Kapitel 27

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FRANK

"Dann hat er doch alles richtig gemacht", fasste er vorsichtig zusammen, obwohl ihm bereits klar war, dass die Sache einen Haken haben musste. Alba wäre nicht dort, wo sie war, wenn der Fall mit der Inhaftierung erledigt gewesen wäre. Frank graute es davor, was sie ihm noch erzählen würde, denn ihr Gesichtsausdruck wurde immer trauriger.

Als sie wieder zu sprechen begann, fing ihre Stimme allmählich an zu zittern. "Die Gegenseite war leider nicht so überzeugt von der Richtigkeit des Urteils."

Mit einem Mal bildeten sich große Tränen in Albas Augen, die ihr gleich darauf über die Wangen liefen und dann in den Schoß tropften. Ein tiefes Schluchzen entwich ihr, während sich die Mundwinkel tief nach unten bogen.

Instinktiv überwand Frank die restliche Distanz, um sie in seine Arme zu ziehen und so fest zu halten, wie er nur konnte. Es war die wohl menschlichste Geste, die er seit Ewigkeiten gemacht hatte. Alba zitterte am ganzen Körper, während er ihr beruhigend über den Kopf strich.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die erste Welle der Traurigkeit abgeebbt war und sie noch leiser als zuvor weitersprach. "Marc hätte niemals gewonnen, wenn er es gewusst hätte ..." Ein weiteres Schluchzen unterbrach sie. "Wenn wir das gewusst hätten ..."

"Wenn ihr was gewusst hättet?" Frank wollte die Antwort nicht wissen, aber die Frage kam unweigerlich aus ihm heraus.

"Zu was sie in der Lage waren." Vor lauter Weinen war sie kaum zu verstehen.

"Alba, was ist passiert?" Es fiel ihm schwer, selbst die Ruhe zu bewahren, während Albas Zustand sich immer weiter verschlechterte. Was auch immer passiert war, hatte sie abgrundtief verletzt und es tat ihm furchtbar Leid, sie so zu sehen.

"Ein paar Wochen später hatte ich samstags ein Seminar. Als ich spät abends nach Hause kam, sah ich schon von der Einfahrt aus, dass die Haustür nicht richtig geschlossen war. Bei einem flüchtigen Blick konnte man es nicht erkennen, aber mir stach es sofort ins Auge. Ich parkte das Auto gleich in der Einfahrt, nicht in der Garage, und rannte nach drinnen ..."

Von einer weiteren, heftigen Welle der Trauer überrollt, drückte Alba sich noch fester an Frank heran, als wollte sie mit ihm verschmelzen. Er hoffte, dass die Nähe ihr zumindest etwas Kraft spendete, und ließ es geschehen.

"Marcs Kopf lag mit dem Gesicht auf dem Esstisch. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte ich, dass sich darunter ein voller Teller mit Essen befand. Ich eilte zu ihm, rüttelte an seiner Schulter und begriff erst gar nicht, was ihm fehlte ... bis ich ... bis ich den Einschuss sah." Ihr entwich ein merkwürdig klingender Schrei, den sie dämpfte, indem sie beide Hände vors Gesicht hielt, als wollte sie die Bilder damit verdrängen.

Gerade, als er etwas sagen wollte, setzte sie wieder an: "Es war so still im Haus, obwohl er von den Geräuschen hätte wachwerden müssen ..."

Frank gefror das Blut in den Adern, denn er ahnte, dass der Knackpunkt erst noch kommen würde. Vorsichtig schob er Alba etwas von sich, um ihr in die Augen sehen zu können, auch wenn es ihn fast umbrachte, wie matt diese plötzlich waren. "Von wem sprichst du?"

"Theo ... Ich ... ich hoffte ... oh, Frank ... ich hoffte so sehr, dass er ruhig geblieben war und einfach schlief ... aber ... er hatte ihn gefunden, vielleicht weil er geweint hatte. Ich weiß es nicht ..."

Dann ging nichts mehr, Alba sackte in sich zusammen, wie ein Haufen Elend, und wimmerte. Sie lag ihm nicht mehr in den Armen, sondern zusammengekrümmt vor ihm auf dem Bett, während ihre Welt noch einmal zusammenbrach.

Es gab nichts, was Frank tun konnte. Er wusste das, weil es bei ihm damals genauso war. Wenn einem das Wichtigste im Leben genommen wurde, egal wodurch, dann wanderte man direkt in die Hölle und wurde vom Feuer verschlungen, um davon gequält zu werden. Man konnte nichts hören, nichts sehen und vor allem nichts anderes fühlen außer den Schmerz. Und wenn man nicht selbst früher oder später den Willen hatte, das zu überleben, dann war es aussichtslos.

Albas Zusammenbruch ließ sich nur schwer überwinden. Sie brauchte fast eine Stunde, bis die Tränen versiegt waren und sie wieder halbwegs normal atmen konnte. Irgendwann drehte sie sich auf den Rücken und sah Frank aus müden Augen heraus an. Der Schmerz, den ihre Seele trug, stand ihr in diesem Moment ins Gesicht geschrieben.

Auf die Gefahr hin, dass diese Frage im schlimmsten Fall einen weiteren Kollaps hervorrufen konnte, fragte Frank vorsichtig: "Wer ist Theo?"

Doch Albas Kräfte reichten nicht einmal mehr, um sie erneut in diesen Strudel aus Trauer zu ziehen. Stattdessen flüsterte sie nur: "Er war mein Sohn."

soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt