„Wieso bist du vor mir weg gelaufen?"

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„Wir holen die Getränke.", kaum hatten wir sechs unsere Kinokarten geholt und uns an einen Stehtisch gestellt, gingen die Jungs weiter zu einem Tresen hinter dem eine brünette Frau stand. „Sicher dass du den Film sehen willst, Mila? Der ist doch ganz schön gruselig.", besorgt sah mich Hannah an. „Natürlich. Wenn es zu schlimm wird, kann ich ja raus gehen.", beruhigte ich sie und sah Paul hinterher. „Oder dich an Paul kuscheln.", zog mich Jule auf, als Paul, Stephan und Daniel wieder zu uns kamen. 
„Dafür brauch ich keinen Gruselfilm.", wand ich ein und streckte Jule meine Zunge raus. „Wofür brauchst du keinen Gruselfilm?", harkte Daniel direkt nach und stellte sich wie zufällig eng neben Hannah, die sofort rot wie eine Tomate wurde. „Damit ich das hier machen kann.", antwortete ich trocken und griff nach Pauls Arm um ihn mir um die Hüfte zu legen. „Du hast recht. Dafür brauchst du definitiv keinen Gruselfilm.", lachte Paul und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe. 
„Bitte lasst aber eure Kleidung an.", neckte uns Stephan und wich zur Seite, als Paul ihm in die Seite boxen wollte. „Tobt euch aus, ich geh noch eben auf die Toilette.", mit einem kurzen Lächeln in die Runde folgte ich den Hinweisschildern, die mich in einen dunklen Flur und eine Treppe hinuntern führten. Verunsichert sah ich mich um, denn bis auf mir war hier sonst kein anderer Gast. „Ich wusste das ich dich hier finde.", jemand stellte sich dicht hinter mich, als ich gerade die Tür mit dem Schild 'Damen-Klo' öffnen wollte. „Bitte?", ich wollte mich zu der Person umdrehen, aber sie hielt mir die Augen zu. 
„Wieso bist du vor mir weg gelaufen?", keuchte die Frau und drückte mich an die verschlossene Tür. „Wer sind Sie?", Panik stieg in mir auf und ich versuchte mich daran zu erinnern wo ich die Stimme schon mal gehört hatte. „Das ist unwichtig. Es ist nur wichtig wer du bist. Oder eher was du bist.", antwortete die Frau und ich begann immer schneller zu atmen. „Du bist der Grund warum ich nachts wach liege. Du bist der Grund warum ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Du bist der Grund warum ich lebe.", stöhnte die Frau und mein Gehirn schaltete auf das altbekannte Überlebensprotokoll um. Ich riss meinen Ellenbogen hoch und traf die Frau am Schlüsselbein. Davon überrascht wich sie einen Schritt zurück und ich lief einfach los und durch die Notausgangstür. Alles um mich herum verschwamm und ich verließ mich komplett auf mein Gedächtnis. Die Fußgänger die ich zur Seite stieß riefen mir wüste Beleidigungen zu die von dem Hupen der Autos übertönt wurde, vor die ich einfach lief. Erst als ich vor der Haustür meines Vaters stand und wie wild gegen die Tür hämmerte traute ich mich hinter mich zu gucken.
„Mila?", scheinbar hatte Martin die Haustür schon geöffnet und ich schlug ihm auf die Brust. „Sie war da! Sie war wieder da!", keuchend drückte ich mich an ihm vorbei, eilte ins Wohnzimmer und warf mich auf Marie, die auf dem Sofa saß und ein Buch las. „Wer war da? Und warst du nicht mit den anderen unterwegs?", mein Vater kam hinter mir her und sah mich besorgt an. „Sie. Die Frau.", ich drückte mich panisch weiter an meine Stiefmutter und versuchte meinen Kopf zwischen ihren Rücken und der Sofalehne zu quetschen. „Die Frau aus deinen Albträumen?", harkte Marie nach und zog mich in ihre Arme. Stumm nickte ich und versuchte mich ganz klein zu machen. 
Erst das klappern von Autoschlüsseln machte mich darauf aufmerksam dass Martin nicht mehr vor dem Couchtisch stand. „Er fährt ins Kino. Zum einen um den anderen zu sagen was passiert ist und zum anderen um zu gucken ob die Frau noch da ist.", erklärte Marie als sie meinen Blick bemerkte. „Ich bin einfach weg.", murmelnd drückte ich mein Gesicht in ihre Brust, damit sie die Tränen in meinen Augen nicht sah. „Mach dich nicht verrückt. Du bist bestimmt nicht so panisch geflohen, weil die Frau so lieb zu dir war. Niemand wird es dir übel nehmen.", versicherte mir meine Stiefmutter und strich sanft über meinen Rücken. 
Das Adrenalin in meinem Körper verschwand sodass ich in eine Art Dämmerschlaf glitt. Das Klingeln von Marie weckte mich und ich setzte mich auf, damit sie den Anruf abnehmen konnte. „Hey Schatz. Hast du die anderen gefunden?", meldete sich meine Stiefmutter und hielt mir ihren Arm hin, damit ich mich wieder an sie lehnen konnte. „Ihr geht es gut, sie hat gerade etwas geschlafen.", erwiderte sie, als ich mich müde an sie kuschelte. „Das klingt gut. Bis gleich.", Marie legte auf und warf ihr Handy auf den Couchtisch. „Was klingt gut?", wollte ich nuschelnd von ihr wissen und hatte mühe meine Augen offen zu halten. „Er kommt gleich wieder heim und holt auf dem Weg Klaus ab. Damit du ihm von der Sache erzählen kannst. Paul und die anderen kommen auch her.", erklärte sie und ich nickte schlaftrunken. 

Gute zwanzig Minuten später wurde die Haustür geöffnet und ich hörte wie sich ein Haufen Schritte näherten. Da ich direkt die meines Vaters, meines Onkels und Freunde erkannte blieb ich, mit dem Kopf auf Maries Schoß, liegen und ließ auch meine Augen geschlossen. „Mila? Schatz? Wie geht's dir?", Pauls Stimme war sanft, genauso wie seine Berührungen auf meiner Wange. „Alles gut. Bin nur müde.", murmelnd öffnete ich meine Augen und sah geradewegs in die meines Freundes. „Sicher?", harkte er nach und atmete erleichtert durch als ich nickte. 
„Dann kannst du mir auch erklären was los ist.", bat Onkel Klaus und setzte sich auf einen Sessel. „Muss das sein?", brummend kniff ich meine Augen wieder zusammen. „Da du panisch aus dem Kino abgehauen bist, ja.", stellte mein Onkel klar und da ich die Blicke der anderen auf mir spürte, setzte ich mich auf. 
„In den letzten Wochen hab ich immer wieder von einer Frau geträumt. Es waren Albträume. Sie hat mich nach dem Autounfall mit Marie und Martin von dem Auto weggeführt und meinte sie würde mich gesund pflegen. Ich hab die ganze Zeit gedacht dass ich sie mir nur eingebildet habe, weil ich ja die Schmerzen hatte. Und den Schock. Aber vorhin im Kino war sie wieder da. Sie hat mir im Grunde ihre Liebe gestanden und da wurde ich panisch und hab ihr meinen Ellenbogen irgendwo hin gerammt. Das nächste das ich weiß ist, das ich in Maries Armen lag.", erklärte ich und lehnte mich dabei an Paul, der neben mir saß. „Kannst du sie irgendwie beschreiben?", Onkel Klaus sah mich gespannt an und presste seine Lippen aufeinander als ich den Kopf schüttelte.

Unter dem Radar: Die Frau mit den Eisblauen Augen (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt