Kapitel 13

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ALBA

"Oh Gott, das war furchtbar, Alba!", nuschelte Alba leise, während sie die Eingangstür des Wohnhauses aufschloss und nach drinnen trat, wo eine gedämpfte Loungmusik sie empfing.

Obwohl sie noch nicht lange dort wohnte, gefiel ihr das charmante Haus in der Upper West Side, mit dem noblen Eingangsbereich, der in Beigetönen gehalten und genauso top modern war, wie auch die mietbaren Apartments. Die Wahl fiel nicht umsonst auf diese Wohngegend.

Alle Mieter, die sie bisher getroffen hatte, machten einen durchweg freundlichen Eindruck. Jeder hier legte Wert auf Etikette und ein gepflegtes Erscheinungsbild, was sich gut traf, denn es erleichterte Alba die Deckung. Wer ihr dort nachstellen wollte, fiel definitiv auf und hätte schnell die Cops am Hals. Zumindest versuchte Alba sich damit selbst zu beruhigen, dass sie sicher wäre.

Während sie auf den Fahrstuhl wartete, holte Alba den Wohnungsschlüssel hinter dem Ausweis in ihrer Armtasche hervor. Sie wünschte sich, dass Frank ihn niemals zu Gesicht bekommen hätte. Es war mehr als merkwürdig, wie betont er ihren Namen vorgelesen hatte. Werd nicht paranoid! Er wird einfach nur ein merkwürdiger Kerl sein, der sich vermutlich mysteriöser verhält, als er es eigentlich ist, dachte sie.

Obwohl sich nicht abstreiten ließ, dass man wohl selten jemandem begegnete, der rein zufällig eine Stichwunde vernähen konnte. Vermutlich gab es aber eine ganz einfache Erklärung, weshalb Frank das dafür nötige Know-How besaß, Alba kannte sie nur nicht und würde es auch nicht mehr erfahren. Ihre Wege hatten sich nun offiziell wieder getrennt.

Das *Pling* des Fahrstuhls holte sie jedoch aus den Gedanken und zurück in die Gegenwart. Eilig stieg Alba in die Kabine des Aufzugs und drückte auf den, mit goldenen Ziffern verzierten, Knopf mit der Nummer 13. Als die Fahrstuhltür sich schloss, lehnte sie sich schnaufend an die Wand. Sie fühlte sich schwach, denn die Verletzung raubte ihr immer noch einige Kraft.

Es dauerte einen Moment, bis Alba begriff, dass das dumpfe Brummen, was sie sofort beim Eintreten ins Apartment hörte, von ihrem Smartphone ausging, das sie nie mit zum Joggen nahm, weshalb es auf einem kleinen, halbrunden Esstisch im Wohnzimmer lag.

"Mist", seufzte sie, als sie Dutzende von verpassten Anrufen und mindestens doppelt so viele Textnachrichten von Jayden auf dem Display ablas. Die oberste, aktuellste Nachricht öffnete sie zuerst, weil sie eben erst eingegangen war.

Jay:
Ich schicke die Polizei vorbei, wenn du dich nicht bald bei mir meldest. Mir egal, was du davon hältst!

Ohne zu zögern wählte sie Jaydens Nummer. Es hatte kaum einmal geklingelt, da nahm er das Gespräch auch schon entgegen und die Worte sprudelten nur so aus ihm: "Es ist etwas passiert, nicht wahr? Erzähl es mir, Alba."

Mit dem Smartphone zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt bemühte sie sich darum, die Turnschuhe ausgezogen zu bekommen, und kam dabei stark genug ins Straucheln, dass die andere Schulter gegen die Wand kippte. Alba zischte. Jayden, der am anderen Ende noch immer auf eine Erklärung wartete, räusperte sich und hakte nach: "Alba?"

"Ja, Moment", bat sie und lief um den schönen, hellbraunen Holztisch herum, der vor einer großen, grauen Couch stand, um sich zu setzen. Nachdem eine bequeme Sitzposition gefunden war, die sich erst einmal suchen lassen musste, weil die Stichwunde unter dem Verband zwickte, antwortete sie schließlich. "Die Kurzversion ist, dass er mir gefolgt ist, mich in eine Ecke drängte und mir ein Messer in den Bauch rammte. Ich brach auf dem Gehweg zusammen, ein Fremder entdeckte mich und flickte mich zusammen."

"Vargas hat dich angegriffen?" Jaydens Stimme war voller Sorge. Er hatte es ihr immer ausgeredet und nun ist genau das eingetreten, wovor er Alba bewahren wollte. "Dann hat er dich also gesehen, als du bei seinem Haus warst?"

"Davon können wir wohl ausgehen", bestätigte Alba trocken.

"Oh Mann, Alba! Ich hab dir doch gesagt, dass das alles eine ganz miese Idee ist." Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch, bevor er weitersprach: "Noch kannst du umkehren. Hör auf dich in Gefahr zu bringen und komm zurück nach Washington. Du musst das nicht tun, zumindest nicht so!"

Wütend kniff Alba die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, auch wenn ihr bester Freund das gar nicht sehen konnte. "Und dann?", blaffte sie in einer grauenvoll schrillen Tonlage. Sie wusste, dass es gefährlich war, dass Vargas gefährlich war. Ja, das wussten sie beide nur zu gut.

"Dann finden wir eine andere Lösung", versuchte Jayden sie sanft zu beruhigen.

"Eine andere Lösung?" Augenblicklich wurde jedes bisschen Contenance fortgeblasen, wie Sand vom Wind. "Ich bin kein verdammter Bug in einem Programm, Jay. Für mich ... für das alles findest du keine andere Lösung. Ich bin kaputt, sie haben mich zerstört. Ich werde für immer kaputt sein." Mit jedem Wort wurde sie lauter, den letzten Satz schrie sie.

"Alba, sag das nicht. Du bist nicht kaputt, du kannst heilen ... und das wirst du auch", versuchte er sie zu beruhigen und klang dabei total betrübt. Sofort bereute sie es, ihn angeschrien zu haben.

"Wunden können heilen, Jay, aber nicht Seelen", erwiderte sie kleinlaut.

"Aber Alba, überleg doch mal, auf was du dich da einlässt. Du bist dem doch gar nicht gewachsen. Am Ende verlierst du auch noch dein Leben. Denkst du, das hätten sie gewollt?"

"Ich weiß nicht, was sie gewollt hätten und sie können es mir auch nicht mehr sagen, weil sie tot sind." Jedes dieser Worte schmerzte, brannte in ihrem Herz wie Feuer. In ihren Augen bildeten sich Tränen, die die Sicht verschwimmen ließen.

Wann immer sie auch nur ein winziges Stück Erinnerung zuließ, wurde sie sofort übermannt und mit aller Kraft zurück in ihre persönliche Hölle gezogen, aus der es sich ohnehin schon nur mit größter Mühe befreien ließ, um zurück nach New York zu kommen.

"Ich komme nicht zurück, Jayden. Nicht, bevor das hier erledigt ist. Und wenn ich es nicht schaffe, dann bin ich lieber tot."

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt