AIs ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich wie gerädert. Nichts hat sich über Nacht gebessert. Triefend vor Selbstmitleid schleppe ich mich zu meinem Schrank hinüber und angle eine schwarze Jeans, die nur so strotzt vor Reißverschlüssen, und ein moosgrünes T-Shirt heraus, das meine grünen Augen zur Geltung bringt. Es ist wichtig, dass ich heute gut aussehe. Wenn die ganze Schule über Chris und mich herzieht, muss ich wenigstens kussfähig wirken.
Verschlafen und in düsterer Stimmung ziehe ich meine Kleider an und erhasche einen Blick auf mein Spiegelbild. Trotz der langen, heißen Dusche sind meine Augen trübe und verquollen und von roten Äderchen durchzogen. So wie ich aussehe, will mich bestimmt niemand küssen. Einfach grässlich. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Der Streit mit Ruben hat mich wachgehalten. Und der enttäuschte Ausdruck in seinem Gesicht, der Schmerz, die Kränkung.
Als hätte ich ihm einen Dolch in den Rücken gerammt. Die Worte, die ich ihm ins Gesicht geschleudert habe, gingen mir pausenlos im Kopf herum und hinderten mich am Einschlafen. Immer wenn ich die Augen schloss, tauchte sein Gesicht vor mir auf, und die ganze Szene lief mieten von vorne vor meinem inneren Auge ab.
Ich würde alles dafür geben, wenn ich meine Worte zurücknehmen könnte. Es war doch gar nicht ernst gemeint! Ich war nur so schrecklich durcheinander. Verstört und verwirt von diesem Kuss. Diesem idiotischen Kuss. Und von Chris. Chris. Er ist an allem schuld. Wenn er mich in Ruhe gelassen hätte, wäre überhaupt nichts passiert, und ich könnte ihn in Frieden weiter hassen. Aber nein, er musste mich ja unbedingt küssen, und der Erfolg ist, dass ich zu einer durchgeknallten Kuh mutiert bin, die auf ihrem besten und einzigen Freund herumtrampelt. Oh Mann .
Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar und seufze tief. Die ganze Nacht habe ich darüber nachgegrübelt. Wenn ich ihn doch nur weggestoßen hätte .., wenn wir uns einfach nur auf der Bühne geküsst hätten, wäre das alles nicht passiert ... Aber jetzt ist Schluss. Ich verbanne Chris aus meinen Gedanken. Ich weiß immer noch nicht, was ich von ihm will: Küsse oder Krieg? Ich geb's auf, sage ich mir. Ich werde keinen Gedanken mehr daran verschwenden, ehe ich mich nicht bei Ruben entschuldigt habe.
Alles dreht sich um mich, und ich habe Angst, dass ich voll auf die Nase knalle, wenn ich meine Gefühle genauer erforsche, und dass ich keine Antworten auf meine Fragen finde. Also stopp, ich habe mir gestern einen genauen Plan zurechtgelegt. Ich will warten, bis das Chaos in meinem Kopf sich gelegt hat. Dann will ich mich mit Ruben versöhnen: Und erst dann werde ich über diese vertrackte Situation mit Chris nachdenken.
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Neun nach sieben. Ich beiße mir auf die Lippen. Nur noch elf Minuten, bis Ruben auftaucht und mich abholt. Aber dann sehe ich wieder seinen verletzten Blick vor mir, wie schon tausendmal in den letzten vierundzwanzig Stunden, und das Herz sackt mir in die Magengrube. Er wird nicht kommen, oder?
Ich schleiche auf den Flur hinaus und schließe die Tür so leise wie möglich, aber es nützt nichts.
Maddys Zimmertür, direkt gegenüber von meiner, geht auf, und meine große Schwester steht vor mir. Das ist die Rettung, denke ich lächelnd.
„Jenny!"
Maddy ist ein paar Zentimeter kleiner als ich und hat hellbraune Haare mit blonden Strähnchen und große, grünbraune Augen, so wie ich. Sie ist ein richtiges Energiebündel, selbst um diese Zeit, und jetzt ist sie gerade auf dem Weg zu ihrem Morgenlauf, im Jogginganzug und einem von ihren MP3-Kopfhörern im linken Ohr. Ihre Augen blitzen, als sie mich sieht, und sie breitet grinsend die Arme aus.
Ich lächle schwach zurück und lasse mich von ihr umarmen. Sie drückt mich ganz fest, und ein warmes Gefühl steigt in mir auf. Ich liebe meine Schwester, aber ich spüre, dass es jetzt brenzlig werden kann, und möchte am liebsten die Flucht ergreifen. Maddy lässt mich los und schlingt ihre Arme um meine Taille.
„Schön, dass du wieder da bist", flüstere ich.
„Was macht das Studentenleben? Hoffentlich immer noch alles palleti?"„Ja, super", flüstert sie zurück. „Ich kenne mich jetzt an der Uni aus und muss mir nicht mehr wie der letzte Idiot vorkommen. Nur noch wie der vorletzte."
Maddy lächelt einen Augenblick, aber dann wird ihr Gesicht ernst. „ Und was ist mit dir, Schwesterherz? Mama hat gesagt, dass du gestern zu Hause geblieben bist. Bist du krank?"
Maddy schaut mich ernstlich besorgt an. Mein schlechtes Gewissen wird immer drückender, aber ich schaffe es, mir ein Lächeln abzuringen. „Gestern hab ich mich total mies gefühlt", flüstere ich, „aber jetzt geht's mir wieder gut."
Maddy starrt mich einen Augenblick an, dann schüttelt sie den Kopf. „Nein. Das nehm ich dir nicht ab. Sag mir, was los ist. Wer ist es? Hast du dich mit Ruben gestritten? Mama hat gesagt, dass er gestern ziemlich schnell wieder abgedampft ist. Oder ist es diese Hexe von Misha Reeves? Oh Mann, ihre Schwester war genauso schlimm, das kann ich dir sagen. Die dachte auch immer, sie ist die Größte und dass ihr alles in den Schoß fallen müsste. Also sag
schon, war sie's? Oder ist es jemand anderer?"Ich zögere. „Äh, also beides.." Ich rede zu schnell. Ich konnte Maddie noch nie anlügen, sie sieht mir immer mitten ins Herz, als ob ich durchsichtig wäre. Und jetzt ist das auch nicht anders.
„Also, spuck's schon aus."
Ich seufze, „Es ist wegen Chris Banner."
Maddys Lächeln erlischt, und ihr Gesicht verfinstert sich wie ein Gewitterhimmel. „Banner"
Ich nicke. Na bitte, genau das wollte ich immer vermeiden.
„Ich hab's dir doch gleich gesagt, Jen - lass die Finger von den Banners. Was ist passiert?"
Ich trete unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das mit dem Kuss kann ich ihr auf keinen Fall erzählen. Also was dann? Was soll ich ihr sagen?
„Na ja, er spielt doch den Romeo. Verrat mir mal, wie ich da von ihm wegbleiben soll? Und in den Proben benimmt er sich genauso ätzend wie sonst. Dasselbe alte Riesenarschloch. Gestern war ich so fertig, ich konnte einfach den Gedanken nicht ertragen, dass ich ihm gegenübertreten muss, noch dazu, wo ich mich so beschissen gefühlt hab. Und deshalb bin ich zu Hause geblieben."
Maddy wirft mir einen seltsamen Blick zu, dann hellt sich ihr Gesicht wieder auf. „Gut. Dann sieh zu, dass du ihm heute auch aus dem Weg gehst. Du weißt doch, wie er ist."
Die letzte Bemerkung und Maddys angewidertes Gesicht, wann immer sie über die Banners spricht, versetzen mir einen Stich ins Herz, und ich bin fast ein bisschen gekränkt. Aber ich verbanne den Gedanken irgendwo in meine Fußspitzen hinunter, damit ich es sofort wieder vergessen kann. Ich setze ein fröhliches Gesicht auf und gehe auf die Treppe zu.
„ Also ich muss jetzt los, bis später dann!"
Maddy lächelt, nickt und verschwindet wieder in ihrem Zimmer, um ihre Laufschuhe zu holen, Ich stürze die Treppe hinunter, mit nassen, flatternden Haaren, und setze den Wasserkessel für Mama auf. Die Mikrowellen-Uhr zeigt sieben Uhr vierundzwanzig an.
Ruben kommt tatsächlich nicht. Zum ersten Mal seit vier Jahren. Ich hab alles vermasselt ... ich muss Ruben finden.
Ich rufe meinen Eltern ein hastiges „Tschüss" zu, dann stürze ich in Richtung Café davon.
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Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind
RomanceJennifer liebt es zu Schauspielern. Sie hat die Haupttrolle Julia bekommen in Romeo und Julia. Es könnte eigentlich gar nicht besser sein. Ein Traum wird wahr. Wenn es da nicht den Hacken gäbe, das ihr Erzfeind Christopher den Romeo spielt. Das alle...