Kapitel 21

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FRANK

"Sie war so traurig", sagte er nach einem tiefen Seufzer zu David, der am darauffolgenden Montag nach der Arbeit bei ihm vorbeigekommen war. Die beiden hatten sich mit einem Bier auf der Couch niedergelassen und Frank hatte David über das Wiedersehen mit Alba berichtet.

"Du meinst, bevor du ihr versehentlich offenbart hast, dass du spioniert und dadurch ihren richtigen Namen herausgefunden hast?", witzelte David und nahm einen großen Schluck aus der Bierflasche.

Resigniert rieb Frank sich das Gesicht, legte den Kopf nach hinten auf die Lehne der Couch und sagte ernst: "Das ist alles nicht lustig."

Sein alter Freund tat es ihm gleich, lehnte sich ebenfalls nach hinten und heftete den Blick an die Zimmerdecke. Als er den Kopf nach links drehte, um Frank anzusehen, sprach er leise: "Du gibst sonst nie etwas auf andere, warum beschäftigt dich diese Sache so?"

Frank schloss die Augen und dachte einen Moment nach. Er erinnerte sich zurück an den Moment, als Alba auf dem Gehweg zusammenbrach. Er wusste sofort, dass diese fast schon zerbrechlich wirkende Frau es nicht schaffen würde, durchzuhalten bis der Rettungsdienst eingetroffen wäre. Und ja, er hatte den Impuls, sie in den SUV zu laden und ins nächstgelegene Krankenhaus zu bringen, aber er war doch nicht wahnsinnig. Zum einen wollte er die Blicke der Leute nicht auf sich haben, zum anderen war völlig unklar, wie andere es auffassen würden, wenn jemand wie er mit einer halb verblutenden Frau in die Notaufnahme spazierte.

Er hatte sie liegen sehen und sie nicht sich selbst überlassen können, damit wurde sie zu seiner Angelegenheit. Dann roch er, dass irgendetwas nicht stimmte und hier waren sie nun. Doch Frank ließ seinen Kumpel nicht an diesen Gedanken teilhaben, sondern grummelte nur tief, bevor er einen weiteren Schluck Bier trank.

David hob den Kopf von der Lehne und schnippte mit den Fingern. "Was ist mit ihrem Auto? Es steht doch noch in Harlem, oder?" Frank nickte stumm, sodass er sofort weitersprach: "Was, wenn du ihr anbietest, sie zu fahren, damit sie den Wagen holen kann?"

Frank verzog gequält das Gesicht. "Dieser Jay ist doch jetzt bei ihr."

"Ach, richtig. Mh ..." Nachdenklich fuhr David sich durch das zerzauste Haar.

"So wie der mich angesehen hat, wusste er sofort Bescheid, wer ich bin. Er hat ihr sicher davon erzählt." Der schockierte Blick, den ihm dieser Brillenträger zugeworfen hatte, als er ihn in Albas Wohnung sitzen sah, sprach Bände. Aber warum hatte sie ihn eigentlich nicht erkannt?, wunderte Frank sich.

"Denkst du wirklich, dass sie nicht weiß, wer du bist?", sprach David genau diesen Gedanken laut aus.

Frank zuckte mit den Schultern. Als sie bei ihm war, wirkte sie eher interessiert und neugierig, trotz der Schmerzen, die sie hatte, und gestern Abend kam es ihm mehr so vor, als wäre sie schockiert und eben verärgert, dass er ihr in die Quere gekommen war. Aber zu keinem Zeitpunkt hatte Frank das Gefühl, dass Alba wusste, wer er war. Sie sah ihn einfach nicht so an, wie Leute ihn eben ansahen, wenn sie ihn erkannten.

"Wenn es dir nicht egal ist", setzte David an, "beudetet es vielleicht, du erlangst deine Gefühle zurück." Noch lange nachdem David an dem Abend gegangen war, beschäftige Franke diese ausgesprochene Vermutung so sehr, dass er die Nacht über die furchtbarsten Träume hatte.

Er träumte von Maria und den Kindern, von der unbeschwerten Zeit, die er so liebte, aber auch von den Tagen, nach denen er aus dem Krieg zurückgekommen war und ihn die widersprüchlichsten Gefühle fast zerrissen. Unter diese Szenen mischten sich Bilder und Erinnerungen von Karen, die nicht weniger aufreibend waren, auch wenn er sie nicht so geliebt hatte, wie seine Familie. Bis er letztendlich seinen größten Verlust, den seiner Familie, im Traum zum unzähligsten Mal erneut durchlebte.

Als Frank in der darauffolgenden Nacht eine weitere Horde Scheißkerle ins Jenseits beförderte, gesellten sich Trauer, Wut und Hass zu seiner routinierten Selbstjustiz, sodass der Kampf wilder und undurchdachter war als gewöhnlich. Er kassierte mehr Schläge als er austeilte und hatte große Mühe, nicht den Verstand zu verlieren. Doch am Ende blieb nur er übrig, er und eine hässliche Wunde von einem Streifschuss, die seinen linken Oberarm enorm in Mitleidenschaft zog.

Den linken Arm verletzt zu bekommen war immer wie ein Sechser im Lotto, weil es bedeutete, dass Frank sich selbst verarzten konnte und Curtis nicht um Hilfe bitten musste. Besonders nach diesem furchtbaren Kampf wäre er mehr als ungern zu seinem ehemaligen Kameraden gegangen, der sofort bemerkt hätte, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

Gerade als Frank die Nadel ansetzen wollte, um die Blutung endlich zu stoppen, klingelte es an seiner Tür.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt