Kapitel 26

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ALBA

Frank war nicht dumm und natürlich hatte er schon längst etwas gewittert, als er hinterrücks nach ihrem Namen recherchierte, sodass er schnell eins und eins zusammenzählen konnte. Alba räumte sich sogar selbst ein, ihn aufgrund eines inneren Drangs in diese Richtung geführt zu haben. Obwohl sie nicht wollte, dass er sich in diese Angelegenheit einmischte, fand sie den Gedanken tröstlich, dass es jemanden gab, der ihr Leid verstand, weil sein eigenes nicht geringer war.

Er saß nah bei ihr, zum Greifen nah, und für einen Moment wünschte Alba sich, dass die beiden in einer Partnerschaft wären, damit sie sich einfach bei ihm anlehnen und die Wärme spüren könnte. Doch das, was eben gelaufen war, war nichts Ernstes. Sie wusste, dass sich dabei nur Spannung abgebaut hatten, die sich anderswo aufgebaut hatte.

Frank musterte sie erwartungsvoll, er wollte sie ganz offensichtlich nicht drängen. Doch Alba zweifelte nicht daran, dass er nicht locker lassen würde. Aber wie sollte man Worte für etwas finden, wenn schon die bloßen Gedanken daran dafür sorgten, dass sich einem die Kehle zuschnürte?

Um das Ganze noch etwas länger heraus zu zögern, hob sie ihre Hose vom Boden neben dem Bett auf und zog sie in Ruhe an. Dann setzte sie sich zurück, direkt neben Frank, winkelte die Beine vor ihrem Körper an und angelte sich einen Zipfel der Bettdecke. Ihre Gedanken drifteten ab, während sie den Stoff mit den Fingern knetete.

Alles komplett wieder auf zu rollen könnte sonst was mit mir anstellen, dachte sie stumm. In all der Zeit hatte sie sich immer nur kurze Sequenzen eingestanden, da diese schon schlimm genug waren und sie fast um den Verstand brachten. Womöglich würde die Vergangenheit aber auch ihre Macht über sie verlieren, wenn Alba darüber sprach. Sie hatte es schließlich nie versucht.

Es dauerte nicht lange, bis sie die Szenen so realistisch vor Augen hatte, als wäre alles eben erst geschehen. Albas Herz begann zu rasen, aus Angst davor, was passiert, wenn sie sich erlaubte, mehr als nur kurze Fragmente der Erinnerungen zu zu lassen.

"Marc war Anwalt, hier in New York, bei Henderson und Partner. Er war ein guter Mensch, der sein Gehör ausschließlich ebenso guten Menschen schenkte, denen Unrecht getan wurde. In seiner Kanzlei stand er mit Abstand ganz oben an der Spitze, was die Erfolgsquote betraf, und war das Aushängeschild der Kanzlei. Nicht zuletzt, weil er unschlagbar darin war, stichfeste Fakten offen zu legen." Alba pausierte kurz, um einen flüchtigen Blick zu Frank zu werfen, der sie mit ausdrucksloser Mine ansah.

Dann fuhr sie fort. "Wir haben nie viel über die Arbeit gesprochen, denn ich wusste immer, dass Marc rechtschaffen ist und Gutes tut. Bis es zu einem besonders schwierigen Fall kam. Ich dachte zuerst, die Schwierigkeit bestünde darin, brauchbare Fakten zu finden. Doch Marc wurde immer gereizter. Obwohl er stets eine klare Linie zwischen Beruf und Privatleben ziehen konnte, gelang es ihm ab da an nicht mehr. Als ich eines Tages fragte, was so an ihm nagte, wurde er ungehalten. Spätestens da war mir klar, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging."

Alba schauderte bei dem Gedanken daran, wie fahrig Marc an dem besagten Abend gewesen war. Obwohl er ein herzensguter Mensch und immer sehr bedacht war, schrie er sie an und zeigte eine völlig unbekannte Seite von sich. Frank räusperte sich leicht und holte Alba damit zurück in die Gegenwart.

"Es entsprach nicht seinem Naturell, ungehalten zu sein, also habe ich ihn solange bearbeitet bis er zumindest ein bisschen was erzählte. Man hatte ihm einen Fall aufs Auge gedrückt, den die Kanzlei nicht ablehnen konnte, weil damit ein Gefallen eingefordert wurde, der nicht ausgeschlagen werden durfte. Weil Marc der erfolgreichste Angestellte war, ging die Sache an ihn."

"Was war das für ein Fall?", wollte Frank wissen und klang absolut ernst.

"Kein guter, deshalb zermürbte ihn die Sache auch so sehr. Der Mandant war ein Krimineller, in unzählige Delikte verstrickt, ohne einen Funken Reue für irgendeine seiner Taten, der freigesprochen werden sollte. Henderson persönlich bläute Marc ein, dass er diesen Fall zu gewinnen hatte, koste es, was es wolle. Irgendwann erzählte er mir von diesem Dilemma, weil er so etwas Unethisches einfach nicht machen konnte."

"Wie ist der Fall ausgegangen?"

"Marc konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, jemanden als unschuldig darzustellen, der es nicht war. Am Ende hat er damit den Gefallen, den seine Kanzlei der Gegenseite schuldete, nicht geleistet und seinen eigenen Mandanten hinter Gitter gebracht."

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt