Kapitel 28

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ALBA

Von allen Bildern aus ihrer Erinnerungen waren die von Theo am schlimmsten. Seinen kleinen, leblosen Körper im Kinderbett zu finden war der größte Horror. Man hatte ihr nicht nur den Mann genommen, sondern auch ihren unschuldigen Sohn. Niemand von ihnen hatte etwas Falsches getan, weder Marc, noch Theo, ja nicht einmal Alba.

Unzählige Male hatte sie sich die Frage gestellt, ob sie noch am Leben wäre, wenn sie an jenem Tag zu Hause bei ihrer Familie gewesen sei. Und noch viel häufiger hatte sie sich gewünscht, dort gewesen und ebenfalls erschossen worden zu sein, damit ihr dieser Schmerz erspart geblieben wäre.

In Franks Augen spiegelten sich Entsetzen und Trauer. Es war die richtige Entscheidung, ihm davon zu erzählen, immerhin hatte er fast zur gleichen Zeit seine Familie verloren. Alba wusste, dass er mitfühlen konnte.

Sie fragte sich, ob er in diesem Moment selbst in den schmerzvollen Erinnerungen seiner Vergangenheit schwelgte, denn obwohl er ihren Blick erwiderte, wirkte er gedanklich weit weg. Trotzdem strich er ihr beruhigend über den Kopf und hatte möglicherweise keine Ahnung, wie gut diese Berührung ihr tat. Es fühlte sich an, als wäre der Kontakt zu ihm so etwas wie eine Verbindung zur Gegenwart, damit sie sich nicht wieder in der Vergangenheit verlieren konnte.

Dann wurde Franks Ausdruck etwas weicher, als er seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf Alba richtete, und fragte: "Hat Vargas sie getötet?"

Sie schüttelte den Kopf. "Er war der Mandant, der inhaftiert wurde."

Frank kniff die Augen leicht zusammen und fuhr sich flüchtig mit der Zunge über die Lippen, während er einen Moment nachdachte. "Was wolltest du dann von ihm?"

"Eben weil Marc und ich nicht besonders viel über die Arbeit sprachen, weiß ich weder, wer von der Gegenseite diesen Gefallen von Henderson und Partner eingefordert hat, noch wer der Mörder meiner Familie ist. Vargas war mein einziger Anhaltspunkt, über ihn wollte ich die Namen herausfinden."

"Ziemlich ambitioniertes Vorhaben für jemanden wie ...", setzte Frank an, hielt aber inne, als wäre er im Begriff gewesen, etwas Falsches zu sagen.

Alba seufzte. "Ich kann einfach nicht mehr. Ich habe mich drei Jahre damit gequält, zu versuchen, wieder zu leben, aber ich fühle mich innerlich komplett tot. Da ist nichts mehr ..."

"Außer einer zutiefst verletzten Seele, die keine Ruhe findet", ergänzte Frank mit verständnisvollem Unterton. Langsam richtete Alba sich auf, sodass sie ihm zugewandt saß. Was für ein Zufall konnte es ein, dass die beiden sich begegnet waren? Sie glaubte nicht an Zufälle.

Schweigend betrachtete Alba noch einmal in aller Ruhe Franks Gesicht mit den blauen Flecken. Er kam ihr nicht so hilflos vor, wie sie sich selbst fühlte, sondern schien die meiste Zeit sehr gefasst. Wenn er sich allerdings die Nächte mit dem Abschaum dieser Stadt wortwörtlich um die Ohren schlug, dann deutete es darauf hin, dass auch er nach wie vor keinen Frieden mit der Vergangenheit geschlossen hatte. Nein, in ihm herrschte ebenfalls noch immer diese unbändige Aufruhr.

Alba erinnerte sich an seinen Auftritt in dem verlassenen Haus und wie brutal Frank vorging. Er war wie ein Tornado, der alles niedermachte, was sich ihm in den Weg stellte, und hatte nicht einen Zweifel daran, als einziger aus dem Chaos heraus zu kommen.

Diese Gedanken sorgten für Zerstreuung, sodass sie ihr eigenes Schicksal bereits wieder etwas zu vergessen begann. Ob bewusst oder unbewusst, Alba wollte nichts sehnlicher, als die Gefühle nicht mehr zu fühlen, denen sie die letzten Monate ausgeliefert war. Ob es klug war, Frank erneut zu küssen, oder nicht, darüber dachte sie gar nicht erst nach, als sie den Abstand zu ihm komplett aufgab und sich über ihn brachte.

Entgegen aller Entschlossenheit im Kampf Mann gegen Mann, war er in dieser Beziehung weniger rabiat, sondern wog seine Taten akribisch ab. Alba konnte ihm jedenfalls keinen Vorwurf machen, die Situation schamlos auszunutzen, so viel Respekt, wie er ihr entgegenbrachte. Es kostete sie einige ziemlich überzeugende Küsse, bis Frank sich dazu hinreißen ließ, darauf einzugehen.

Wenn er gekonnt hätte, hätte er vermutlich etwas gesagt, aber das erlaubte sie ihm nicht. Alba hatte genug geredet, genug gelitten, indem sie das Ganze wieder aufgerollt hatte, sie brauchte ein anderes Gefühl. Sie war im Begriff sich nach dem Feuer zu verzehren, dass immer größer in ihr aufloderte, je intensiver die beiden sich aneinander verloren.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt