelt bekannt gegeben, weshalb alle zwangsläufig bis zum Schluss bleiben mussten. Zuerst riefen die beiden anderen Männer ihren jeweiligen Prüfling auf und nacheinander gingen sie zum jeweiligen Helikopter. Als letzter rief der Prüfer von Biggi, Thomas und dem anderen Piloten von Medicopter seinen ersten Prüfling auf.
"Frau Brigitte Schwerin macht bei mir den Anfang.", lauteten seine Worte und beim Klang ihres Namens zuckte die junge Pilotin zusammen. Thomas spürte, wie sich Biggis Hand verkrampfte, da sie seine Hand seit vorhin nicht mehr losgelassen hatte. Thomas sah die Panik in Biggis braunen Augen und sie war von einem Moment auf den anderen kreidebleich geworden. Jetzt, da es ernst wurde, hatte Thomas schon die Befürchtung sie könnte einen Rückzieher machen oder unter dem Druck zusammenbrechen. Doch Biggi fasste sich gleich darauf wieder und gab die Leine von Balu an Thomas weiter.
"Okay, auf geht's.", sagte er ruhig und nahm seine Freundin nochmal ganz fest in den Arm. "Du packst das, ja? Mach dir auf keinen Fall zu viel Stress, das wird ein Kinderspiel für dich. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir diese Prüfung ablegen müssen.", meinte Thomas zuversichtlich. "Nein, das nicht. Aber noch nie waren die Umstände so mies wie heute. Ich hab nur diese eine Chance, um mich zu beweisen. Wenn das nicht klappt, dann bekomme ich meine Fluglizenz nie wieder zurück. Ihr alle habt einen Zweitversuch, wenn ihr scheitern solltet. Ich nicht.", sagte Biggi.
Denn bei ihr wurde das alles strenger bewertet, schließlich hatte sie die Jahresprüfung dieses Jahr bereits gehabt und auch bestanden gehabt. Nur war sie dann aufgrund von psychischen Problemen und auch aufgrund eines vermeintlichen Medikamentenmissbrauchs suspendiert worden. Damit verstanden die zuständigen Behörden keinen Spaß und deshalb hatte Biggi auch nur diese eine Chance, zu beweisen, dass sie wieder auf der Höhe war. Sowohl psychisch, als auch physisch. Fiel sie durch, dann war es das. Dann bekam sie ihren Pilotenschein nicht wieder und durfte auch keinen neuen mehr machen. Keinen Flugschein für Helikopter und auch keinen für irgendein anderes Flugobjekt. Zumindest nicht, wenn sie beruflich fliegen wollte.
"Biggilein, du kriegst das hin!", stellte Thomas klar. "Das Fliegen liegt dir doch im Blut, hm?" Die beiden sahen sich in die Augen und Thomas sah deutlich die Angst und die Unsicherheit in den Rehaugen, die er so sehr liebte.
"Ich glaube nicht, dass das heute ausreichen wird.", sagte Biggi nachdenklich und senkte den Blick. Doch Thomas hob ihr Kinn an und blickte ihr wieder ins Gesicht. "Das wird ausreichen, glaub mir. So viel Leidenschaft, wie du für deinen Beruf hast, die hat nicht jeder und das ist das Allerwichtigste. Mach alles so wie immer und du wirst mit Bravour bestehen."
Bevor Biggi antworten konnte, mischte sich nun der Pilot aus Berchtesgaden ein. "Es wäre schön, wenn sich Madame dann endlich mal entscheiden könnte, ob sie zur Prüfung antritt oder nicht!", meinte er genervt. "Ansonsten flieg ich gleich einfach, wenn sie nicht den Mumm dazu hat! Ihr Gezögere verlängert das Ganze für uns doch nur unnötig!"
Biggi fühlte sich aufgrund der Worte des Mannes nun noch schlechter. Ihr Selbstbewusstsein war innerhalb von ein paar Minuten wieder komplett zerstört worden. Thomas wollte gerade den Mund öffnen, um den Typen die Leviten zu lesen, aber Biggi war schneller.
"Dann soll er fliegen und gut ist!", schluchzte sie. "Ich werde zu dieser Prüfung heute nicht antreten, das hat doch alles keinen Sinn!"
Und daraufhin riss sie sich von Thomas los und rannte an allen anderen vorbei zum Hangar, durch diesen hindurch und verschwand in der Basis.

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