Kapitel 10

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ALBA

Die Zeit im Krankenhaus war extrem erholsam. Die drei Krankenschwestern, die in dieser Woche jeweils Früh-, Mittel- und Nachtschicht hatten, waren allesamt umwerfend freundlich. So etwas hatte Alba nie zuvor erlebt. Sie fragte sich, ob es einfach nur Glück war, oder ob Doktor Lewis dem Personal eine Sonderanweisung gegeben hatte, weil der sagenumwobene Frank Wer-auch-immer sie schickte.

Als der Mediziner sie, während der Aufnahme, mit einer Liste von Maßnahmen und Medikamenten vollschwallte, die sie in den kommenden Stunden eingeflößt bekommen sollte, verstand sie natürlich nur Bahnhof. Das war ohnehin ein Unding, dass Ärzte vor ihren Patienten nur so mit unverständlichen Fachbegriffen jonglierten, die kein normaler Mensch begreifen konnte. Alba hatte genickt und sich einverstanden erklärt, was auch immer es bedeutete.

Am Ende war ihr völlig egal, was man ihr gab, solange sie nur schnell wieder auf die Beine kam. Sie war ja nicht zum Spaß hier in New York. Ganz im Gegenteil, von Spaß konnte man in ihrem Leben schon lange nicht mehr reden. Allein das Wort schien ihr mehr als antik und völlig unzutreffend für ihre Situation.

Gerade als ihre Gedanken gefährlich knapp davor waren, in die Vergangenheit abzudriften, schwang die Tür zu ihrem Patientenzimmer auf und Doktor Zahnweiß höchstpersönlich kam herein. Normalerweise gab sie Fremden keine unangemessenen Spitznamen. Doch in diesem Fall empfand sie ihn auch gar nicht als unangemessen.

Doktor Lewis stellte seine blankpolierten Beißer offen zur Schau, ganz so, als wolle er dafür einen Spitznamen ernten. Oder er übte sein bestes Lächeln für die nächste Werbekampagne *Ärzte ohne Grenzen*. Reiß dich zusammen, Alba! Sie konnte nicht abstreiten, auf dem Weg der Besserung zu sein. Ihr zurückkehrender Sarkasmus war der beste Beweis dafür.

"Miss ..." Er hielt inne, um ihren Nachnamen aus der Krankenakte zu lesen. "Miss Parker! Was macht die kleine Schnittverletzung?"

Alba verzog das Gesicht. Sie hatte nicht geglaubt, dass jemand einen noch unmöglicheren Humor haben konnte als Frank. Künstlich amüsiert verzog sie die Mundwinkel zu einem gut gemeinten Grinsen, bevor sie antwortete. "Ich bin fast wie neu. Vielen Dank für die Hilfe!"

"Ach, der Dank gebührt wohl eher Cas... ich meine, Frank. Einer verbluteten Patientin hätten die besten Medikamente nichts genützt."

Es war fast schon peinlich, wie sie alle versuchten, Franks Namen geheim zu halten, und ihn doch ständig beinahe durchsickern ließen, dachte Alba. Doch sie versuchte sich ihre Genervtheit nicht anmerken zu lassen und sagte: "Wann darf ich denn gehen?"

"Na da hat es aber jemand eilig, hier raus zu kommen! Also ...", wieder studierte er die Papiere, die auf dem Klemmbrett befestigt waren, das er lässig auf seinem linken Unterarm balancierte. "Die jetzigen Werte sehen recht gut aus."

Na das mag ja wohl auch sein, nach drei Tagen Aufenthalt, dachte sie ungeduldig.

Doktor Lewis überlegte, rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger, während er noch weitere Werte aus der Blutuntersuchung durchging.

"Es geht mir schon viel besser, wirklich." Okay, das war tatsächlich ziemlich plump, doch sie verlor Zeit, wenn sie noch länger im Krankenhaus bleiben müsste. Eigentlich kam es auf die Zeit gar nicht unbedingt an, aber ihre Nerven gingen langsam mit ihr durch. Nichts lief nach Plan und das Gefühl, nicht die Kontrolle zu haben, machte Alba wahnsinnig.

"Okay, gut. Wir einigen uns auf eine weitere Nacht zur Überwachung und wenn alles unauffällig bleibt, kann Mister Lieberman sie morgen Vormittag abholen. Einverstanden?", sagte Doktor Lewis endlich.

Alba biss sich auf die Unterlippe und nickte stumm. Bis zu diesem Moment kannte sie nicht einmal Davids vollen Namen, fiel ihr auf. In Gedanken fügte sie David Lieberman googeln auf ihre To-Do-Liste, zur Abarbeitung für später, hinzu. Schade, dass ich unter Frank Cas-weiß-der-Kuckuck vermutlich noch weniger finde, als unter Davids Namen, sinnierte sie.

"Ich empfehle, die Stichwunde auch nach ihrer Entlassung weiter medizinisch überwachen zu lassen, bis sie vollständig verheilt ist, Miss Parker." Doktor Lewis' Worte rissen sie aus ihren Gedanken.

"Ja ... natürlich werde ich das tun", stammelte sie. Dass sie Derartiges keinesfalls tun würde, verschwieg sie dem hübschen Arzt lieber. Die Gefahr, von den falschen Leuten, in New York erkannt zu werden, war einfach zu groß.

"Hervorragend!" Mit einem letztem super-weißen Lächeln verabschiedete er sich und Alba hoffte inständig, dass die restlichen, viel zu vielen, Stunden bis zu ihrer Entlassung ohne Auffälligkeiten vorübergehen würden.

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt