6 Kapitel - Christopher mein Erzfeind

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Ich sitze allein in meinen Klassenzimmer, kochend vor Wut und verfluche Chris Banner. Ich habe kein Wort mehr gesprochen, seit Ruben mir gesagt hat, dass Chris den Romeo spielt, weil ich nicht weiß, was passiert, wenn ich den Mund aufmache - ob ich schreie vor Wut oder fluche, bis mir die Schimpfwörter ausgehen. Ich bin stinksauer auf die Walker und die Phillips.

Warum haben sie diesem Idioten die Rolle gegeben? Der kann doch überhaupt nicht schauspielern. Und wenn ich mir vorstelle, wie er in den schönen alten Romeo-Gewändern aussieht - würg! Außerdem nimmt er das Stück gar nicht ernst, wie ich ihn kenne.

Ich sehe mich in der Klasse um und funkle alle Gegenstände an, als ob sie daran schuld seien, dass Chris der letzte Vollidiot ist. Ich lasse meinen Blick durch den vertrauten Raum wandern: die Filmposter, die überfüllten Bücherregale, die zerkratzten Tische, den sperrigen alten Schreibtisch von Herr Brunner.

Gedankenverloren starre ich auf den Schreibtisch. Er war schon immer hier, seit ich denken kann - mit Bergen von Notizzetteln, Textbüchern und Stiften beladen. Mein Blick fällt auf etwas, das eine Erinnerung in mir wachruft, die ich lieber verdrängt hätte:

Es war mein erster Tag an der Highschool, und ich stand völlig eingeschüchtert vor dem fremden Klassenzimmer.  Es hatte mich schon genug Überwindung gekostet, überhaupt in die Schule hineinzugehen. Aber da war noch Ruben bei mir gewesen, der in eine andere Klasse gesteckt worden war. Ich hatte mich vor seiner Klasse von ihm getrennt und war durch die Flure geirrt, bis ich meine gefunden hatte. Nach außen hin spielte ich die Coole, aber innerlich war ich am Durchdrehen. Als ich mich endlich in meine Klasse hineinwagte, waren schon ein paar Leute da, die sich offenbar alle kannten. Ich setzte mich allein in die vorderste Reihe, direkt vor Herr Brunners Schreibtisch, der damals noch nicht so alt und ein bisschen größer aussah, aber wahrscheinlich nur, weil ich selber noch kleiner war. Ich weiß noch, wie ich da saß und auf meine Hände starrte, ohne mich um die anderen zu kümmern, als mich plötzlich eine Papierkugel im Nacken traf und dann langsam herunterfiel. Ich fuhr herum, rieb mir den Nacken und schaute mich böse in der Klasse um. Aber ich konnte nicht über die ganzen Mädchen hinaussehen, die in der Mitte saßen und lautstark miteinander tratschten. Von dort war die Papierkugel bestimmt nicht gekommen. Ich drehte mich wieder um, strich das Papier glatt und las die Botschaft. Auf dem Zettel stand: Volltreffer, Anderson. An deiner Stelle würde ich gut aufpassen, was hinter meinem Rücken vorgeht, falls du auch nur ein bisschen deinem Vater nachschlägst. Du wirst nämlich bombardiert. Von mir. Die Handschrift sagte mir nichts, und das irritierte mich. Da kennt mich jemand, dachte ich, während ich aufstand, um über die Mädchenclique hinweg in die Ecke hinten zu schauen.  Dort saß ein blonder Junge mit leuchtend blauen Augen und einem selbstzufriedenen Grinsen im Gesicht. Die Wut kochte in mir hoch. Ich setzte mich wieder und kritzelte auf einen anderen Zettel eine Botschaft an den Jungen in der Ecke: Ich bin meinem Vater so ähnlich wie nur möglich, und er ist ein verdammt guter Schütze. Also pass auf dein blödes Gesicht auf, es ist genau in meiner Schusslinie. Dann knüllte ich das Papier zusammen, aber plötzlich erschien es mir nicht schwer genug, um es durch den ganzen Raum zu schießen. Ich schaute mich vorne in der Klasse um, und mein Blick fiel auf einen Gegenstand auf dem Schreibtisch. Auf einem Stapel Papier in der Mitte des Schreibtischs lag ein kleiner Briefbeschwerer aus Plastik in Form eines Buches, mit der Aufschrift Für den besten Englischlehrer der Welt. Ich griff hinüber und nahm ihn hoch. Genau das Richtige. Ich wickelte meinen Zettel um den Briefbeschwerer. Chris schaute mich an, dann sagte er etwas zu seinen Kumpeln, die alle zu mir herstarrten und lachten. Ich packte den Briefbeschwerer und schleuderte ihn mit aller Kraft nach Chris. Er traf ihn am Kopf, und Chris schrie auf. Ich schnappte entsetzt nach Luft. Wie konnte ich nur so was tun? Chris griff sich an den Kopf, und als er seine Hände wieder herunternahm, hatte er Blut an der Stirn. Dann kam Herr Brunner herein. Die ganze Klasse starrte mich stumm und fassungslos an. Herr Brunner sah erst mich an, dann den blutenden Chris, zählte zwei und zwei zusammen und schleppte uns zum Direktor. Wir mussten beide eine Woche lang nachsitzen, und die ganze siebte Klasse zerriss sich wochenlang die Mäuler über uns. Seither weiß jeder, dass Jen Anderson und Chris Banner Todfeinde sind.

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt