ALBA
Die Türklingel riss die beiden aus der Starre. David war angekommen. Eindeutig erleichtert setzte Frank sich in Bewegung, um ihm über die Türsprechanlage zu öffnen. Ein mechanisches Brummen war zu hören, dann Schritte im Korridor, bis David durch die angelehnte Wohnungstür trat. "Ich hab's euch gesagt!" Er klang triumphierend. Es war der Satz, den man früher von seinen Eltern am wenigstens gern gehört hatte. Sicher hörte Frank die Worte auch nicht gern von seinem Kumpel, dachte sie.
"Nun, dann wollen wir dich mal lieber in professionellere Hände übergeben, Fräulein", sagte David, der versuchte, lässig zu klingen, als er zu ihr rüberkam. Frank machte ein verärgertes Gesicht. "War nur ein Scherz, Frank. Komm schon!"
"Sie hat Anzeichen von Hypotonie. Ihr Kreislauf ist gefühlt konstant im Keller. Ich weiß nicht, ob die Wunde septisch ist." Frank klang wie ein Rettungswagenfahrer, der einen Patienten in die Notaufnahme brachte und dem behandelnden Arzt die erste schwache Diagnose präsentierte. "Bring sie zu Doktor Lewis ins Lennox Hill. Sag ihm, dass ich euch schicke."
"Okay, Lennox Hill, Doktor Lewis. Verstanden", wiederholte David, während er ihr vom Boden aufhalf und sie zu stützen versuchte. Er schnaubte, denn er war nicht annähernd so stark wie Frank.
Frank überwachte Davids Handeln kritisch. "Bekommst du das hin? Lass sie mir ja nicht fallen!"
"Mach dir keine Sorgen", versicherte David, an dessen Arm sie sich wie ein kleines Äffchen klammerte.
Sie waren bereits durch die Wohnungstür, nahmen eine Treppe nach der anderen nach unten, als Frank hinterherrief, "Komm zurück, wenn du sie abgeliefert hast."
Der Weg von Franks Apartment bis zu Davids Auto kam ihr unfassbar lang vor, obwohl es nur zwei Stockwerke zu überwinden galt und der Wagen direkt vor dem Hauseingang geparkt stand. Bei jedem Schritt brannte die Verletzung in ihrem Bauch wie Feuer und die Kreislaufprobleme ließen ihr dunkle Punkte vor den Augen tanzen. Ich kann doch jetzt nicht an einer Sepsis krepieren, bevor ich überhaupt begonnen habe, ärgerte sich Alba.
"Warum fährt er mich nicht?", wollte sie wissen, als beide endlich im Auto saßen und David den Zündschlüssel im Schloss umdrehte, um den Motor zu starten.
"Nun, Frank ist nicht gerade der Typ Mensch, der sich gerne in der Öffentlichkeit zeigt."
"Ist er berühmt oder so?", fragte sie ironisch, denn Alba konnte sich nicht vorstellen, dass eine bekannte Persönlichkeit in so einer Absteige hausen würde.
David lachte auf. "Berühmt nicht unbedingt, aber die Leute kennen ihn."
Alba beobachtete kurz die am Auto vorbeihuschenden Gebäude New Yorks, während sie durch die Stadt fuhren. "Ich kenne ihn nicht. Zumindest glaube ich, dass ich ihn nicht kenne."
"Dann bist du nicht von hier?" Davids Vermutung klang wie eine Frage. Flüchtig blickte er von der Straße zu Elena und zog eine Braue nach oben.
"Jedenfalls nicht mehr."
"Was soll das bedeuten?" In seiner Stimme lag eindeutig Neugier.
"Früher habe ich hier gelebt. Aber ich war lange Zeit weg. Ich bin gerade erst zurückgekommen", erklärte sie und sah ihm in die Augen. Mit David zu reden, war angenehm. Er schien die Art von Mensch zu sein, mit dem man eine Freundschaft einging, ohne groß darüber nachzudenken.
Mit seinem Aussehen war David das genaue Gegenteil von Frank. Zwar schlank, aber keineswegs muskulös. Die zauseligen Locken, die ihr bereits zuvor aufgefallen waren, zeugten davon, dass er sich entweder nicht viel daraus machte oder die Haare nicht zu bändigen vermochte. Auch sein Kleidungsstil war eher nerdig. Dafür wirkte er aber freundlich, kommunikativ, auf eine schräge Art humorvoll und zudem sehr gebildet. Frank hingegen hatte mit seiner strengen Frisur, dem markanten Gesicht und seinem wahnsinnig durchtrainierten Körper eine bemerkenswert beeindruckende Präsenz, die mögliche weitere Eigenschaften in den Schatten stellte.
"Er hat Eindruck auf dich gemacht, nicht wahr?" Alba errötete bei dieser Frage. Waren diese unausgesprochenen Gedanken so offensichtlich zu lesen?
"Ja, ich glaube schon", beantwortete David seine eigene Frage laut. Ein breites Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. "So oder so, er hinterlässt immer einen Eindruck, bei jedem."
Ob das eine beruhigende oder beunruhigende Aussage war, blieb vorerst offen.
"Sag mir, wer ist er", bat sie fast schon flehentlich. Entgegen seines Äußeren schien es nicht so, als wäre Frank ein schlechter Kerl und David schien ihm treu ergeben zu sein. Trotzdem drängte sich der Verdacht auf, dass es mehr zu ihm zu sagen gab.
David zog eine Grimasse. "Oh, je. Ich glaube nicht, dass es ihm gefallen würde, wenn ich plaudere. Und überhaupt," er machte eine Pause und deutete mit dem Finger auf ihre Körpermitte. "Hast du im Moment keine anderen Sorgen?"
"Vielleicht lenken deine Erzählungen mich vom Schmerz ab", entgegenete sie herausfordernd.
"Jaaaaa, vielleicht", meinte David gedehnt. "Aber da wir unser Reiseziel erreicht haben, kann ich mich geschickt aus der Nummer herauswinden und komme nicht in Verlegenheit, dir Dinge zu erzählen, die zu erzählen mir nicht zustehen."
Er hielt mit dem Auto direkt vor der Notaufnahme. Ein Pfleger, im türkisfarbenen Anzug, kam mit einem Rollstuhl herbeigeeilt und öffnete Alba die Tür. "Sie wurde angegriffen und mit einem Messer verletzt", erklärte David sachlich, während er ihr aus dem Autositz hinein in den Rollstuhl half. Der Pfleger nickte und positionierte sich an den Griffen, um Alba nach drinnen zu schieben.
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soulache | ✓
FanfictionLange hat Alba sich vor ihrer Vergangenheit versteckt. Doch ihr Schmerz, und daher auch Wunsch nach Vergeltung, ist zu groß. Als sie zurück nach New York kommt, läuft allerdings erst einmal gar nichts wie geplant. Völlig unvorbereitet läuft sie in e...