14 Kapitel - Genervt von meinen Erzfeind

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Zwei Wochen später gehe ich in die Aula zu meiner ersten Spielprobe für das Stück. Ich bin nicht nervös, weil ich weiß, dass ich meinen Text perfekt beherrsche - nur meine Stichworte sind ein bisschen verwirrend. Aber die Leseproben sind bisher sehr gut gelaufen. Ich musste nicht so oft mit Chris proben, weil die Walker letzte Woche mit Misha und mir an unserem „Rollenverständnis" gearbeitet hat, das heißt, wir mussten das ganze Stück durchgehen und uns damit vertraut machen, wie man Shakespeare liest und interpretiert. Ich kenne die Geschichte in- und auswendig, aber für Misha ist es eine völlig fremde Welt, eine unverständliche Sprache. Ich habe mich drei Nachmittage halb tot gelangweilt, weil wir ständig unterbrechen und Mishas Fragen beantworten mussten, die nach jeder Zeile losjammerte: „Was soll das jetzt wieder heißen? Das ist doch der totale Schwachsinn. Oh Mann, dieser Shakespeare ist vielleicht ätzend."

Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass sie einfach alles hinschmeißen oder ihre Stimme verlieren würde. Aber So viel Glück war mir leider nicht vergönnt. Jedenfalls bis jetzt nicht, Ich war beinahe froh, als die Walker mich herübergerufen hat, um ein paar Szenen mit Chris auszuarbeiten. Bis er wieder einen seiner giftigen Kommentare absonderte, um mir zu zeigen, wie sehr er mich hasst. Und dann wünschte ich Misha und Chris auf den Mond, oder jedenfalls so weit fort, dass ich sie einfach vergessen konnte und nie mehr wiedersehen musste. Aber dieser Traum ging leider auch nicht in Erfüllung. Unglaublich, dass der Typ mir in den letzten drei Wochen zweimal das Leben gerettet hat, denke ich, während ich durch die Halle gehe.

Ich seufze, hieve mich auf die Bühne hinauf und staple die Stühle übereinander, die noch von der Morgenversammlung herumstehen, eine Arbeit, bei der ich gut über das Stück nachdenken kann. Die wenigen Proben, die ich mit Chris zusammen hatte, waren ein einziger Kampf, so viel steht fest. Einmal stand er direkt hinter mir bei einem meiner Monologe, sodass mich sein warmer Atem im Nacken kitzelte. Er wollte mich aus dem Konzept bringen, wartete darauf, dass ich stecken blieb oder ihn zum Teufel schickte. Ich redete weiter, aber plötzlich riss ich meine Hände in einer theatralischen Geste hoch und ließ sie mit voller Wucht auf sein Gesicht heruntersausen, sodass seine Nase ein bisschen blutete. Natürlich spielte ich die Zerknirschte und entschuldigte mich überschwänglich, aber mit so viel Gift in der Stimme, wie ich es mir in Gegenwart von Frau Phillips und Frau Walker erlauben konnte. Innerlich triumphierte ich, und mein ganzes Gesicht schmerzte vor lauter Anstrengung, nur ja keine Miene zu verziehen. Aber Chris hat es mir heimgezahlt. In einer seiner Kampfszenen warf er mich um, ich flog über die ganze Bühne und schlug mir die Knie grün und blau. Mein Gesicht verfinstert sich bei diesem Gedanken, während ich den nächsten Stuhl aufstaple.

Rubens Gesicht taucht vor mir auf und erinnert mich daran, dass ich selber schuld bin. Ich habe mit meiner kindischen Botschaft am Schwarzen Brett das Ganze ins Rollen gebracht, zumindest sieht Ruben es so. Ich arbeite noch ein bisschen schneller, um diese unangenehme Tatsache aus meinem Kopf zu verdrängen, und summe leise vor mich hin.Ich gehe gerade zur letzten Stuhlreihe hinüber, als die schwere Tür am anderen Ende der Aula ein lautes Knarzen von sich gibt. Wahrscheinlich einer von der Theatertruppe, der zur Probe kommt ...

Aber dann erstarre ich mitten in der Bewegung. He, Moment mal, es hat doch noch gar nicht geklingelt.Mir wird angst und bange. Die Tür steht halb offen, aber niemand kommt herein.

„Hallo?" Meine Stimme hallt überlaut in der beklemmenden Stille wider. „Hallo? ... Ist da jemand?"

Wieder nur Schweigen als Antwort. Ich ziehe die Brauen zusammen. „Verdammter Wind .."

Ich kehre langsam zu meinen Stühlen zurück, als die Tür schon wieder knarzt. Das war nicht der Wind. Ich stemme die Hände in die Hüften und gehe zum Bühnenrand vor.

„,He! Du da, hinter der Tür! Verpiss dich, verdammt noch mal, okay? Das ist nur für die Besetzung von Romeo und julia."

Ich warte auf eine Reaktion, aber nichts rührt sich. Nur die alte Tür knarzt wieder, wie zum Hohn. Ich seufze und gehe von der Bühne herunter, um das verdammte Geräusch abzustellen, bevor es mich noch in den Wahnsinn treibt.

„He, du da!", sage ich, während ich auf die Tür zugehe, „ich hab doch gesagt .."

Ich reiße die Tür sperrangelweit auf und pralle fast mit Chris zusammen, der mich unverschämt angrinst.

„Ich hab genau gehört, was du gesagt hast, Anderson, aber ich wollte dich noch ein bisschen zappeln lassen. Ich wollte nur mal sehen, ob die arme kleine Jenny wieder einen Asthmaanfall kriegt ..."

Er starrt mich mit seinen blauen Augen an, und ich muss mich beherrschen, dass ich ihm nicht ins Gesicht schlage. Stattdessen starre ich zurück, meine grünen Augen sprühen Funken vor Wut. Wenn Blicke töten könnten .

„Keine Angst, Chris, ich tu dir nichts, du brauchst nicht um dein erbärmliches kleines Leben zu zittern. Obwohl ich zugebe, dass ich dich am liebsten verprügeln würde, wenn ich nicht so beschäftigt wäre."

Chris folgt mir in den Saal. Er lacht verächtlich und lehnt sich an die Bühne. „Ach nee, Jennylein ist beschäftigt! Wahrscheinlich, weil du das ganze Stück alleine managen musst, was? Und dann noch deine ganzen gesellschaftlichen Verpflichtungen.."

Er runzelt die Stirn und tippt sich an den Kopf, als würde er angestrengt nachdenken, dann schnippt er mit den Fingern.

„He, da fällt mir ein, Jennylein hat ja überhaupt kein Leben außerhalb der Schule... An deiner Stelle würde ich lieber mal in die Stadt gehen, damit du siehst, was du alles verpasst. Spaß haben ist doch für dich ein Fremdwort."

Ich wende mich wieder den Stühlen zu und lasse Chris arrogantes Geschwätz an mir abtropfen.

„Aber nicht, dass du auf falsche Gedanken kommst, Anderson - du wärst echt die Letzte, mir der ich Party machen würde, selbst wenn es die einzige Möglichkeit wäre, ganz Europa vor der Atomkatastrophe zu retten, einschließlich mir selber."

Ich starre ihn an, und mir wird übel von seinem Macho-Gehabe. Ich hasse ihn, wie er da an der Wand lehnt, mit seinem selbstzufriedenen Grinsen. Ich hole tief Luft.

„Oh nein", stöhne ich und schlage mir mit gespielter Verzweiflung die Hand vor die Stirn. „Was soll ich nur tun? Du hast mich durchschaut, du weißt, dass ich ohne dich nicht leben kann! Und ich dachte immer, dass man mir das nicht anmerkt ..." Dann verdrehe ich die Augen und wende mich ab.

„Denken ist nun mal Glückssache, Anderson, besonders wenn man den IQ von 'nem Zaunpfahl hat."

Ich drehe mich wieder um und fauche ihn an: „Willst du, dass ich dir die Knochen breche, oder was?"

„Lern lieber erst mal, mit deinen Aggressionen umzugehen. Gewalt ist keine Lösung, oder hast du das noch nicht gewusst? Dein Vater wird enttäuscht von dir sein."

Die Wut kocht in mir hoch wie eine brodelnde Suppe, und ich würde ihm am liebsten einen Stuhl an den Kopf werfen. Aber ich begnüge mich mit einer weiteren Beleidigung. „Na, und was glaubst du, was dein Vater sagt, wenn er erfährt, dass sein toller Sohn sich von einem Mädchen schlagen lassen hat, noch dazu von einer feigen Anderson! Also wenn du mich fragst - erspar ihm doch einfach die Enttäuschung: Rasier dir den Kopf, zieh deine bescheuerte Uniform an und steh vor irgendeinem Militär -Fuzzi stramm - aber möglichst weit, weit weg!"

Genau in diesem Moment kommt die Walker zur Tür herein und sieht uns beide da stehen, Mordlust in den Augen. Seufzend legt sie ihre Sachen auf der Bühne ab. „Was gibt's denn jetzt schon wieder?", sagt sie kopfschüttelnd. Chris und ich reden gleichzeitig los, aber die Walker hält die Hand hoch, um uns zum Schweigen zu bringen. „Selbst eingeschworene Feinde können einander mit Respekt behandeln", sagt sie und schaut Chris an. „Vergiss nicht, was ich euch am Anfang gesagt habe. Keinen Streit."Ich will schon grinsen, aber da dreht die Walker sich zu mir um. „Und das gilt genauso für dich."

Ich starre wütend auf den Boden. Die Walker weiß genau, wie es zwischen Chris und mir aussieht. Sie weiß, dass unsere Familien seit einer Ewigkeit miteinander verfeindet sind, dass ich Chris für einen eingebildeten Affen halte und er mich für ein hinterhältiges Luder. Warum zwingt sie uns dann, etwas Unmögliches zu vollbringen?

„Hast du mich verstanden, Jen?"

Ich nicke widerstrebend. „Gut."

Die Walker lächelt. „ Vielleicht könnt ihr eure explosive Beziehung für die Aufführung nützen und das Stück ein bisschen aufmischen."

Ich lache lauthals, bis mir plötzlich bewusst wird, das sie es ernst meint. Ich verstumme verlegen.
Die Walker wirft mir einen seltsamen Blick zu, dann Klatscht sie in die Hände. „Also gut! Dann erklär ich euch jetzt mal, was wir heute machen werden ..."

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt