20 Kapitel - Enttäuschte Freunde

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Keuchend stoße ich die Tür zu unserem Stammcafé auf, in dem es verführerisch nach frisch gemahlenem Kaffee riecht, aber ich achte kaum darauf, sondern lasse meine Augen hastig durch den Raum wandern. Kein Ruben weit und breit. Ich beiße mir auf die Lippen und checke alle Tische noch einmal. Er ist nicht da.

Stattdessen entdecke ich Misha, die sofort aufsteht und sich durch das Gewühle zu mir durchdrängelt. Was in aller Welt verschafft mir diese unglaubliche Ehre? Kannst du mir bitte mal aus dem Weg gehen? Ich will mir echt nicht die Finger schmutzig machen....

Misha schiebt sich an dem letzten Schülerknäuel vorbei und lächelt mich an. Sie fasst mich mit ihren spitzen Hexenfinger am Arm und steuert mich ins Gedränge hinein, während sie in atemberaubendem Tempo auf mich einredet.

„,Hör mal", sagt sie lachend, „das mit dir und Chris - also ich schwör dir, das hab ich nur ein paar Freundinnen erzählt, aber du weißt ja, wie das ist - die eine erzählt's der anderen weiter, immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit, und irgendwann weiß es die ganze Schule...."

„Hast du Ruben gesehen?" Ich bleibe stehen, damit sie mich nicht weiterzerren kann. Misha verdreht die Augen und starrt mich an, wartet auf eine Erklärung. Als ich ihr keine gebe, verschränkt sie die Arme vor der Brust und seufzt. „Warum? Ist er vielleicht eifersüchtig, weil du keine Lust mehr hast, drauf zu warten, dass er endlich normal wird, und dir einen anderen Lover zugelegt hast?"

Ich ignoriere ihr dummes Geschwätz. „Also - hast du ihn gesehen oder nicht?", frage ich noch einmal.

Misha zieht einen Schmollmund. „,Schon möglich. Heute Morgen. Er hat nicht sehr glücklich ausgesehen. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn..."

„Hat er gesagt, wo er hinwill?"

Misha legt eine theatralische Pause ein. „Ich wüsste nicht, warum ich dir das erzählen sollte. Ich meine, ich bin total nett zu dir, obwohl du mich dauernd unterbrichst, aber okay, so bin ich nun mal - viel zu gut für diese Welt. Also ich sag dir jetzt, wo er hin ist, damit du dich vielleicht mal bei mir entschuldigen kannst ..."

Misha verstummt, und es ist offensichtlich, dass sie meine Notlage ausnutzen will, um mich zu einer Entschuldung zu zwingen. Ich könnte heulen vor Wut und Verzweiflung.

„Also gut, es tut mir leid. Und jetzt sag, wo er hin ist", stoße ich hervor.

Misha lächelt wieder und stemmt ihre Hände in die Hüften. „Na ja, er hat nicht direkt gesagt, wo er hinwill, aber er ist in Richtung Park gegangen ..." sie redet weiter, aber ich höre nicht mehr zu. In den Park? Das ist ziemlich weit weg von der Schule, eigentlich näher bei unserer alten Grundschule. Es ist beim „Das Wäldchen!", flüstere ich.

Misha verstummt und glotzt mich an. „ Was?" Ich drehe mich zur Tür um und renne los. Ich höre noch, wie Misha mir nachruft: „Vielen Dank auch!", aber die Tür ist bereits hinter mir zugefallen, und ich renne die Straße hinunter und höre nichts mehr. Das Wäldchen, das Wäldchen ... Er ist garantiert im Wäldchen.

Seit dem Sommer, in dem ich Ruben kennengelernt habe, ist das Wäldchen unser „Geheimplatz", ein Ort, wo uns niemand finden kann und wo wir vor der Welt in Sicherheit sind. Es ist ein verwildertes kleines Waldstück mit ein paar Bäumen und Sträuchern, das ganz in der Nähe des Parks liegt. Immer wenn etwas Wichtiges in unserem Leben passiert ist, sind wir dorthin gegangen, um die Dinge für uns zu klären.

Jetzt komme ich manchmal alleine her, wenn ich mich einsam oder verloren fühle, denn die Bäume hier sind mit den glücklichen Erinnerungen getränkt, die ich mit Ruben teile, und das gibt mir Trost und Sicherheit. Ich weiß dann wieder, dass ich mit diesen Bäumen verwurzelt bin und mit meinem besten Freund, der mich ein Leben lang begleiten wird ... Jedenfalls hoffe ich das.

Als ich hinkomme, ist nichts von ihm zu sehen. Kein Ruben zwischen den Bäumen. Mir bricht fast das Herz, als mir bewusst wird, dass ich vielleicht wirklich unsere Freundschaft zerstört habe.

Ich wische mir eine Träne von der Wange, reiße mich zusammen und gehe in Richtung Schule zurück, und ich bete, dass ich ihn bald finden werde.

Ich verbringe den ganzen Tag damit, Ruben in der Schule zu suchen und dem Getuschel und Getratsche über Chris und mich aus dem Weg zu gehen. Mein Plan war, mich mit Ruben zu versöhnen, aber jetzt ist der Tag fast zu Ende, und ich habe ihn immer noch nicht gefunden. Wo zum Teufel versteckt er sich nur?

Erst kurz vor dem letzten Läuten sehe ich ihn draußen. Ich spurte aus dem Klassenzimmer und packe ihn am Arm, ziehe ihn zu mir herum. „Es tut mir leid", keuche ich. „Es tut mir so leid, Ruben. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich bin nur so wahnsinnig durcheinander. Ich weiß nicht, was mit Chris passiert ist, mein Kopf ist ein einziges Chaos. Ich kann nicht mal sagen, wie ich mich fühle, geschweige denn ..."

„Vielleicht wie ein schwuler Versager, der keine Freunde hat und nichts auf die Reihe kriegt?", unterbricht Ruben mich. Sein Gesicht ist leer und ausdruckslos und seine Augen erschreckend fern. Aber seine Stimme - seine Stimme verletzt mich am meisten. Er redet in einem dumpfe , resignierten, sarkastischen Ton, der so gar nicht zu Ruben passt.

Ich lasse seinen Arm los, sprachlos vor Schock. Ruben dreht sich um und geht weiter. Nein, denke ich. Du kannst jetzt nicht einfach abhauen.
Ich muss das erst in Ordnung bringen

„Ruben'", rufe ich mit erstickter Stimme. „,Bitte tu mit das nicht an! Bitte, bitte. Es tut mir so leid. Ich hab das doch alles gar nicht so gemeint. Das war doch gar nicht ich!"

Ruben dreht sich nicht einmal zu mir um und sagt: „Doch, das warst du, Jen. Ich muss mich einfach damit abfinden, dass du nicht der Mensch bist, für den ich dich gehalten habe."

Ich stehe auf dem Schulhof, und zig Schüler verlassen gerade das Gelände, während ich hilflos mitansehen muss, wie Rubens Rücken in der Menge verschwindet. Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen?

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt