Kapitel 5 ~Liz~

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Mein erster Arbeitstag verlief alles andere als geplant. So hatte ich ihn mir beim besten Willen nicht vorgestellt. Es gab viele Meetings, Einführungen und letzten Endes saß ich nun völlig erschöpft in meiner Wohnung und packte die letzten Kartons fertig. Samstag sollte nämlich endlich der Umzug nach Hamburg stattfinden. Irgendwie war ich schon ein wenig wehmütig jetzt aus der kleinen Anliegerwohnung bei meiner Tante auszuziehen, aber ich freute mich auch auf den neuen Lebensabschnitt.
„Ich werd’s echt vermissen“, murmelte ich und packte die restlichen Haushaltsgeräte ein. Nachdem ich fertig gepackt hatte, suchte ich mir hier in der Nähe ein Car To Go Auto und reservierte es für morgen früh. Diesmal hatte ich keine Lust wieder zu spät zu kommen. Vor allem nicht, weil Claudia mich morgen das Interview führen lassen wollte. Ich durchsuchte die App und musste leider feststellen, dass hier kein Auto in der Nähe verfügbar sein würde.
„Na ganz toll“, sagte ich als es bei mir klingelte. Verwundert stand ich auf und ging zur Tür. Ich öffnete und meine Tante stand dort vor mir.
„Tante Maddie, alles in Ordnung?“, fragte ich und ließ sie eintreten.
„Ja, alles bestens, nur habe ich dich heute im Radio vermisst. Ich dachte du hättest heute moderieren sollen?“, fragte sie mich.
„Ja, sollte ich auch, nur bin ich mit meinem Auto liegen geblieben“.
„Ach her je. Du willst mir aber jetzt nicht weiß machen, dass du schon am ersten Tag gefeuert wurdest“, sagte sie streng.
„Nein, ich habe stattdessen ein Interview für morgen vorbereiten und das Programm mit geplant“.
„Und dein Auto?“.
„Naja, laut Pannenservice, ist es ein wunder das die Kiste noch fährt. Wenn ich erstmal in Hamburg bin werde ich mich wohl nach einem neuen umsehen müssen“.
„Aber wie willst du jetzt die nächsten Tage zur Arbeit kommen?“, fragte sie und sah mich verwirrt an.
„Ja, das ist so eine Sache…Mietwagen und Carsharing fallen raus, da habe ich schon geguckt“, sagte ich niedergeschlagen.
„Dann nimmst du erst mal meinen Wagen“.
„Aber Tante Maddie, das kann ich nicht von dir verlangen, wie kommst du dann zur Arbeit?“, fragte ich sie ungläubig.
„Das lass mal meine Sorge sein, Hauptsache du kommst von hier weg“, sagte sie und ging. Nach ein paar Minuten kam sie mit dem Autoschlüssel und der Zulassung wieder.
„Danke, das weiß ich wirklich zu schätzten. Du hast so unfassbar viel für mich getan. Ich weiß gar nicht wie ich da je wieder gut machen kann“, sagte ich und fiel ihr um den Hals.
„Ach Liz. Wird einfach glücklich. Das ist alles was du mir jemals geben musst“, sagte sie und ich hatte prompt Tränen in den Augen. Was diese Frau für mich getan hatte, war nicht selbstverständlich, denn der Mensch der ich heute war, hatte sie aus mir gemacht. Mit 11 bin ich von zuhause weggelaufen, da ich es einfach nicht mehr aushielt und Tante Maddie hatte mich mit offenen Armen begrüßt. Es hat viele Monate gedauert, bis das Jugendamt meine Situation erfasst hatte und ich von meinen Eltern wegdurfte. Ihnen war der Alkohol schlicht weg wichtiger als ihre eigene Tochter und ich habe mir geschworen, niemals so zu werden wie sie.
Tante Maddie strich mir sanft die Haare zur Seite und nahm mein Gesicht in die Hände.
„Wird einfach glücklich Liz. Du hast es verdient“, sagte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Sie sah mich einen Moment noch an und ließ mich schließlich in der Wohnung alleine.
Erschöpft ging ich ins Schlafzimmer und ließ mich ins Bett fallen. Ich schloss die Augen und verfiel in einen traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen war ich schon vor meinem Wecker wach, ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es erst kurz vor 2 war. Ich wälzte mich noch ein paarmal mal im Bett umher, stand dann aber doch auf. Heute sollte ich also mein erstes Interview führen und ich war schon irgendwie aufgeregt. Klar hatte ich wären meiner Praktika schon einige selbst geführt, aber nie war ich da in der Position, dass ich die Show leitete.
Gemütlich machte ich mich fertig und da ich heute keinen Zeitdruck hatte, hatte ich sogar noch ausreichend Zeit um zu frühstücken. Ich bekam zwar nur die Hälfte runter, aber der Wille war da. Ich war so nervös, dass ich letztendlich eine halbe Stunde zu früh im Sender war.
In aller Ruhe machte ich mich mit den Computern vertraut und richtete mich ein.
„Hey, du musst Liz sein“, sagte eine männliche Stimme und ich schreckte zusammen.
„Ähm, ja und du bist dann wohl Alex“, stellte ich fest und sah ihn an.
„Genau“, grinste er.
„Freut mich“, sagte ich und reichte ihn die Hand. Ich musterte ihn, aber er war nun absolut nicht mein Typ. Er hatte grüne Augen und rötliche Haare. Er richtete sich mir gegenüber an dem Platz ein und wir besprachen den heutigen Tag. Ich erzählte ihm vom Interview, dass Claudia mich führen ließ und anschließend begangen wir auch schon mit der Morning Show.
Die Zeit verging wie im Flug und es war schon kurz vor 9 Uhr. Gleich wäre das Interview dran. Langsam würde ich doch ein wenig nervös. Um mich abzulenken legte ich mir meine Notizen, die ich mir gestern gemacht hatte, parat. Ich wollte einfach vorbereitet sein. Klar, kann ein Interview immer in eine andere Richtung gehen, als geplant. Aber peinliche Stille war ein absolutes No Go. Ich sah auf die Uhr. 15 Minuten blieben mir noch, also beschloss ich noch einmal schnell zur Toilette zu gehen. Ich nahm mir den schwarzen Adidas Hoodie und zog ihn mir schnell über. Wenn ich nervös wurde, wurde mir leider immer kalt.
Nachdem ich zurück an meinem Platz war stellte ich schon einmal das Mikro ein und begann einen kleinen Testlauf. Bis auf die Lautstärke, die ich dann einstellen muss, wenn gesprochen wird, war ich soweit. Hier und da spielte ich noch ein wenig herum als die Tür leise aufging und Kim den Kopf zur Tür reinsteckte.
„Liz, dein Interview Partner ist hier“, sagte Kim leise.
„Ja, danke. Kleinen Moment ich muss hier eben noch etwas einstellen und dann bin ich sofort für ihn da“, sagte ich und speicherte die Änderungen, die ich vorgenommen hatte.
„Alles gut, bloß kein Stress“, sagte eine mir vertraute Stimme. Ich drehte mich um und Blickte in ein paar braune Augen.
Grinsend sah Wincent Weiss mich an. Oder sollte ich lieber, der Typ dessen Hoodie ich grade trage sagen?

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