Kapitel 11

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FRANK

Seit David Elena im Krankenhaus abgeliefert hatte, waren bereits drei Tage vergangen. Wenn es zu Komplikationen gekommen wäre, hätte Doktor Lewis sich bei ihm gemeldet. Da Frank sich sicher. Er kannte den Arzt zwar noch nicht sonderlich lange, und eigentlich auch nur durch einen Zufall über Curtis, hielt ihn jedoch für loyal genug, um in diesem Notfall zu helfen.

Curtis' neues Leben war Frank heilig. Er schonte es, so gut wie möglich, denn das hatte sein engster Vertrauter sich schlichtweg nicht anders verdient. Auch wenn er seine Hilfe nicht verweigert hätte, wenn David mit Elena bei ihm aufgekreuzt wären, wollte Frank die Hilfsbereitschaft seines ehemaligen Kameraden nicht überstrapazieren. Immerhin musste dieser nach wie vor oft genug Hand an Frank anlegen, um dessen Wunden zu versorgen, wenn er selbst sie nicht erreichen und behandeln konnte.

Die Verletzungen der vergangen beiden Nächte ließen sich allerdings ohne fremde Hilfe verarzten. Es waren ohnehin ungewöhnlich wenige Blessuren, obwohl die kleinen Gangster Pulks, die er aufgemischt hatte, schon ordentlich Gegenwehr aufbrachten. Frank wunderte sich ein wenig über seine auf einmal noch schärfen Sinne und Reflexe.

Ein hämisches Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er sich an jedes einzelne Detail der beiden letzten Kämpfe erinnerte. Noch immer konnte er die brechenden Knochen seiner Widersacher hören. Nichts davon war zu bereuen, er fühlte sich kein bisschen schlecht, das hatte er noch nie. In seiner Welt war das, was er fast jede Nacht tat, einfach richtig. In seiner Welt existierte nur die Wahrheit, nicht das Gesetz, denn Letzteres half in diesem Land nur den wenigsten. Er hatte es am eigenen Leib erfahren müssen.

Ja, er hätte damit aufhören können, dafür gab es mehrere Chancen. Doch anfangs wollte er nicht aufhören und dann, als er es wollte, zog das Blutvergießen ihn unfreiwillig an, bis es ihn am Ende wieder gänzlich im Griff hatte.

Er erinnerte sich an die Menschen, die in all die schlimmen Dinge seiner Vergangenheit hingezogen wurden oder ihn in ihre Angelegenheiten verwickelten. Er fragte sich, wie es dieser und jener Person jetzt wohl ging. Vermutlich besser als damals, besser ohne ihn, als mit ihm.

Das vibrierende Smartphone in der linken Hosentasche holte Frank zurück in die Gegenwart. Als er es herauszog, und das Display betrachtete, stand darauf groß Davids Name und darunter etwas kleiner seine Nummer.

"Na das hat ja gedauert", sagte Frank grummelig.

"Dir auch einen guten Abend", entgegnete David gespielt freundlich. Er machte eine kurze Pause, als würde er darauf warten, dass Frank eine nette Begrüßung hinterherschickte. Doch er dachte gar nicht daran und wartete, bis David endlich fortfuhr. "Also, ich habe Elena überprüft."

"Und weiter?"

"Oh, das wird dir nicht gefallen. Wobei, doch, ich weiß, dass es dir gefallen wird, weil es dir eben nicht gefallen wird." Davids Aussage war kryptisch.

"Komm zum Punkt!" Frank hasste es, wenn sich jemand nicht klar ausdrückte. Solche unnötigen Spannungsbögen waren ihm total zuwider.

"Jaaaa doch", schnaufte David. "Eigentlich möchte ich es dir gar nicht erzählen, es wird dich total triggern."

"Das Einzige, was mich triggert, ist dein Rumgedruckse, David!" Gleich verlor er das letzte Fitzelchen Geduld.

"Es gibt nicht einen Eintrag zur Nummer ihres Ausweises, weder bei der Meldebehörde in Washington, noch in irgendeinem anderen staatlichen Register. Anders ausgedrückt, es gibt keine Elena Parker, Frank. Sie ist ein Geist."

Frank rieb sich das Gesicht, es wäre zu schön gewesen, mit seinem miesen Gefühl auch nur einmal falsch gelegen zu haben. Aber wenn man ein Scheiße-Magnet ist, ist man wohl gleichzeitig auch so etwas wie ein Scheiße-Radar.

Am anderen Ende der Leitung vernahm er ein Räuspern. "Bist du noch dran?", fragte David zaghaft.

"Bin ich." Obwohl er sich in Gedanken bereits versuchte einen Reim darauf zu machen. David hatte Recht, die Sache machte ihn wirklich neugierig. Er hatte eine Frau, mit einem gefälschten Ausweis, nach einer Messerattacke zusammengeflickt. Das erschien nicht wie ein Zur-falschen-Zeit-am-falschen-Ort-Szenario.

"Kriminell oder im Zeugenschutzprogramm, was meinst du?", wollte Frank von seinem Lieblingsinformanten wissen.

"Fraaaank," - David dehnte den Namen - "du hast sie doch erlebt. Ich denke, wir müssen nicht davon ausgehen, dass sie eine Schwerverbrecherin ist."

Ja, so kam sie ihm nicht vor. "Was rechtfertigt Zeugenschutz?"

Davids Atem rasselte durch die Leitung und erzeugte ein unangenehmes Knirschen, bevor er antwortete. "Das wird wohl nur sie dir erklären können. Aber, ganz ehrlich, wenn du meine Meinung hören möchtest ... lass es auf sich beruhen. Ihr Leben ist vermutlich schon kompliziert genug, wenn das mit dem Zeugenschutz stimmt."

David hatte Recht, mit dem was er sagte. Die Menschen, in deren Leben er getreten war, wurden am Ende immer verletzt. Entweder körperlich oder seelisch oder sie starben. Das hatte Elena nicht verdient, zumal sie vermutlich bereits Schlimmes durchgemacht hatte. Und bisher konnte er, zumindest was sie betraf, eine geglückte Rettung vorweisen. Das war ein guter Schnitt für jemanden wie ihn.

"Übrigens hat das Krankenhaus mich vorhin kontaktiert, dass Elena morgen entlassen wird. Ich werde sie also abholen und nach Hause bringen", ergänzte David.

Frank kniff die Augen zusammen. "Nein, das wirst du nicht", sagte er mit entschlossener Stimme.

"Wie? Was soll das heißen?" Aus Davids Stimme sprach die pure Verwunderung.

"Wirf ihren Ausweis morgen früh in meinen Briefkasten, wenn du zur Arbeit fährst. Ich fahre selbst zum Krankenhaus." Er hatte keine Lust, sich David zu erklären. Er konnte es sich nicht einmal selbst erklären, doch aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, es selbst tun zu müssen. Oder zu wollen?

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt