33 Kapitel - Ich hasse... liebe.... dich

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Ich halte Rubens Hand, als ich in die Theaterprobe gehe. Ich habe nach dem Club bei ihm übernachtet und bin mit dröhnenden Kopfschmerzen aufgewacht, was natürlich von dem Sturz kommt.

Obwohl ich es gar nicht will, spukt mir dauernd Chris Kuss im Kopf herum. Und dann spielt mein Herz verrückt, und ich fange praktisch zu sabbern an .

Vielleicht liegt es daran, dass ich Chris nicht gleich erkannt habe - das scheint alle Schranken niedergerissen zu haben.

Sein Kuss hat mich verhext, denke ich, als ich den Flur entlang zur Aula trotte, wo ich die anderen reden, schreien und proben höre. Und jetzt krieg ich ihn nicht mehr aus dem Kopf. Das wird allmählich brenzlig.

In einer Woche findet die Aufführung statt, und alle sind in Hochspannung. Einer von der Truppe ruft Ruben zu sich, weil er mit ihm üben will. Ruben drückt mir die Hand, dann schlendert er zu den anderen hinüber.

Ich gehe selbstbewusst zur Walker, die in einem dicken gelben Hefter blättert und vor sich hin murmelt.

„Hi", sage ich.

Die Walker blickt auf und starrt mich verständnislos an.

Mein Selbstvertrauen löst sich in Luft auf.

„Ich bin hier, weil ich die Beleuchtung machen soll, das hatten wir doch besprochen, oder?", sage ich nervös.

Ich spüre, wie die Panik in mir hochsteigt. Mein Gott, ist das peinlich - sie will mich offensichtlich nicht dabeihaben....

„Oder möchten Sie das jetzt nicht mehr?", füge ich schnell hinzu. „Dann kann ich ja wieder gehen ..."

Die Walker lächelt entschuldigend und schlägt sich die Hand vor die Stirn.

„Doch, natürlich! Entschuldige, Jennifer, ich hatte ganz vergessen, dass du die Beleuchtung machst ... es ist alles so hektisch ... so wenig Zeit, und noch so viel zu tun ..."

Ich nicke und folge ihr in den Beleuchterraum, eine Kammer mit einem Fenster, die rechts von der Bühne liegt. Man kann hinausschauen, aber nicht herein.

Ich verfolge mit einem flauen Gefühl die Proben, die auf der anderen Seite der Glasscheibe ablaufen. Alle sehen so aufgeregt aus.

Das Lächeln fällt von meinen Lippen ab. Ich kann
nichts dagegen machen, dass ich mich ausgeschlossen fühle, eingesperrt in dieser kleinen Kiste, getrennt von der prickelnden Atmosphäre auf der Bühne, wo ich jetzt die Julia spielen könnte.

„Hier", sagt die Walker und reißt mich aus meinen Gedanken. Sie schwenkt ihre Hand in dem kleinen Raum herum und deutet auf eine Schalttafel mit zahllosen Knöpfen und winzigen Glühbirnen. Davor stehen zwei Stühle und in einer Ecke ein Tisch für Getränke.

„Du weißt doch noch, was du tun musst, oder?"

Ich nicke und lächle, während ich mich in dem winzigen Raum umsehe. Ich bin mir sicher, dass ich weiß, wie alles funktioniert. Irgendwie bin ich froh, dass ich trotz allem noch an dem Stück mitwirken kann, auch wenn es nicht gerade der Job meiner Träume ist.

Die Walker klappt ihren Hefter auf, blättert hastig darin und zieht mit einer schwungvollen Bewegung eine Textkopie heraus, Die Seiten enthalten Anweisungen für den Beleuchter.

„Das hier ist für dich - Frau Phillips hat alles aufgeschrieben, also wenn du Probleme hast, musst du sie fragen."

Ich nicke. „Danke." Ich stelle meine Tasche ab. „Soll ich jetzt die Lichtwinkel fixieren?", frage ich.

„Das wäre fantastisch!", ruft sie und deutet in die Halle. „Die Leiter steht schon da. Aber sei vorsichtig, ja?"

Ich folge ihr in die Aula zurück und gehe zur Leiter. Frau Walker läuft zur Bühne hinüber und dirigiert die Leute oben herum.

Chris und Misha stehen nebeneinander und proben eine Szene. Ich schiebe die Leiter zu den Lichtern links von der Bühne und klettere langsam hinauf.

Ich lausche auf den Text. Die Szene ..... es ist DIE Szene ...meine Szene! Oh, Gott!

Ich merke, dass ich ins Leere starre, und schüttle mich, dann steige ich weiter hinauf.

Entweihet meine Hand verwegen dich,
Oh Heil'genbild, so will ich's lieblich büßen ..

Ich höre Chris sprechen, seine tiete, ernste Stimme. Ich schließe die Augen, und seine Stimme ist wie eine Droge, von der ich nicht genug kriegen kann - süßer als Honig...

Was hab ich da gerade gedacht? Seine Stimme ist wie Honig? Was ist nur in mich gefahren? Ich schüttle wieder den Kopf.

Er ist doch nur ein ganz gewöhnlicher Junge, sage ich mir. Noch dazu einer, den du hasst, oder hast du das vergessen?

Verwirrt steige ich von der Leiter herunter, um sie zum nächsten Licht weiterzuschieben.

Schau ihn doch nur an - da steht dein schlimmster Feind, alles, was dir aus tiefster Seele verhasst ist. Na los, schau doch einfach mal hin!

Ich bin noch ein, zwei Meter vom Boden entfernt und hebe den Kopf, um in Chris Gesicht zu schauen.

Oh, mein Gott. Er sieht aus wie ein Engel. Alles an seinem Gesicht ist schön, atemberaubend schön - die Art, wie seine Lippen sich kräuseln, wenn er lächelt, die Fältchen in seinen Augenwinkeln, wenn er lacht.

Mein Blick wandert von seinem Kinn zu seinen Lippen, seiner Nase, Wangen, Augen ... diesen unsagbar leuchtenden blauen Augen...Oh, mein Gott!

Plötzlich rutscht mein rechter Fuß von der Leiter ab, und die Leiter knallt mir vor die Füße hinunter.

„Aaaaah!"

Ich stolpere seitwärts, direkt gegen Chris, der mich auffängt, ehe ich neben die Leiter auf den Boden stürzen kann.

Alles in Ordnung?", fragt er mich heiser.

Ich schaue ihm tief in die Augen, blinzle ein bisschen.

Chris ist umwerfend. Er sieht toll aus. Er ist alles, wovon ich je geträumt habe. He, Moment mal, ich hasse ihn doch? Oder nicht?

Ein rebellischer Gedanke schleicht sich in meinen Kopf ein, ehe ich ihn zurückdrängen kann.

Ich liebe dich, Chris.

Mein ganzer Körper bäumt sich dagegen auf, und ich reiße mich aus Chris' starken Armen los. Ich funkle ihn an, und er funkelt zurück.

„Okay", sage ich.

Ich räuspere mich und ziehe meine Jacke gerade.

„Nichts passiert, danke."

„Schade", murmelt er leise und geht auf die Bühne zurück.

Ich lächle und beruhige die Walker und die anderen, dass mir nichts passiert sei, dass ich nur schnell auf die Toilette müsse, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen.

Ich gehe auf die Toilette und starre mich im Spiegel an.

„Das hast du jetzt davon", flüstere ich meinem gequälten Spiegelbild zu.

„Du hast alles vermasselt. Alles. Er mag dich nicht. Er hasst dich, klar?"

Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen schießen.

„Warum kann er nicht jemand anderer sein? Warum muss er ausgerechnet mein Erzfeind sein? Er wird mich nie so lieben wie ich ihn."

Meine Lippe zittert. Die erste Träne rollt über meine Wange.

„Was soll ich nur tun?"

Ich lehne mich an die Wand und sinke auf den Boden. Ich lasse die Schultern hängen und schluchze wie noch nie in meinem Leben. Ich weine mir die Seele aus dem Leib.

„So einz'ge Lieb' aus großem Hass entbrannt!
Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt!"

Shakespeare wusste gar nicht, wie recht er hatte! Wieso musste ich mich nur verlieben? Ich bin so dumm....

Everything is possible - Verliebt in meinen Erzfeind Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt