Kapitel 41

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ALBA

Ihr eigener Herzschlag pochte Alba in den Ohren. Wie betäubt verließ sie das heruntergekommene Wohnhaus, um sich ein Taxi zu nehmen. Das schicke Outfit, das Sarah ihr geliehen hatte, hatte sie sorgfältig zusammengelegt auf Franks Bett hinterlassen und sich wieder in ihre eigenen Sachen gekleidet. Die Pistole steckte in der Innentasche ihres Trenchcoats, damit niemand sie sehen konnte. Das Gewicht der Waffe wog ungewohnt schwer, ebenso wie ihr Herz.

Der alte Mann, zu dem sie ins Taxi stieg, war ein freundlicher Geselle mit dichtem, weißem Haar, einem sauber geschnittenen Vollbart und einem aufmunterndem Lächeln. Er erinnerte Alba an ihren Großvater, der bereits in ihrer Teenagerzeit verstorben war. So viele Jahre sind vergangen, so vieles ist nicht mehr da. Sie seufzte, nannte dem Taxifahrer die Adresse und lehnte sich zurück. 

Bis nach Williamsburg waren es 30 Minuten, doch die Zeit verging schnell, viel zu schnell. Albas Magen krampfte sich zusammen, als das gelbe Taxi sie durch die sauberen Straßen mit den modernen Gebäuden fuhr und sie ihrem Ziel immer näher brachte. Sie ließ sich von dem alten Mann vor einem Restaurant absetzen, dankte ihm für die Fahrt und bezahlte die Gebühr.

Sie wollte wenigstens bis zur Dämmerung warten, bevor sie sich zu Henderson aufmachte, also nahm sie in dem gemütlichen Gastraum Platz und bestellte sich einen Espresso und ein Glas Wasser. Alba war froh, dass der Brunch bei den Liebermans üppig ausgefallen war und sie etwas gegessen hatte, bevor David mit ihr begonnen hatte zu recherchieren, denn der Hunger war ihr dann komplett vergangen.

Seine Worte hallten noch immer in ihrem Kopf nach: "Wie es aussieht, hat Henderson Firmengelder veruntreut und diese in Waffen- und Drogengeschäfte mit einigen hochrangigen New Yorker Kriminellen investiert."

Alba war der Mund vor Entsetzen aufgeklappt, als sie Davids Anführungen gelauscht hatte. Es machte sie sprachlos, dass dieser Anwalt, von dem sie bis dahin nur Gutes wusste, sein Geld in solche dreckigen Geschäfte gab. Halt! Es war ja nicht sein Geld, sondern dass der Kanzlei.

"Der Anwalt der Gegenseite, in dem Fall, den dein Mann gewinnen sollte, war Luis Soriano, der Henderson bei der Vertuschung der veruntreuten Gelder half. Dafür war Henderson ihm also den Gefallen schuldig, er konnte es sich nicht aussuchen und musste den Fall von Vargas annehmen, weil er einer der wichtigsten Mittelsmänner für alle war. Keiner konnte die einzelnen Banden geschäftlich so gut zusammen halten, wie er", hatte David ihr erklärt, während er diverse Polizeiberichte zu Vargas überflog und mehrere Protokolle irgendwelcher Waffendeals und Drogenverkäufe studierte, von denen Alba nicht einmal wusste, woher er sie bezog.

Am Ende war es aber völlig gleich, wie David an die Informationen gekommen war, alles was Alba ab diesem Moment beschäftigte war, dass Marc und Theo völlig grundlos sterben mussten, weil Henderson sich selbst mit schmutzigen Geschäften bereicherte, obwohl er eine gut laufende Kanzlei hatte, die sich ironischerweise mit wohltätigen Fällen befasste. Dieser Mann war wie Two Face, auf einer Seite der saubere Anwalt und auf der anderen Seite ein widerlicher Scheißkerl.

"Alles in Ordnung bei Ihnen? Kann ich Ihnen noch etwas bringen?", fragte eine Bedienung, von der Alba gar keine Notiz genommen hatte. Die beleibte Damen Mitte 40 sah mitleidig auf sie herab und reichte ihr eine saubere Serviette. Zuerst verstand Alba gar nicht, weshalb sie das tat. Doch dann fühlte sie die Nässe auf ihren Wange, über die ein paar Tränen gelaufen kamen.

"Oh, Verzeihung. Vielen Dank", stammelte sie verlegen, nahm das Papiertuch entgegen und wischte sie eilig damit übers Gesicht. "Bringen Sie mir doch bitte die Rechnung, Miss." Die Bedienung nickte ihr zu und lächelte aufmunternd, dann verschwand sie für einen Augenblick, um Albas Bestellung abzurechnen.

Sie zahlte die Rechnung, den Espresso hatte sie zwar getrunken, aber das Wasser gar nicht angerührt, so versunken war sie in Gedanken. Anschließend machte sie sich auf den Weg zu dem piekfeinen Stadthaus von Henderson, in dessen Fenstern bereits Licht brannte, da es draußen begann dunkel zu werden.

Egal, wie das hier ausgeht, hier wird es enden, dachte Alba betrübt und stieg die sieben schmalen Stufen zur Haustür hinauf.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt