5 Kapitel - Wer spielt Romeo?

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Nach ein paar Minuten sind wir bei unserem Stammcafé. Beim Hineingehen werfe ich automatisch einen Blick zum Tresen hinüber, Der süße Kellner ist da. Ruben hat ihn auch gleich entdeckt und zwinkert mir rasch zu.

„Heiße Schokolade?", fragt er mich. „Ja", sage ich. „Los, schnapp ihn dir, Tiger."

Während Ruben zur Theke geht, schlängle ich mich zwischen den ganzen koffeinsüchtigen Frühaufstehern hindurch zu dem einzigen freien Tisch ganz hinten im Lokal. Ich quetsche mich gerade an einem brechend vollen Tisch vorbei, als mich jemand am Arm packt.

„He, Jen!" Ich drehe mich überrascht um. Es ist Misha Reeves, die italienische Schönheit an der Schule und eine fantastische Schauspielerin, die von allen Mädchen in meiner Klasse heiß bewundert und beneidet wird, Wie immer ist sie perfekt gestylt: schmales, südländisches Gesicht, von langen, glatten, dunklen Haaren umrahmt, und ihre coolen Klamotten betonen ihre superschlanke Figur. Hinter ihr sitzt ihr ganzes Gefolge am Tisch. Alle tun so, als hätten sie mich nicht bemerkt, aber ich weiß genau, dass sie die Ohren spitzen, um sich nur ja kein Wort von unserem Gespräch entgehen zu lassen.

Ich werfe einen raschen Blick auf die Mädchenclique. Jede Einzelne könnte als Model durchgehen - alle mit dem typischen blasierten Model-Schmollmund, alle perfekt gestylt und superschlank. Sie sehen älter aus, als sie sind, mehr wie Studentinnen. Ich merke, dass ich neidisch werde, aber dann schaue ich wieder zu Misha und sehe in ihren Augen dasselbe Gefühl, das mich gerade gegenüber ihrer Clique beschlichen hat, und meine Unsicherheit ist wie weggeblasen.

Ich lächle sie freundlich an. „Hey", sage ich. Misha stellt ihre Kaffeetasse ab und sagt mit einem Glitzern in den Augen: „Du warst super gestern, weißt du das? Herzlichen Glückwunsch, dass du die Hauptrolle gekriegt hast..."

Ihr Katzenlächeln wird immer breiter. Ich höre die falsche Freundlichkeit in ihrem Ton heraus und merke, was hier läuft: Sie ist neidisch. Mein Magen schlägt einen Salto vor Freude. Misha ist tatsächlich neidisch auf mich. Wow! Die Frage ist, wie geh ich jetzt damit um?

Ich lächle wieder und sage ganz beiläufig: „ Danke, das ist nett von dir." Pause. „Und welche Rolle hast du gekriegt?", frage ich dann.

Das Glitzern in Mishas Augen erlischt, aber sie behält ihr Lächeln bei. „Julias Amme!" Julias Amme ist eine große Rolle, und es bedeutet, dass wir ziemlich viele Szenen zusammen haben, aber eine Starrolle ist es nicht. Ich spüre, wie die Spannung zwischen uns steigt, und ich will nicht, dass Misha mir die Freude verdirbt. Kommt gar nicht infrage, dass ich mir ein schlechtes Gewissen einreden lasse. Ich setze ein etwas wärmeres Lächeln auf und sage: „Das ist super! Dann werden wir ja viel zusammenarbeiten, oder?" „Ja." Misha nickt. „,Und du wirst deinen Spaß dabei haben, das verspreche ich dir." Es klingt wie eine Drohung, und ich habe das dumpfe Gefühl, dass die Proben alles andere als lustig sein werden.

Ich lächle Misha an und zucke mit den Schultern. „Also ich denke, ich ..

„Und was sagst du zu Romeo?", schneidet Misha mir das Wort ab. Sie setzt eine besorgte Miene auf, aber sie kann den Triumph in ihrem Blick nicht verbergen. Ich weiß sofort, dass etwas im Busch ist. Selbst Mishas Freundinnen geben sich jetzt keine Mühe mehr, mich zu ignorieren, und starren mich an, warten auf eine Reaktion. Was hat Ruben mir heute Morgen verschwiegen? Da ist doch was faul!

Ich verschränke die Arme vor der Brust und schaue zu Ruben hinüber, der in der Schlange steht. Er ist als Nächster dran, aber es dauert noch mindestens fünf Minuten, bis er bedient wird. Ich will nicht so lange warten, selbst wenn ich vor Misha zugeben muss, dass ich es nicht weiß. Soll sie doch triumphieren!

„Gar nichts", sage ich gespannt. „Ich weiß nicht, wer den Romeo spielt." Ich muss es jetzt einfach wissen. Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. Oh, verdammt, es ist bestimmt der hässlichste Typ an der ganzen Schule. Iiih! Nein, nein, nein ... Ich krümme mich innerlich, aber ich will mir nichts anmerken lassen und reiße mich zusammen.

„Also sag schon, wer ist es?"
„Was? Du weißt es wirklich nicht?"
Würde ich sonst fragen?
„Ahm.. nein. Wer ist es?"
Mishas triumphierendes Lächeln verwandelt sich blitzartig in eine mitleidige Grimasse, und sie schleudert ihre Haare zurück. „Also .."

„Hier, Jen!" Ruben drückt mir einen Becher heiße Schokolade in die Hand. Ich funkle ihn an, aber er tut so, als ob er nichts merkt, und dreht sich zu Misha um. „Hi, Misha! Schöner Tag heute. Also dann, tschüss!"

Er packt mich am Arm und zieht mich an der verdatterten Misha vorbei, manövriert mich zu dem freien Tisch ganz hinten im Café und drückt mich sanft auf einen Stuhl. Ich ziehe wütend die Augenbrauen zusammen und will ihn anschnauzen, aber er ist schneller als ich.

Er hebt beschwichtigend die Hand. „Okay, tut mir leid, Jen. Ich hätte es dir schon eher gesagt, aber ich wusste, dass du dich tierisch aufregst und wie eine Irre herumbrüllst, wenn wir nicht irgendwo unter Leuten sind, wo du dich zusammenreißen musst. Ich wollte, dass du cool bleibst, damit ich mit dir darüber reden kann, ohne dass du total ausflippst."

Ich schnaube verächtlich, aber jetzt wird mir richtig mulmig. „Was soll das heißen, Ruben? Und außerdem ich flippe nie aus!'", zische ich.

Ruben zieht die Augenbrauen hoch. „Ja, klar, wie komm ich bloß drauf? Dann muss ich das wohl geträumt haben, wie du das ganze Haus zusammengebrüllt hast, nur weil Maddy deine Lieblingsschuhe versaut hatte. Oder das Theater, als dein Vater es nicht geschafft hat, rechtzeitig zu deiner Geburtstagsparty nach Hause zu kommen .."

„Da war ich neun!", falle ich ihm ins Wort. Ruben zieht schon wieder die Augenbrauen hoch. „Aber wenn ich mich recht erinnere, hast du trotzdem ein Riesentheater gemacht ..."

Ich schüttle den Kopf. „Ist doch jetzt egal. Komm zur Sache, Mann, bevor ich noch handgreiflich werde."

Rubens Lächeln erlischt, und er starrt auf seinen dampfenden Cappuccino hinunter. Dann räuspert er sich. „Chrisbannerspieltdenromeo."

„Was?", sage ich, weil ich kein Wort von seinem Genuschel verstanden habe.

Ruben blickt sich verstohlen im Café um, Niemand achtet auf uns, alle sind damit beschäftigt, über ihre Hausaufgaben zu stöhnen, mit ihrem tollen Partyleben anzugeben oder irgendwelchen Tratsch zu verbreiten. Ruben knetet seine Hände und starrt auf die verschränkten Finger hinunter. „Vielleicht hätte ich es dir doch lieber unter vier Augen sagen sollen", murmelt er.

„Jetzt sag doch endlich!"
„Chris Banner spielt den Romeo."
Mir bleibt die Luft weg. „Chris ... Banner?", höre ich mich flüstern.

„Tut mir leid, Jen, aber ... äh ... ja. Chris Banner ..." Ruben verstummt und wartet ab, bis ich die Nachricht verdaut habe.

Chris Banner?, denke ich. Chris Banner? Chris Banner?!

Ich starre meinen besten Freund fassungslos an, und meine Stimme zittert leicht, als ich den Mund aufmache, aber ich bleibe ruhig. „Chris Banner? Der Chris Banner? Einer von dieser grässlichen Sippe, die seit einer Ewigkeit mit meiner Familie verfeindet ist, die uns beleidigt und schneidet und schlechtmacht, wo sie nur kann? Der Sohn von diesem Feigling, der meinen Vater, seinen besten Freund, im Stich gelassen hat, nur weil ihm seine Karriere beim Militär wichtiger war? Der Chris Banner, den ich hasse wie die Pest?"

Die letzten drei Worte spucke ich mit einer Gehässigkeit aus, die mich selber schockiert. Ich erkenne meine eigene Stimme nicht wieder. Ruben schaut mich mitleidig an. „Ja. Genau der. Was willst du jetzt tun?"

Ich schüttle langsam den Kopf, während mir verschiedene Möglichkeiten einfallen. Ich könnte das Stück hinschmeißen ... Aber dann wäre ich nicht Julia, hätte meine Traumrolle nicht ... Und dieser Dreckskerl von Banner würde triumphieren, weil er mich aus dem Stück hinausgedrängt hat. Nein, das könnte ihm so passen. Ich weiß, dass ich ihn locker an die Wand spiele, aber die Frage ist, ob ich es verkrafte, mit ihm auf der Bühne zu stehen, ohne ihn in den Hintern zu treten? Was soll ich nur tun?

Ich schaue Ruben an, der mich vorsichtig anlächelt und mir die Hand drückt. Plötzlich will ich meine heiße Schokolade nicht mehr. Mir ist schlecht.Was soll ich tun? Was zum Teufel soll ich nur tun?

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt