12 Kapitel - Gerüchte und Tratsch

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Ein Windstoß knallt die Tür hinter mir zu, als ich in der Mittagspause zu den Elftklässler-Tischen gehe. Eine Woche ist seit der ersten Theaterprobe vergangen. Ich streiche mir meine windzerzausten Haare aus den Augen und blicke mich um, aber ich weiß sofort, dass irgendwas nicht stimmt.

Ruben sitzt bei Helene Johnston, einem Mädchen, das auch in Romeo und Julia mitspielt, und ein paar anderen aus ihrer Clique. Er erzählt Helene anscheinend eine Geschichte, gestikuliert lebhaft und redet schnell. Auf dem Weg zu ihrem Tisch winde ich mich zwischen den quietschenden Stühlen durch, die in Grüppchen zusammenstehen. Der Lärmpegel sinkt plötzlich ein bisschen ab, und ich frage mich, was los ist. Ich lasse meinen Blick durch
den Raum wandern und merke, dass jeder Zweite zu mir her starrt und schnell wegschaut, wenn ich ihn ins Auge fasse. Ich seufze. Warum immer ich? Warum suchen die sich nicht mal jemand anderen, über den sie herziehen können?

So geht das jetzt seit über einer Woche. Egal, wo ich auftauche, die Leute starren mich an, und wenn ich zurückstarre, schauen sie schnell weg. Anfangs war ich total irritiert, aber inzwischen kotzt es mich nur noch an. Das Beste ist, alle zu ignorieren, und mich einfach zu Ruben zu setzen.  Ich beschleunige meine Schritte und gehe hoch erhobenen Hauptes auf ihn zu.

Helene schleudert ihre langen blonden Haare nach hinten und lacht über etwas, das Ruben gerade gesagt hat. Als ich an ihren Tisch komme, lachen sie immer noch. Sie drehen sich um, und Ruben lächelt mir zu und klopft auf den Stuhl neben seinem, um mir zu signalisieren, dass ich mich setzen soll, aber Helenes Miene verdüstert sich.

„Kann ich mich hersetzen?", frage ich sie. Einen Augenblick starrt sie mich an, dann lächelt sie und nickt. „Ja, klar, warum nicht?" Ich setze mich, und wie auf Kommando hören die Mädchen am Tisch zu reden auf und schauen mich erwartungsvoll an. Was wollen sie von mir? Ich fühle mich allmählich wie ein Affe im Zoo.

„Was ist?", sage ich. „Warum starrt ihr mich so an?" Wieder wandern Blicke hin und her, dann macht eine von ihnen, eine Rothaarige, endlich den Mund auf. Es ist Kate Littleton, eine Ballettschülerin, die die meiste Zeit im Tanzstudio der Schule verbringt und ihre Moves übt. Wir grüßen uns, wenn wir uns irgendwo im Flur begegnen, aber ich rede nicht oft mit ihr.

„Soll das heißen, du weißt gar nicht, worüber alle die ganze Zeit reden?", fragt sie. Wieder starren mich alle an. Ich verliere die Geduld. „Seh ich so aus, als ob ich es wüsste? Also sag schon - was ist die neueste Sensation in meinem abartigen Privatleben?"

Kate lacht. Ich schaue sie grimmig an, und sie verstummt. „, Na ja, diese Gerüchte halt", sagt sie schließlich. „Das, worüber alle die ganze Zeit reden."

Ich verstehe nur Bahnhof, Mit einem Gesicht, als würde sie mir ein großes Geheimnis anvertrauen, flüstert sie schließlich verschwörerisch: „Alle sagen, dass du Chris Banner Drohbriefe schickst. Es heißt, dass du einen Riesenkrach mit ihm hattest und ihm eine Rippe gebrochen hast."

Helene mischt sich jetzt ein, die Ellbogen auf dem Tisch aufgestützt. „,Und Misha hat gesagt, dass du bei einem Psychiater warst, weil du mit deinen Aggressionen nicht klarkommst - wegen deinem Dad. Sie hat gesagt, dein Dad hat sich vor ewigen Zeiten mit Chris' Dad gestritten, und jetzt willst du dich an Chris rächen, weil dein Dad seitdem depressiv ist." Sie legt eine bedeutungsvolle Pause ein, beugt sich noch ein bisschen näher zu mir und senkt ihre Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern ab: „Alle rechnen damit, dass du jeden Augenblick durchdrehst."

Ich nehme diese Information halb belustigt, halb empört zur Kenntnis. Als ich den Blick hebe, merke ich, dass alle um mich herum die Köpfe zusammen stecken und tuscheln. Ich schaue wieder auf meine Füße hinunter und seufze. Ich wusste ja, dass die Leute über mich reden, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht. Gereizt schüttle ich den Kopf. Das ist zu blöd, denke ich. Was bildet sich diese Misha eigentlich ein? Dichtet mir einen Psychiater an! Also wirklich. Und alles nur, weil sie neidisch auf mich ist.

Kate beugt sich zu mir herüber, und ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Ruben sieht total verwirrt aus; er wusste offenbar auch nichts von diesen Gerüchten.

Kate fixiert mich mit ihren weit autgerissenen smaragdgrünen Augen. Sie beißt sich auf die Lippen, dann stellt sie mir die Frage, die allen auf den Nägeln brennt: „Und? Stimmt das? Hast du das alles gemacht?"

Ich kann es nicht fassen. Diese Tussis glauben allen Ernstes, dass ich eine gemeingefährliche Psychopathin bin! Jetzt reicht es mir langsam.
Ich stehe auf. Die Mädchen fahren zusammen, als hätten sie Angst, dass ich auf sie losgehe. Ich lache bitter.

„Habt ihr wirklich nichts Besseres zu tun, als über mein Leben zu diskutieren?" Niemand sagt etwas. Ich stoße einen ungläubigen Seufzer aus, drehe mich schnell um und gehe hinaus. Der Flur draußen ist leer. Ich gehe so schnell, dass Ruben rennen muss, um mich einzuholen.

„Warum ich? Warum ziehen sie nicht zur Abwechslung mal über jemand anderen her? Immer heißt es, Jen dies, Jen das, Jen hat Chris mitten auf der Straße zu Brei geschlagen. Schön wär's - als ob ich jemals die Chance dazu kriegen würde! Das liegt nicht nur an mir, verstehst du? Er hasst mich auch! Und er provoziert mich, wo er kann, zum Beispiel, indem er solche idiotischen Gerüchte ausstreut, nur damit ich wieder als durchgeknallte Psychopathin dastehe. Dabei ist er der Psycho, der hinter dem Ganzen steckt! Er soll mich doch einfach in Ruhe lassen und sich um seinen eigenen Kram kümmern. Ich hab die Schnauze voll, verdammt noch mal!"

Ruben stürzt hinter mir her. Ich warte darauf, dass er etwas sagt, aber es kommt nichts. Wenn Ruben so stumm bleibt, weiß ich, was das bedeutet. Es bedeutet, das er nicht sagen will, was er denkt, weil er weiß, dass es nicht gut bei mir ankommt. Und das Schlimmste ist, dass er immer recht hat.

„Sag, was du denkst, Ruben", murmle ich erschöpft. Ruben schüttelt den Kopf. „Es wird dir aber nicht gefallen." „Ich weiß. Sag's mir trotzdem. Ich bin mal wieder unvernünftig oder so was in der Art. Stimmt's?"

Ruben holt tief Luft. „Na ja, also, du behauptest immer, dass du nie anfängst, aber irgendwie trägst du schon zu diesem Getratsche bei. Ich meine, was ist mit der Botschaft, die du neben seinen Namen geschrieben hast ...?"

Ich bleibe stehen und drehe mich um, reiße entrüstet die Hände hoch. „Das war doch ironisch gemeint! Ich will doch nicht, dass er stirbt, Alter! Ich war bloß wütend .. und gedemütigt ... und ... aaah!" Ich wirble wieder herum und gehe weiter. „Ich weiß, das war eine blöde Idee, aber ich wollte doch nicht..."

Der Flur macht jetzt eine Biegung, aber vor lauter Wut sehe ich es nicht.

„Jen!'"

Ich knalle mit voller Wucht gegen etwas Festes, dann weiche ich zurück und verdrehe die Augen. Das hat mir gerade noch gefehlt.

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt