Kapitel 55

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Auf ihre Frage wohin sie flogen, erhielt Biggi keine Antwort. Doch irgendwann kam ihr der Weg bekannt vor und als ein Gebäude in Sichtweite kam, wurde ihr klar, dass sie richtig lag. Und unweigerlich kamen Erinnerungen in ihr hoch, denn Thomas flog geradewegs zum 'Pilots'.
"Ich dachte wir könnten mal wieder zusammen hier essen, ganz wie in alten Zeiten.", offenbarte Thomas Biggi, als er ihren Blick bemerkte. "Wie zu den Zeiten, als Max uns noch verkuppeln wollte?", fragte Biggi und lachte. Sie war nervös, denn sie erinnerte sich noch ganz genau an ihren letzten Besuch hier, jedoch wollte sie sich nichts anmerken lassen und das gelang ihr gerade ziemlich gut. "Genau.", bestätigte Thomas und musste ebenfalls lachen.
"Was meinst du wird er reagieren, wenn er das mit uns rauskriegt?", wollte Biggi nun wissen. "Er wird wahrscheinlich erstmal umfallen!", erwiderte ihr Freund und erneut lachten sie auf. "Hach ja.. damals hätte ich echt nie gedacht, dass es so eine Wendung nimmt.", gab Biggi zu.
"Ich auch nicht.", pflichtete Thomas ihr bei. "Obwohl ich schon von Anfang an ein Auge auf dich geworfen habe.", fügte er hinzu. "Nur war da immer Vera.", meinte Biggi und bereute diese Aussage sofort, als sie den traurigen Gesichtsausdruck von Thomas sah. "Ja, da war immer Vera.", stimmte er Biggi nachdenklich zu.
"Es tut mir leid, ich.. es war blöd das zu sagen, entschuldige!" Thomas sah kurz zu Biggi hinüber. Sein Blick war wieder weicher und liebevoll, so wie sie es gewohnt war, wenn er sie anschaute. "Es ist doch okay.", beruhigte Thomas seine Liebste. "Ich kann ja auch sagen, dass bei dir dann Enrico war. Und das es letztendlich so laufen musste, dass wir zueinander finden ist natürlich furchtbar, aber es war Schicksal. Anders kann ich mir das alles nicht erklären und eins weiß ich jetzt: Ich lasse dich nie wieder gehen. Die ganzen Chancen, die ich verpasst habe, waren mir Lehre genug.", stellte Thomas klar und setzte nun zur Landung an.
"Und was ist, wenn mich die Mädels nicht als die neue Frau an deiner Seite akzeptieren?" Das war eine Frage, die Biggi schon seit Tagen beschäftigte. Jetzt, wo ihre Zeit in den Bergen langsam zu Ende ging. "Sie lieben dich.", antwortete Thomas. "Das haben sie schon immer und ich glaube nicht, dass dieses kleine Detail daran etwas ändern wird. Sie werden sich nur an das Geknutsche gewöhnen müssen." Daraufhin lachte Biggi erneut auf. Sie sah das Ganze nun wenigstens ein bisschen entspannter.
Schließlich dauerte es nicht mehr lange, bis Thomas die Kufen des Helikopters am Boden aufsetzen ließ und die Landung vollendete. Nacheinander betätigte er die notwendigen Knöpfe, bis die Rotoren vollkommen zum Stillstand gekommen waren. Erst dann setzen er und Biggi ihre Helme ab.
Thomas stieg zuerst aus und lief um den Hubschrauber herum, um seiner Freundin die Tür zu öffnen. "Wie charmant.", merkte Biggi grinsend an. "So bin ich.", erwiderte Thomas und hob Biggi kurzerhand von ihrem Sitz. Die Pilotin lachte. "Du bist so zuvorkommend.", meinte sie, als Thomas sie wieder auf dem Boden absetzte. Er antwortete nichts, sondern küsste sie einfach. Verliebt sahen sich die zwei Piloten in die Augen.
"Komm.", meinte Thomas schließlich und nahm Biggi an die Hand. Gemeinsam liefen sie durch die Wiese bis zum Lokal, vor dem sie kurz stehen blieben. Beide dachten sie an das letzte Mal, als sie gemeinsam hier gewesen waren und Biggi kamen zwangsläufig auch wieder die nicht so schönen Erinnerungen an ihren alleinigen Besuch in den Sinn. Als sie so viel Wein getrunken hatte, um den Schmerz zu betäuben, den der vermutliche Tod von Thomas und die Trennung von Enrico damals ausgelöst hatten. Doch das erste war viel, viel schwerwiegender gewesen und ihr kamen sofort die Tränen.
Biggi umklammerte die Hand ihres Freundes noch fester, als ohnehin schon, nur um sich wirklich zu vergewissern das er bei ihr war. Thomas erwiderte diese Geste, da er merkte, dass Biggi mit den Tränen kämpfte. Ihre Augen glänzten verdächtig. Der erwiderte Druck seiner Hand bestätigte Biggi zusätzlich, dass Thomas unmittelbar neben ihr stand. Wie so oft genügten Blicke. Worte waren nicht nötig, um zu verstehen, was im jeweils anderen vor ging. Das war früher schon so gewesen und seitdem sie fest zusammen waren, hatte sich diese Bindung nochmal um einiges verstärkt.
Thomas wartete geduldig ab, bis Biggis Anspannung nach ließ. Dann ließ er ihre Hand los, legte seinen Arm um sie und so betraten sie letztendlich das Restaurant.
Noch war nicht viel los. Hier und da saßen ein paar Leute, aber es war ziemlich ruhig. "Wo möchtest du sitzen?", fragte Thomas seine Lebensgefährtin, die nicht lange überlegen musste. Sie lief auf den Tisch am Fenster zu, an dem sie und Thomas damals schon gesessen waren und den sie für sich bei ihrem letzten Besuch hier auch auserwählt hatte. Jedoch stand dort ein Schild mit der Aufschrift 'Reserviert' und Biggis Blick trübte erneut ein.
"Schade.", sagte sie, während Thomas nur grinste. Genau in diesem Moment kam ein Kellner auf sie zu, der beiden noch nicht bekannt war. "Guten Abend, kann ich ihnen helfen?", erkundigte sich der Angestellte. "Ja, das können sie. Ich habe einen Tisch für zwei Personen reserviert.", antwortete Thomas. "Ah.. dann sind sie wohl Herr und Frau Wächter, nicht wahr?"
Biggi blickte nun irritiert drein, aber Thomas nickte. "Genau das sind wir.", bestätigte er. "Sehr schön, dann nehmen sie doch gleich Platz. Wir haben den gewünschten Tisch für sie bereits eingedeckt und ein Kollege kommt gleich, um ihre weitere Bestellung aufzunehmen. Der Wein steht wie gewünscht bereits bereit." Der Kellner zeigte auf den Tisch vor ihnen, der wohl für Thomas und Biggi reserviert war. Nur wegen ihnen stand das Schild dort und erst jetzt fiel Biggi auf, dass der Tisch mit Kerzen und Rosenblüten geschmückt war. In der Mitte stand ein Eimer mit Eiswürfeln und einer Weinflasche darin. Gläser und Besteck waren ebenfalls schon vorhanden.  Außerdem stand eine Vase mit wunderschönen Rosen auf der Tischseite, die zum Fenster zeigte.
"Vielen Dank.", sagte Thomas und der Kellner ging. Biggi war sprachlos und starrte ungläubig auf den geschmückten Tisch vor sich. Thomas lächelte und schob seine Liebste einfach noch ein wenig vorwärts. "Darf ich dir deine Jacke abnehmen?", erkundigte sich der Pilot, doch Biggi reagierte nicht. "Schatz?", fragte er belustigt und tippte Biggi auf die Schulter. "Hä.. Was?", fragte Biggi verwirrt. "Ich habe gefragt, ob ich dir aus der Jacke helfen darf.", meinte Thomas grinsend. Biggi war so gefesselt von diesem Anblick gewesen, dass sie kurzzeitig vollkommen abwesend gewesen war.
"Ja.. Ja, klar. Danke.", stammelte die Pilotin und ließ sich von Thomas aus der Jacke helfen. Dieser lief zur Garderobe, um seine Jacke und die Jacke seiner Liebsten aufzuhängen. Als er zurück kam, stand Biggi nach wie vor da und starrte den Tisch an. "Komm, setzen wir uns.", meinte Thomas und nahm Biggi an die Hand, um sie zu ihrem Stuhl zu führen. Diesen zog er ein wenig zurück, damit sie sich setzen konnte und als er Biggi beim Hinsetzen geholfen hatte, nahm er gegenüber von ihr Platz.
"Wie hast du es bloß geschafft, das hier zu organisieren, ohne das ich irgendwas mitbekommen hab?!", platzte es nun aus Biggi heraus und Thomas schmunzelte. "Das war ganz einfach.", antwortete er. "Es brauchte nur ein bisschen gutes Timing und gute Komplizen." Was genau er damit meinte, verriet er Biggi nicht. Stattdessen griff er nach der gekühlten Flasche Wein, um sie zu öffnen. Biggi erkannte alleine schon am Etikett, dass es der Wein war, den sie vor ein paar Jahren gemeinsam hier getrunken hatten. Und es war auch der, mit dem sie den Rausch ihres Lebens herbeigeführt hatte, als sie alleine hier gewesen war. Thomas griff nach ihrem Glas, doch Biggi hielt es mit ihrer Hand zu.
"Für mich nicht.", sagte sie und Thomas musste einfach grinsen. "Hast du etwa Angst, du könntest wie beim letzten Mal als du hier warst, wieder die Kontrolle verlieren?" Biggi spürte, wie sie rot wurde und wandte beschämt den Blick ab. "Karin hat's dir erzählt?", fragte sie. "Hat sie.", bestätigte ihr Lebensgefährte. "Aber keine Sorge, ich werde dir keine Moralpredigt halten. Ehrlich gesagt fand ich die Vorstellung von der betrunkenen und lallenden Biggi ziemlich niedlich. Und heute bin ich ja dabei, also hast du auch keinen Grund mehr, wegen mir zu weinen weil ich nicht da bin. Das musst du nie wieder, ich werde nämlich nicht mehr weggehen. Außer du willst das irgendwann."
Das hatte Thomas Biggi in den letzten Wochen schon mehrfach versprochen, aber dennoch tat es ihr gut, dies nochmal zu hören.
"Das werde ich nicht wollen.", flüsterte Biggi. "Ich will nicht, dass du weg gehst. Niemals wieder.", stellte die Pilotin klar und war erneut kurz davor, in Tränen auszubrechen. Thomas stellte die Weinflasche nochmal ab und griff dann über den Tisch nach Biggis Hand. Fest nahm er sie in seine.
"Dann bleibe ich.", beteuerte Thomas nochmals, und küsste Biggis Hand. "Ich lasse dich nicht nochmal alleine, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist." Und das waren ihm wirklich nur seine Kinder, seine Freunde, das Fliegen und Biggi. Diese Dinge bedeuteten ihm die Welt und er würde sie beschützen, bis ans Ende seines Lebens.
"Ich glaube dir.", antwortete Biggi und Thomas drückte ihre Hand nochmal, bevor er sie wieder los ließ. "Gut, dass das geklärt ist.", meinte der Pilot und nahm wieder die Flasche Wein an sich. "Ich weiß, ich bin schlimm in dieser Hinsicht. Nur.."
Biggi wollte sich erklären, doch dafür sah Thomas überhaupt keinen Grund. "Biggi, es ist doch alles in Ordnung. Du musst dich hier vor mir nicht rechtfertigen und auch vor keinem anderen. Ich sage dir das, was ich eben gesagt habe, auch noch tausend Mal, wenn es sein muss und es dich beruhigt. Auch dann noch, wenn wir beide alt und schrumpelig sind.", stellte Thomas klar.
"Und jetzt? Wie sieht's damit aus?", fragte Thomas und hob demonstrativ die Flasche hoch. "Her damit.", forderte Biggi und ließ Thomas ihr Glas füllen. Als das erledigt war, schenkte er sich selbst ein und dabei merkte er, dass seine Freundin ihn nicht aus den Augen ließ. In ihrem Blick lag etwas verträumtes und liebevolles.
"Ist was?", fragte Thomas ein wenig irritiert. "Nein, ich.." Biggi stoppte und musste über ihre eigenen Gedanken schmunzeln. "Ich hab mir nur gerade vorgestellt, wie du wohl mit grauen Haaren und Falten aussehen wirst.", gestand sie ihm. "Und? Gefalle ich dir?", wollte Thomas wissen und warf sich in Pose. Biggi musste einfach lachen. "Du wirst immer noch der 'Sexiest Man alive' sein, davon bin ich überzeugt!", meinte sie. "Oh, wie schmeichelhaft!", erwiderte Thomas lachend und anschließend nahmen die beiden ihr Glas zur Hand. "Auf einen schönen Abend.", kommentierte Thomas und stieß mit seiner Lebensgefährtin an.
Daraufhin nahmen beide erstmal einen Schluck aus ihrem Weinglas, das sie anschließend wieder vor sich auf dem Tisch abstellten. Kaum waren ihre Hände wieder frei, griffen sie sofort wieder über den Tisch hinweg nach der Hand des jeweils anderen und fest verkeilten sich ihre Finger miteinander. Nun saßen sie also wieder hier, so wie damals, doch es hatte sich so viel geändert. Sie saßen hier nicht mehr als Freunde, die ihre Gefühle füreinander unterdrücken mussten. Nun saßen sie hier als Liebespaar, das in den letzten Wochen schon so viel überstanden und gemeistert hatte. Und alle zwei waren sich sicher, dass sie den jeweils anderen unter keinen Umständen jemals wieder missen wollten. Sie gehörten jetzt zusammen und endlich durften sie sich die Zuneigung und Liebe entgegenbringen, die sie schon seit Jahren füreinander empfanden.
Biggi und Thomas schwiegen und sahen sich einfach nur in die Augen, während sie sich an den Händen hielten. Sie kommunizierten ohne Worte und wussten, was ihr Gegenüber gerade dachte. Das war schon immer so gewesen und gerade genossen sie einfach diese Ruhe, die innerhalb des Lokals herrschte und ihnen ermöglichte, Erinnerungen wach zu rufen. Dabei konzentrierten sie sich jedoch jetzt ausschließlich nur auf die schönen, auch wenn das ziemlich viel Disziplin erforderte.
Gleichzeitig blickten sie aus dem Fenster, vor dem aus sie wie damals direkt auf den Helikopter blickten konnten. Ihr Baby, das sie sich bald wieder miteinander teilen durften, sofern beide ihre Flugtauglichkeitsprüfungen bestanden. Aber das war gerade noch nebensächlich, denn sie hatten nun nur noch Augen füreinander.
Und das wäre wohl auch noch ewig so weiter gegangen, hätte sie einer der Kellner nicht plötzlich unterbrochen. Sie zuckten beide zusammen, als er sie fragte, ob sie schon etwas zu Essen ausgewählt hatten.
Allerdings hatten sie vor lauter Anhimmeln und Liebäugeln vollkommen vergessen, einen Blick in die Speisekarte zu werfen.

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