25 Kapitel - Wahre Freunde sind füreinander da

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Die Walker nickt mir mitleidig zu, und ich weiß, dass ich keine andere Wahl habe, ich nicke zurück, traue mich aber nicht, den Mund aufzumachen um zu sprechen, weil ich nicht weiß, was dann passieren wird. Der Kloß in meiner Kehle wird immer dicker, sodass ich fast daran ersticke.

Ich muss hier raus, und zwar schnell. Ich dränge die Tränenflut zurück, die sich hinter meinen Lidern staut, und setze ein breites, wackliges Grinsen auf.

„ Na gut", verkünde ich mit gekünstelter Fröhlichkeit, aber meine Stimme lässt mich im Stich und verrät alles, was ich so verzweifelt zu verbergen versuche. „,Dann geh ich jetzt besser. Hat wohl keinen Sinn, noch länger hier herumzuhängen..."

Ich laufe die Treppe hinunter, an Chris vorbei, der meinem Blick ausweicht, und in den Flur hinaus. Ich höre Schritte hinter mir herkommen. Misha ruft mir etwas nach.

„Jen. Warte! Bist du in Ordnung? Jetzt warte doch!"

Keine Chance, denke ich und stürze davon, als sei der Teufel hinter mir her. Wütend wische ich mir die Tränen ab, die mir in die Augen schießen. Das hat mir noch gefehlt, dass ich mir Mishas gönnerhaftes Geschwätz anhöre, von wegen ich soll es nicht so schwernehmen, ich bin trotzdem eine tolle Schauspielerin und blablabla ... Während sie in Wahrheit triumphiert, dass sie mich aus diesem dämlichen Stück ausgebootet hat.

Ich laufe und laufe, bis mir die Knie zittern und ich mich kaum noch aufrechthalten kann. Ohne es zu merken, bin ich zum Wäldchen gerannt. Meine Füße stampfen weiter über den Boden, aber ein loser Stein bringt mich zum Stolpern. Ich stürze ins feuchte Gras, und dort liege ich wie ein Häufchen Elend und lasse die Tränen fließen.

Ich schaue auf meine Hände. Die eine ist aufgeschürft und voller Dreck und blutet wie verrückt. Die andere ist nur ein bisschen zerkratzt. Ich starre gebannt auf das hervorquellende Blut, bis mir bewusst wird, dass ich keinen Schmerz fühle. Ich lächle bitter bei dem Gedanken. Heute Morgen wollte ich meine Gefühle abschalten, mich betäuben.

Na bitte, jetzt hab ich bekommen, was ich wollte.
Ich höre Schritte hinter mir und erstarre. Ich bin wirklich vom Glück verfolgt, denke ich grimmig. Jetzt werde ich auch noch entführt und bei irgendeinem grässlichen Satanskult geopfert, und dann rufen sie meine Mutter an und fragen sie, welchen Finger sie mir als Erstes abschneiden sollen ...

Plötzlich setzt sich jemand leise ins Gras neben mich.

„Hi" , sagt eine sanfte Stimme.

Ein glückliches Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, und eine Träne rollt mir über die Wange.

„Hi", antworte ich mit brüchiger Stimme.

Ruben nimmt mich in seine Arme und streichelt mir übers Haar, und ich breche von Neuem in Tränen aus.

„Es tut mir so leid", schluchze ich in seinen Pulli. „Es tut mir so schrecklich leid. Ich hab das alles gar nicht gemeint, was ich zu dir gesagt habe, wirklich nicht, und ich kann nicht mehr denken und schlafen und überhaupt nichts, seit ich das gemacht habe. Ich würde alles tun, wirklich alles, das schwör ich dir, nur um ...."

„Psst...", murmelt Ruben beruhigend und drückt mich fest an sich, während ich leise weiter schluchze. „Ist schon gut. Ich verzeihe dir. Ich hab schon verstanden, Jenny. Es ist alles gut."

Ich schniefe ein bisschen, immer noch in seinem Pulli vergraben. „ Es tut mir trotzdem noch leid", sage ich leise.

Ruben lächelt. „Ich weiß, Baby. Und mir tut es auch leid."

Ich hebe den Kopf und starre ihn an, als ob er nicht alle Tassen im Schrank hätte. „Du hast doch überhaupt nichts gemacht. Was in aller Welt soll dir leidtun?"

„Na, wegen dem Stück ...", murmelt Ruben.

Ich kneife die Augen zusammen. „Ich hab alles total vermasselt."

Wieder schießen mir die Tränen in die Augen.
Ich balle die Fäuste, aber meine Hände tun so weh, dass ich nach Luft schnappen muss. Ruben nimmt behutsam meine Hände in seine und begutachtet den Schaden.

„Interessant, dieses Blutflecken-Design. Rot steht dir echt gut."

Ich lache gequält und ziehe meine verletzten Hände weg. Ich betrachte sie und stelle fest, dass das glitzernde Blut bereits geronnen ist. Es wird nicht lange dauern, bis meine Hände verheilt sind und wieder normal aussehen. Ich bete insgeheim, dass ich innerlich auch bald heilen und wieder die Alte sein werde.

Ruben schaut mich mit wissenden Augen an, sein Gesicht ist offen und mitfühlend. Ich bin so froh, dass ich einen Freund wie dich habe, denke ich. Ruben lächelt, bleibt aber ernst. „Und was diese ganze Situation angeht, da muss ich dir recht geben. Du hast wirklich alles verbockt."

Ich lache zum ersten Mal laut hinaus und fühle mich allmählich besser. Ruben lacht auch, dann verstummen wir beide und starren auf unsere Hände hinunter. Ruben hebt mit einem Finger mein Kinn, sodass ich ihn ansehen muss.

„Aber", fährt er leise fort, „so was passiert nun mal. Und jetzt stehst du auf, klopfst dir den Dreck von der Jeans und gehst mit mir ins Stadt Café auf eine leckere heiße Schokolade, in der du deinen Kummer ersäufen kannst."

Ich lächle, aber Ruben sieht mir an, dass ich immer noch nicht ganz überzeugt bin. Sein Gesicht wird wieder ernst. „Keine Sorge, Jen. Alles wird gut, du wirst schon sehen."

Ich umarme ihn noch einmal schnell, um danke zu sagen. „Was würde ich nur machen ohne dich?"

„Das frag ich mich allerdings auch - ich meine, kaum kehrt man dir mal zwei Tage den Rücken, dann schlägst du auch schon Chris Banner k. O."

Ich spiele die Entrüstete und boxe ihn leicht gegen den Arm, aber ich lache natürlich mit. Ruben legt seinen Arm um meine Schulter, und ich entspanne mich und lehne lächelnd meinen Kopf an seine Brust.

Wir schauen in die zunehmende Dunkelheit hinaus, und ich seufze. Gott sei Dank, denke ich, Gott sei Dank hat er mir verziehen.

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt