Kapitel 15

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FRANK

Jedes Mal, wenn er die Upper West Side entlang fuhr, weil es der schnellste Weg von Hell's Kitchen nach Harlem war, wo Frank in den letzten Tagen auf der Lauer einer kleineren Bande lag, musste er an Elena denken. Sie war eine Fremde, er hatte ihr etwas Gutes getan und wusste, dass er die Punkte dafür auf seinem Karmakonto verbuchen und dieses merkwürdige Gefühl, was sie betraf, im Keim ersticken sollte. Allerdings hatte er ein paar Puzzleteile über ihre Person, die allesamt nicht zu einander passten und das ließ ihn nicht mehr los.

Nachdem er gesehen hatte, wo diese Frau lebte, kam es Frank umso komischer vor, dass sie durch West Harlem joggte, statt in der sicheren Gegend westlich vom Central Park zu bleiben, wo sich ihre Wohnung befand. Wie irre konnte man sein? Und was hatte es mit diesem falschen Personalausweis auf sich? Er verstand es einfach nicht und musste es ja im Grunde auch gar nicht verstehen, konnte jedoch nicht aufhören, darüber nachzudenken. Ohne es zu bemerken, grübelte er die gesamte Fahrt über sie.

Es dauerte einen Moment, bis Frank begriff, dass das dumpfe Brummen, was sich unter den schrammeligen, alten Rocksong mischte, der aus dem Autoradio plärrte, von seinem Smartphone kam. Nach einem prüfenden Blick aufs Display, runter in die Ablage neben dem Schalthebel, erkannte er Davids Nummer und tippte den grünen Hörer am Lenkrad, um die Freisprechanlage zu aktivieren und sagte: "Schlechtes Timing."

David ließ sich davon allerdings gar nicht beirren und plapperte einfach drauf los. "Mir ist gestern eingefallen, dass ich mir die Aufzeichnungen der Überwachungskameras aus dem Krankenhaus besorgen könnte, von dem Tag, als du Elena abgeholt hast."

"Hä?" Frank konnte seine Verwunderung nicht verbergen.

"Na um einen Screenshot von ihr machen und diesen durch die Gesichtserkennung schicken zu können", erklärte David, als würde er mit einem dummen Schuljungen sprechen. Frank verzog das Gesicht, auf die Erklärung hätte er auch selbst kommen können.

Davids Stimme bebte regelrecht vor Freude über seine eigenen Fähigkeiten, er liebte solche Nachforschungen einfach immer noch, weil sein neuer Job längst nicht mehr so spannend war, wie sein alter als Informant. "Na jedenfalls dachte ich erst, die Sache sei aussichtslos, denn die Software suchte und suchte, fand aber nichts. Doch dann gab sie einen Link aus, zu einem Foto eines Firmenfestes irgendeiner Kanzlei, auf dem ein Mann mit seiner Frau zu sehen ist."

Frank verließ gerade die Upper West, nicht mehr lange und er wäre da. "Ja, und?", fragte er mit Nachdruck, um die Sache zu beschleunigen und David auf den Punkt zu bringen.

"Marc und Alba Corneth, das stand dabei", erwiderte dieser knapp.

Frank hob die Augenbraue und fasste seine Gedanken direkt in Worte: "Was ist mit dem Typ?"

"Wie es aussieht, ist oder war er Anwalt."

"Ist oder war?" Frank ging die Zeit aus, er würde gleich das Ziel erreichen.

"Das Ding ist, dass es außer diesem Foto tatsächlich gar nichts über die beiden gibt, weder über Marc, noch über Alba. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Zufall ist. Heutzutage schafft es niemand, so unter dem Radar zu bleiben. Wenn du mich fragst, stimmt da was nicht."

Sein Freund hatte Recht, es war komisch, und es verstärkte Franks Grübelei darüber nur noch mehr, doch das behielt er in dem Moment lieber für sich und sagte stattdessen: "Wir reden später, die Arbeit ruft."

Alba Corneth. Selbstverständlich war ihm der Name genauso unbekannt wie Elena Parker. Es war nicht so, dass er überhaupt viele Menschen kannte oder kennen wollte. Er wusste nicht mal, ob er diese Frau kennen wollte, sie fiel ihm schließlich ohne Vorwarnung vor die Füße. Frank erinnerte sich an Davids Worte von vor ein paar Tagen, dass ihr Leben vermutlich schon schwer genug war, wenn sie mit falschem Namen lebte.

Frank parkte den SUV direkt vor dem schäbigen Gebäude, neben der Schrottkarre von einem dieser Versager, dem er schon ein paar Mal dorthin gefolgt war. Bevor er ausstieg, öffnete er den schwarzen Zipper, den er trug, und sah prüfend an sich herunter, um die kugelsichere Weste zurecht zu rücken. Mit der Rechten langte er zum Beifahrersitz, auf dem eine Pistole lag. Die kleine Waffe schätzte er als ausreichend ein, um in dem winzigen Drecksloch für Furore zu sorgen. Am Ende würde er sich drinnen ohnehin irgendeine Waffe seiner Widersacher schnappen und damit schießen, wenn sein Magazin leer wäre. Wie immer eben.

Ohne zu zögern verließ er den Wagen, lief links um das Gebäude und trat mit voller Wucht gegen das ohnehin schon zerdellte Rolltor. Ein Hoch auf die defekte Leitung der Verriegelungsanlage, dank der Frank das Tor ohne Probleme aufschieben konnte. Die Bastarde legten keinen großen Wert auf Sicherheit, denn sie hatten ihre Waffen, denen sie am meisten vertrauten, mit welchen sie ihn sofort begrüßten, als sie realisiert hatten, wer da hereingeschneit war.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt