Kapitel 23

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FRANK

Als sie ihn das erste Mal berührte, in der zweiten Nacht nach dem Angriff, als sie bei ihm war, konnte er es nicht ertragen. Ihn überkam ein Gefühl von Hilflosigkeit, weshalb er sie damals unterbrochen hatte, aber es dieses Mal nicht zu unterbrechen schaffte. So ließ er zu, dass ihre zarte Hand auf seiner Wange verweilte, während ihn weit geöffnete Augen verständnisvoll ansahen.

Alba wusste definitiv alles, was die restliche Welt auch über ihn wusste, wenn auch vermutlich erst seit kurzem, und sah ihn trotzdem anders an, als alle anderen. Nicht einmal David betrachtete Frank so unvoreingenommen und das, obwohl er ihn in seiner schlimmsten Phase kennenlernte.

Ihr rechter Mundwinkel begann zögerlich zu zucken, bevor sie ihn verlegen anlächelte, was dem schmalen Gesicht etwas mädchenhaftes verlieh. Die gelben Sprenkel in ihren grünen Augen flackerten wie kleine Sterne. Frank kniff die Augen zusammen, um anschließend zu überprüfen, ob seine Wahrnehmung getrübt war. Doch es war so, ihre Augen funkelten und er wollte sich darin verlieren.

Ohne es sofort zu bemerken schüttelte er den Kopf, bei seinem letzten Gedanken, was Alba dazu brachte, ihre Hand zurück zu ziehen und ihn betroffen zu mustern. Dieser Moment zwang ihn emotional tiefer in die Knie, als jede einzelne Sekunde im Krieg und auf seinem Rachefeldzug. Ohne erklärlichen Grund berührte Alba ihn im Herzen, wie es zuvor nur Maria getan hatte, genau genommen sogar noch intensiver, weil die Ausgangssituation viel komplexer war.

"Ich sollte gehen", flüsterte sie leise, ohne die Augen von ihm zu nehmen. Benommen, weil seine Gedanken ihn noch nicht ganz wieder in die Gegenwart entlassen hatten, nickte er, was ihren Blick irgendwie traurig werden ließ.

Alba erhob sich und im Bruchteil einer Sekunde tat er es ihr gleich, was dafür sorgte, dass sie sich erschreckte und unweigerlich zusammenzuckte. Beschwichtigend nahm Frank beide Hände nach oben, um ihr zu signalisieren, dass er nicht vorhatte, etwas anderes zu tun als sich ebenfalls zu erheben. Ihre Stirn bekam ein paar Falten und sie legte den Kopf leicht schief, als versuche sie herauszufinden, was seine Absicht wäre. Damit waren sie dann schon zu zweit, weil er selbst gerade dabei war, das zu ergründen.

Davon, dass sie ihre Ankündigung, zu gehen, in die Tat umsetzen wollte, war nicht viel zu erkennen. Vielleicht war es ihr zu anstrengend, zu ihm aufzusehen, dass sie deshalb plötzlich nicht mehr in seine Augen sondern auf seinen Brustkorb starrte. Doch die Vermutung löste sich in Luft auf, als sie wieder einen Schritt auf ihn zu machte und eine Hand auf die Narbe einer alter Schussverletzung legte, die sich auf seiner linken Brust befand.

Musste diese Frau denn wirklich überall ungefragt hinfassen?, dachte er gequält, sprach es aber nicht laut aus, und hoffte inständig, dass es ihm nicht zum Verhängnis werden würde, als er ihr Gesicht mit beiden Händen umfasste, um sie zu küssen. Vielleicht für eine Millisekunde überrascht von seinem Handeln, ließ Alba den Kuss zu und erwiderte ihn, erst noch sehr zurückhaltend, bald jedoch recht fordernd.

Schneller als beide in der Lage waren, die Situation zu begreifen, hatte sich eine Spannung zwischen ihnen aufgebaut, die sich ohne Rücksicht auf Verluste entlud. Albas Hände wanderten über gefühlt jeden Millimeter seines nackten Oberkörpers, während Frank sie rückwärts in Richtung Bett traktierte.

Er wollte das und wollte es gleichzeitig nicht und fragte sich, wie er aus dieser Sache rauskommen könnte. Das alles war eine ganz miese Idee, die er in aufgestauten Emotionen auf beiden Seiten vermutete, welche in Wahrheit gar nichts mit ihnen zu tun hatte. Das Letzte, was er wollte, war eine Frau mit Problemen, die später zutiefst bereute, etwas mit ihm gehabt zu haben.

Doch Alba machte nicht den Eindruck, dass sie auch nur ansatzweise die gleichen Gedankengänge hatte, denn sie zerrte ungeduldig am Bund seiner Hose und ließ ihren Mund an der Seite seines Halses entlanggleiten, was ihm einen Schauer über den Rücken jagte. "Scheiß egal", flüsterte sie, auf seine Bescheidenheit hin, an seinem Ohr und biss zärtlich hinein, was ihn fast völlig um den Verstand brachte.

Vorsichtig packte er sie mit beiden Händen an den Schultern, um Alba etwas von sich weg zu drücken und prüfend anzusehen. Frank hatte das Gefühl, dass er es ihr schuldig war, sich wenigstens noch einmal zu vergewissern, dass es okay war, was sie damit quittierte, sich selbst die Bluse aufzuknöpfen und ihn eindeutig zu etwas mehr einzuladen.

Scheiß egal war eine ziemlich deftige Bezeichnung für das, was sich dann gar nicht mehr so egal anfühlte.



soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt