Prolog

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„Wenn diese Stunde nicht bald aufhört, dann spring ich irgendwann noch aus dem Fenster, nur um zu sehen, ob ich fliegen kann .."

Ich rutsche noch tiefer in meinen Stuhl und versinke in meinem typischen Montagmorgen-Zustand: bin kurz vor dem Einschlafen in der gemütlichen Atmosphäre der Deutschklasse. Ich höre mit halbem Ohr, wie die Lehrerin vorne vor Begeisterung zu stottern anfängt, wie immer, wenn sie über ein großes Werk der englischen Literatur schwafelt. Nicht dass mich das interessieren würde. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr: Viertel nach zehn. Seufzend ziehe ich meine Tasche unter dem Pult hervor, schiebe die Bücher und Hefte wieder hinein, in die ich keine einzige Notiz gemacht habe.

Frau Phillips kämpft immer noch gegen den Lärmpegel in der Klasse an, murmelt unerschütterlich weiter mit ihrer leisen Stimme.
Einen Augenblick tut sie mir fast leid, die drahtige kleine Lehrerin. Sie gibt sich so viel Mühe, und keiner hört ihr zu.

„Hallo? Könnt ihr vielleicht mal herhören, Leute?"
Frau Phillips fuchtelt mit den Händen vor ein paar Typen ganz hinten in der Klasse herum, die sie völlig ignorieren.

„Hal-lo? Darf ich vielleicht auch mal was sagen?"
Ich lehne an der Wand und stöpsle mir die Kopfhörer meines Handys in die Ohren.

Es interessiert mich null, was sie zu sagen hat, und ich schalte bereits auf Durchzug. Ehrlich, es war mir immer ein Rätsel, wozu Deutsch gut sein soll. Ist ja schließlich meine Muttersprache. Also wozu drei Stunden pro Woche auf eine Sprache verschwenden, die ich bereits kann? Ich raffs einfach nicht.

Frau Phillips stottert weiter, schiebt ihre riesige runde Brille über die Nase hoch und streicht sich mit einer Hand durch ihr dünnes braunes Haar.

Oh Mann, sie braucht dringend ein neues Styling!
„Also, Leute, w-W-was ich euch sagen wollte ...", stottert sie weiter. „Die Deutsch-Abteilung w-w-ill zum ersten Mal seit z-z- zehn Jahren wieder ein Weihnachtsstück aufführen."

Ich schaue überrascht hoch und meine Absicht, so schnell wie möglich aus der Klasse zu verschwinden, löst sich in Luft auf. Ich ziehe einen meiner Ohrstöpsel raus. Ein Theaterstück! Das wär's doch mal. Ich bin plötzlich ganz Ohr.

„Und das Stück, das wir ausgewählt haben, ist Romeo und Julia."

Die Klasse stöhnt. Aber ich schwebe auf Wolke sieben. Romeo und Julia ist meine heimliche Leidenschaft. Als ich noch klein genug für Gute- Nacht- Geschichten war, hat meine Mum immer einen dicken alten Wälzer mit Shakespeare- Stücken hervorgeholt und mir ganze Abschnitte davon vorgelesen ,bis ich eingeschlafen war. Sie wusste, dass Romeo und Julia mein Lieblingsstück war.

Die Sprache verstand ich erst, als ich älter war, aber ich konnte schon mit sechs ganze Passagen aus jedem Stuck auswendig aufsagen.

Ich wollte schon immer Theater spielen. Ich weiß, dass ich dazu berufen bin, Schauspielerin zu werden. Und jetzt habe ich eine Chance, mich zu beweisen. Ein leises Lächeln spielt um meine Lippen. Du schaffst das, sage ich mir.

„M-m-m-iss-is W-walker und ich halten nächsten Dienstag das C-casting ab. Ich hoffe doch, dass ein paar von euch kommen werden ...?", fügt sie unsicher hinzu. Die meisten sind schon aus der Klasse verschwunden.

Frau Phillips sieht enttäuscht aus. Normalerweise rede ich nie mit Lehrern, wenn es nicht unbedingt sein muss, aber diesmal mache ich eine Ausnahme. Das Klassenzimmer ist leer. Ich gehe zu meiner Deutschlehrerin hinüber. Sie hebt den Kopf und schenkt mir ein zerstreutes Lächeln.

„Ich komme aut jeden Fall", sage ich selbstbewusst. Frau Phillips lächelt, und die Freude in ihrem Blick wird durch ihre dicken Brillengläser hundertfach vergrößert. „

Ja", füge ich achselzuckend hinzu, „, Theater spielen ist mein Ding. Ich bin dabei." Ich bin schon auf dem Weg zur Tür, aber plötzlich fällt mir etwas ein, und ich drehe mich noch einmal zu Frau Phillips um. „Aber das heißt nicht, dass ich gern Shakespeare-Texte einstudiere. Ich mag nur dieses spezielle Stück."

Dann gehe ich aus dem Klassenzimmer, ein Lächeln auf dem Gesicht. Eine neue Herausforderung steht an. Und ich liebe Herausforderungen!

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt