Kapitel 1

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ALBA

Sie rannte so schnell sie konnte. Ihr Leben stand auf dem Spiel, das wusste sie sofort. Gerade als sie in eine Einbahnstraße einbog, erschien seine große einschüchternde Gestalt hinter ihr. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, denn sie wusste sofort, wer er war. Angst durchfuhr ihren gesamten Körper und sorgte dafür, dass ihre Beine sich automatisch noch schneller bewegten. Ihre Pace war weit über ihrem bekannten Niveau. Bald schon schmerzte ihre Lunge von der Anstrengung.

Hektisch scannte sie die Umgebung nach einer Fluchtmöglichkeit, versuchte eine dunkle Ecke zu entdecken, um verschwinden zu können. Doch er war ihr dicht auf den Fersen. Sein Atmen ging schwer und laut, während er sie verfolgte. Es schien hoffnungslos. Verzweiflung ließ ihr Herz rasen bis der Überlebenswille das Kommando übernahm und sie instinktiv durch die gelb beleuchteten Straßen New Yorks leitete, wie ein Kompass.

Mit einer abrupten Wendung drehte sie sich im Sprint zur Seite und huschte zwischen zwei alte Backsteinhäuser. Hätte sie die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, hätten sich die Hauswände berühren lassen. Die ohnehin schon schmale Gasse zwischen den Häusern war vollgestellt mit Mülltonnen, deren Inhalt die Luft mit widerlichem Gestank erfüllte.

Wie für solche Zwischengassen üblich, versperrte ein hoher Drahtzaun den Weg hinaus zur nächsten Straße. Sie fluchte leise und kam zum Stehen. Angespannt drehte sie sich langsam um und beobachtete, wie die dunkle Silhouette des Mannes immer näher kam.

"Heute wirst du deinen Liebsten folgen", krächzte der Kerl unangenehm vergnügt. Er kam immer näher, das Gesicht zu einer höhnischen Grimasse verzogen. Langsam, wie in Zeitlupe, zog er ein Messer aus seiner Jackentasche. Die silberne Klinge schimmerte bedrohlich im schwachen Licht.

"Du hast die falsche Entscheidung getroffen!" Blitzschnell schoss seine freie Hand an ihre Kehle und drückte fest zu. Ihr blieb die Luft weg. Es war unmöglich etwas zu sagen, selbst wenn sie gewollt hätte. Die Hand ihres Angreifers schloss sich wie eine eiserne Manschette um ihren Hals.

Mit der geballten Faust schlug er ihr in den Magen, wieder und wieder. Die Schläge trafen sie so hart, dass sie glaubte, sich jeden Moment zu übergeben. Es fühlte sich an, als würde jegliche Kraft aus ihr weichen, je öfter der Typ zuschlug.

"Du hättest nicht zurückkommen dürfen." Noch während er die Worte sprach, bohrte sich das Messer tief in ihren Bauch. Ihr Gehirn hatte größte Mühe, seine Worte und den Schmerz gleichzeitig zu verarbeiten. Unfähig zu reagieren, konnte sie es nur geschehen lassen.

Als ihr Verstand realisierte, was gerade geschehen war, fühlte sie bereits warmes Blut aus der Wunde austreten. Der Schmerz schien ihr das Fleisch zu verbrennen, als das Messer sich zurückzog. Der Mann löste den Griff von ihrem Hals und sie schnappte augenblicklich nach Luft. Bestürzt starrte sie in sein böses Gesicht und presste die Hände fest auf die stark blutende Wunde in der Mitte ihres Körpers.

"Glaub mir, tot bist du ohnehin besser dran." Seelenruhig zog er ein Tuch aus der Hosentasche, um das Blut vom Messer zu wischen, während sie langsam auf den Boden sank. Hämisch spuckte er aus. Die Spucke landete direkt neben ihr auf dem Asphalt. Dann drehte er sich um und verließ pfeifend die schmale Gasse zwischen den zwei roten Backsteinhäusern.

Die Kälte der Nacht kroch ihr in den Körper, ließ sie zittern. Der Blutverlust sorgte dafür, dass ihr Organismus allmählich außer Kontrolle geriet. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, schleppte sie sich aus der Gasse hinaus auf den Gehweg. Nur widerwillig folgten die Beine der Aufforderung ihres Hirns, sich zu bewegen. Die Hände waren bereits glitschig vom Blut. Fest auf die Wunde zu drücken, fiel immer schwerer. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen, und ihr Kreislauf war kurz davor sich zu verabschieden.

Wie sie den Gehweg erreichte, durchflutete sie eine neue Welle der Panik, als sie links im Augenwinkel die Umrisse einer Gestalt wahrnahm. War es der Angreifer? War er zurück gekommen, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich sterben würde? Ihr inneres Alarmsystem riet ihr zur Flucht. Doch Flucht war keine Option, ihre Kraft war aufgebraucht. Noch während sie überlegte, wie sie aus dieser Situation herauskommen könnte, wurde sie ohnmächtig.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt