Kapitel 4

52 6 1
                                    

ALBA

Frank atmete tief aus, nachdem die Tür geschlossen und David gegangen war. Als immer lauter werdende Schritte ankündigten, dass er sich ihr wieder näherte, schloss sie schnell die Augen und stellte sich schlafend. Knapp vor der Couch verstummten die Schritte, Frank stopppte. Er schien tatsächlich zu glauben, dass sie schlief und änderte die Richtung in den einzigen weiteren Raum des Appartements.

Das Quietschen eines Wasserhahns, einen Moment später, ließ darauf schließen, dass es sich bei diesem Raum um das Badezimmer handelte. Der Gedanke daran, nach so einer Nacht eine heiße Dusche zu nehmen, erschien ihr verlockend. Nur zu gerne hätte sie es gehabt, von heißem Wasser umgeben zu sein. Doch die Schmerzen erlaubten es ihr ja nicht einmal, sich aufzurichten. Frank hingegen hatte sich etwas Entspannung redlich verdient, nach allem, was er für sie getan hatte.

Zehn Miuten später durchquerte er den Raum, nur mit einem Handtuch um die Hüften, steuerte die kleine Küchenzeile an und nahm sich ein Glas Wasser, welches er in einem einzigen Zug leerte. Durch zusammengekniffene Augen beobachtete sie neugierig dabei. Sie fühlte sich wirklich schrecklich, und ohrfeigte sich mental dafür, diesen Mann in jenem Moment unheimlich attraktiv zu finden.

So durchtrainiert, wie sein Körper war, war es beinahe unmölgich, ihn nicht anzustarren. Jeder Muskel auf seinem breiten Rücken zuckte und spannte, bei den Bewegungen, die Frank machte. Ihr Blick wanderte weitere auf die muskulösen Arme, als er das leere Glas zurück auf die Arbeitsplatte stellte. Die zu einem Undercut rasierten Haare, durch die er sich fuhr, ließen ihn über alle Maßen verwegen aussehen. Doch bei aller Perfektion war er nicht makellos. Unzählige Narben bedeckten seinen Körper, es waren Schnitt- und Schusswunden. Wer war dieser Mann?

Als spürte er ihre Blicke, drehte Frank sich zu ihr um und fixierte sie. In einer blitzschnellen Bewegung huschte seine Zunge über seine Lippen. Die Augen verengten sich kurz, doch er sagte nichts. Stattdessen ging er hinüber zu einer Stehlampe, neben dem Fernseher, und schaltete Licht ein, weil die Dämmerung einbrach.

Ein merkwürdiger Laut entwich ihm, eine Art dumpfes Brummen, bevor er sich in Bewegung setzte. Aus dem Fach einer Kommode, die an der Wand zum Badezimmer stand, holte er frische Kleidung hervor, um damit für ein paar weitere Minuten hinter der Tür zu verschwinden. Ihr war heiß, ob vom Fieber oder von seinem Anblick konnte sie nicht mit Sicherheit sagen.

Schwarz schien Franks Lieblingsfarbe zu sein. Das neue Outfit, mit dem er ihr wieder vor Augen trat, unterschied sich im Grunde kaum von dem vorherigen. Schwarze Hose, schwarzes Oberteil. Allerdings trug er statt eines Shirts nun einen Hoodie, dessen Reißverschluss gerade so bis auf Höhe der Brust zugezogen war.

"Du kannst hierbleiben, aber du schläfst nicht auf der Couch. Darauf erholst du dich nie." Wieder war ihr nicht klar, ob das seine unbeholfene Art war, einen Scherz zu machen, oder eine vollkommen ernstgemeinte Aussage.

"Ich trag dich ins Bett, aber dazu muss ich dich hochheben. Okay?" Sie nickte stumm im Einverständnis. Er kniete sich vor die Couch, schlug die beiden Decken zurück, die sie bis dahin warmgehalten hatten. Scham überkam sie, als sie sich daran erinnerte, wie wenig Kleidung sie trug.

Frank grinste leicht. "Hab ich alles schon gesehen", versicherte er ihr völlig gelassen. Doch sie hätte sich daraufhin am liebsten in Luft aufgelöst. Sich in dieser Situation überhaupt darüber Gedanken zu machen war absolut lächerlich. Vorsichtig schob er seinen linken Arm unter ihre Kniekehlen und den rechten unter ihr Genick, um sie hochheben zu können.

"Ich kann nicht versprechen, dass es nicht wehtun wird. Aber ich versuche vorsichtig zu sein. Bereit?" Sie nickte und presste die Lippen zusammen. Als Frank sie anhob, fühlte es sich an, als würde ihr Körper jeden Moment in der Mitte zerreißen. Nur mit höchster Konzentration konnte sie sich selbst davon abhalten, nicht vor lauter Schmerz zu schreien. Was für eine dämliche Idee, Davids Angebot, sie ins Krankenhaus zu bringen, abgelehnt zu haben.

Doch Frank trug sie, als wäre sie schwerelos. Seine Arme zitterten nicht einmal, als er sie auf seinen Armen um die Couch herum trug. Das Bett stand dahinter an der Wand. Sie hatte es bisher nur nicht sehen können. Während Frank sie langsam auf die Matratze sinken ließ, ächzte sie. Behutsam legte er ihr die Bettdecke über, um den Schmerz nicht noch weiter herauszufordern. "Das Metamizol sollte langsam beginnen zu wirken", erklärte er und fühlte mit dem Handrücken erneut die Temperatur an ihrer Stirn. "Versuch zu schlafen. Ich nehm die Couch."

"Es macht mir nichts aus, wenn wir das Bett teilen", sagte sie, selbst überrascht von ihren Worten.

Bereits halb vom Bett abgewandt erstarrte er in der Bewegung. "Sicher?"

Die Worte waren einfach aus einem inneren Antrieb heraus über ihre Lippen gekommen. Obwohl dieser Mann in seiner Gesamterscheinung eher einschüchternd war, strahlte er ein Gefühl von Sicherheit aus. Ein Gefühl, wonach sie sich sehnte, ob nun bewusst oder unterbewusst.

Frank gab ein leises Brummen von sich, zuckte mit den Schultern, ging auf die freie Seite des Bettes, legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme unter dem Kopf. "Ich lass das Licht an. Zur Orientierung für dich. Falls du aufwachst", erklärte er.

"Danke."

"Weil ich das Licht an lasse?", fragte er irritiert.

"Weil du mir vermutlich das Leben gerettet hast."

"Ach so", antwortete er tonlos, gerade so, als wäre das keine große Sache gewesen. Gleichzeitig drehten die beiden ihre Köpfe zueinander. Seine tiefbraunen Augen sorgten dafür, dass es sie erneut schauderte.

"Elena", setzte er an. Innerlich krampfte sich alles in ihr zusammen. Sie bereute es, David und ihm diesen Namen vorgegeben zu haben. Sie hasste es, diesen Namen zu benutzen. Es fühlte sich immer total falsch an. "Meinst du, du kannst versuchen, ein bisschen zu schlafen?"

"Ich werde es versuchen, ja."

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt