35 Kapitel - Liebeskummer

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Heute steigt die Aufführung. Ich war die ganze  letzte Woche ungewohnt still. Ruben fragt mich immer wieder, was los ist, aber ich will es ihm nicht erzählen. Wahrscheinlich kann er es sich denken.

Ich weiß, dass er total verständnisvoll wäre, aber ich will dieses Gefühl noch eine Weile in mir behalten - dieses leichte, schwebende, träumerische Gefühl, das so high macht, viel mehr, als jede Droge es könnte. Ein Gefühl, als wäre ich etwas Besonderes und würde geliebt, und alles wäre in Ordnung.

Was natürlich Blödsinn ist, aber das will ich mir vorerst nicht einmal selber eingestehen. Ich habe immer wieder versucht, Chris aus meinem Kopf zu verbannen. Es hat nicht funktioniert. Meine Gedanken irren ständig zu dem Kuss zurück, den er mir an jenem Abend in der leeren Aula gegeben hat, und wie supertoll das war.

Jetzt, wo ich merke, dass mein Hass sich in Luft auflöst, kann ich mit einem Lächeln an den Kuss denken, und ein irres Glücksgefühl durchrieselt mich, wie immer in letzter Zeit, wenn ich Chris vor mir sehe.

Ich lächle auch jetzt wieder, während ich im Beleuchterraum sitze und automatisch die richtigen Knöpfe und Hebel bediene, um die Lichter zu regeln. Ich habe den ganzen Tag frei zum Üben, und ich habe schon alle Lichtchecks an den Spielern, den Kulissen und den Kostümen vorgenommen. Jetzt fehlt nur noch das eigentliche Stück, aber vorher muss ich den Nachmittag irgendwie überstehen.

Wieder schleicht sich so ein Chris-Lächeln in mein Gesicht, und ich platze fast vor Glück. Ich lasse die Szene vor mir ablaufen, wie er mich auffängt und schützend seine Arme um mich legt, und schwebe auf Wolke sieben. Ich höre seine Stimme, den besorgten Ton, in dem er mich gefragt hat, ob alles in Ordnung ist.

Aber dann sehe ich den hasserfüllten Blick vor mir, den er mir zugeworfen hat, bevor er gegangen ist, und mein Glück platzt wie eine Seifenblase, denn ich weiß, dass ich ihn niemals bekommen werde.

Mein Herz setzt einen Schlag lang aus, als sei es gestolpert und in das schwarze Loch gefallen, das Chris hinterlassen hat. Es tut so weh, dass ich lieber sterben möchte, als dieses Gefühl noch länger zu ertragen. Alles ist besser als das hier.

„Und ich dachte immer, Liebe ist schön, nicht nur
Schmerz und Leid und Verzweiflung ...", grummle ich vor mich hin.

Ich reiße mich zusammen und räume den Papierkram im Beleuchterraum auf, um nicht ganz in Selbstmitleid zu versinken. Dann lasse ich mich seufzend auf einen Stuhl fallen, und die ganzen widersprüchlichen Gefühle setzen sich wie Staub auf mir ab und ersticken jede Vernunft in mir, bis ich mich wie in einem Gefängnis fühle.

Plötzlich packt mich die Wut. Was zum Teufel ist los mit dir, Jennifer Chloe Anderson? Bist du noch zu retten? Wie kannst du dir einfach dein Leben zerstören lassen - noch dazu von einem Typ wie diesem CHRISTOPHER ARSCHLOCH BANNER? Er stiehlt dir dein Herz, reißt es mitten durch und trampelt mit seinen bescheuerten Kampfstiefeln darauf herum. Er zerstört jedes Vertrauen in dir, sodass du nie mehr fähig sein wirst, richtig zu lieben, und du lässt das zu?

Ich fluche vor mich hin und lege den ganzen Krempel den ich aufgelesen habe, in die Ecke.

Plötzlich kommt jemand hinter mir herein und lehnt sich an die Tür.

„Hey, Jenny-Baby, was 'n los?"

Ich ringe mir ein Lächeln ab und drehe mich um.

„Nichts, Ruben."

Dann stoße ich meinen Drehstuhl wieder zur Bühne herum, wo ein paar Leute proben. Ich will keinen Blickkontakt mit Ruben. Wenn ich nur einmal in seine liebevollen, sanften Augen sehe, werde ich schwach und erzähle ihm alles, und dann ist der Bann gebrochen.

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt