Kapitel Dreizehn

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Geistesgegenwärtig stellte ich mein volles Glas Wasser auf dem Boden ab und schon beim Abstellen des Glases bemerkte ich, dass ich schon nicht mehr sichtbar war. Ich lief schnell zur Tür, öffnete diese und trat hinaus. Leise ließ ich die Tür ins Schloss gleiten und sah mich um. 

Cedric und Nic liefen gerade auf den Waldrand zu und ich beeilte mich, um die beiden nicht aus den Augen zu verlieren. Ich rechnete fast damit, dass die beiden sich verwandeln würden, sobald sie den Wald erreicht hatten, doch sie liefen weiter bis sie beim alten Gewächshaus ankamen und dort stehen blieben.

Es war ein Automatismus, dass ich mich in eine Elster verwandelte und beinahe lautlos auf einen Baum zuflog und mich auf einen Ast nieder ließ. Nun saß ich, im Schutz der Blätter, genau über den beiden und hoffte einfach, dass sie nicht ins Gewächshaus hineingehen würden. Und ich hatte Glück.

„Ich spiele da nicht mehr länger mit!", sagte Nic wütend. „Ich kann nicht länger mit ihr rumhängen und so zu, als würde alles völlig normal sein! Sie muss es wissen!" Ich schielte neugierig an meinem Schnabel vorbei nach unten, um den Gesichtsausdruck der beiden deuten zu können. 

Warum habe ich mich nicht einfach in eine Blume oder so verwandelt? Oder bin unsichtbar geblieben? Ist eine Elster, die einfach nur da sitzt auffällig? Wahrscheinlich.

„Du hast ihr nichts gesagt?" Cedric klang überrascht und ich glaubte ein Stirnrunzelnd bei Nic zu sehen. Gott, so wurde das nichts. Kurzerhand flog ich einen Baum weiter, immer darauf bedacht in Hörweite zu bleiben, ließ mich in Richtung Boden gleiten und hüpfte unter einen Busch, wo ich mich unsichtbar machte und zurück in mich selbst verwandelte. Dann kroch ich lautlos aus dem Gebüsch und stellte mich in der Nähe der beiden einfach hin.

„Nein, ich habe ihr nichts gesagt. Aber ich werde es tun, wenn du es nicht langsam machst! Ich will sie nicht mehr länger anlügen, Dad!" „Bist du dir sicher, dass du nie etwas erwähnt hast?" Cedric sah seinen Sohn eindringlich an und ich runzelte die Stirn. 

Irgendwas sagte mir, dass die beiden über mich sprachen. Doch sicher war ich mir nicht. „Ich bin mir sicher. Wieso?" Nun klang Nic nicht länger wütend, sondern ehrlich verwirrt.

Cedric sah nachdenklich auf den Boden und schien etwas in Gedanken durchzugehen. „Sie hat etwas gesagt, was sie nicht wissen konnte. Sie hat es nur kurz erwähnt, aber... sie konnte das nicht wissen!" „Wovon genau sprichst du?", fragte Nic zögernd. 

„Sie sagte Chamäleon. Nicht Grenzgänger, sondern Chamäleon. Und diese Bezeichnung ist nie gefallen. Deshalb dachte ich, dass du ihr etwas gesagt hättest", erklärte Cedric und jetzt war ich mir sicher: die beiden sprachen über mich. Und wenn Cedric mit Nic darüber sprach, dass ich ein Chamäleon war, dann gab es nur zwei Möglichkeiten. Ersten, es gab zwei Maulwürfe und ich hatte sie gefunden oder aber – und das wäre absolut krass – die beiden waren ebenfalls so wie ich.

„Ich habe nichts erwähnt. Definitiv nicht. Aber ich werde ihr etwas sagen. Sie muss es endlich wissen. Ich will sie nicht weiter belügen und ihr Dinge verheimlichen, die sie wissen muss! Wie lange willst du noch warten? Bis sie es selbst rausfindet?" „Ich kann es ihr noch nicht sagen. Ich werde es ihr sagen, aber..." 

„Du kannst es ihr sagen! Du hast nur zu viel Angst davor, dass sie dich danach hasst. Rede dich nicht damit raus, dass du auch an mich oder unsere Familie denken musst, denn wir wissen beide, dass du lügst wenn du das sagst! Du hast Schiss, weil du genau weißt, dass absolut keine Ausrede der Welt rechtfertigen kann, dass du sie von Anfang an belogen hast! Dass du es gegenüber Summer und den anderen nicht sagst, okay. Aber Lynn muss es wissen. Und ich werde nicht länger so tun, als wäre nichts!"

„Es ist nicht so einfach wie du denkst Nicolas!" Ich zuckte zusammen, weil Cedric noch nie so laut geworden war. Und ich glaube ich habe noch nie gehört, wie er Nic bei seinem vollen Namen genannt hat. Er war definitiv gerade nicht sehr gut drauf. Streiten die beiden sich wirklich darüber, ob sie mir sagen sollten, dass sie auch Chamäleons sind?

„Du hast Recht, ich habe Angst es ihr zu sagen. Weil ja, nichts rechtfertigt es, dass ich es so lange verschwiegen habe. Seit ihrem ersten Tag hier warte ich nur darauf, dass es irgendjemand bemerkt. Aber wenn ich es ihr jetzt sage, wenn ich ihr jetzt die gesamte Wahrheit erzähle, dann erfährt es jeder und... ich bin nicht bereit dazu, unsere gesamte Familie in die Gefahr zu bringen, dass sie als Chamäleons entlarvt werden. Ich denke nicht nur an mich oder dich. Ich denke an deine Großeltern, an deine Tante und an noch sie viele andere. Und ich denke an Lynn. Ihr jetzt so eine große Sache zu sagen, wird ihr auch noch den restlichen Boden unter den Füßen wegreißen", sagte Cedric leise. Ich schluckte.

„Und du denkst du schützt sie damit? Meinst du nicht, es wird ihr viel mehr wehtun, ihr viel stärker den Boden unter den Füßen wegreißen, wenn sie es alleine herausfindet? Oder durch einen blöden Zufall? Weil Susan es ihr doch sagt? Denkst du, es würde für sie wirklich einfacher sein?" Nic schüttelte leicht den Kopf. 

„Es ist wie ein Pflaster, Dad. Ein Pflaster was man immer kurz abzieht, nur um es dann wieder über die Wunde zu kleben. Die Wunder verheilt langsam, aber dann zack! Irgendjemand reißt das Pflaster wieder ab und somit die Wunde erneut auf. Und zurück bleibt eine Narbe, die nicht mehr weggeht", fügte er leise hinzu.

„Nic..." „Nein! Du sagst es ihr. Ich gebe dir bis nächste Woche Sonntag Zeit. Ansonsten sage ich ihr dass du ihr Vater bist. Denn sie verdient diese Wahrheit. Und du weißt das, Dad!" Ich stolperte zurück, drehte mich um und rannte los. Es war mir egal, ob die beiden mich jetzt gehört hatten. Ich musste weg. Ich musste einfach weg.

„Ansonsten sage ich ihr, dass du ihr Vater bist!" 

Ich rannte schneller, merkte gar nicht, dass mich meine Beine zurück zum Schulgebäude getragen hatten und ich sichtbar wurde, kaum dass ich das Gebäude betreten hatte. Ich sah das Wasserglas am Boden stehen und schnaubte. Hätte ich dieses blöde Glas einfach in mein Zimmer getragen! Ich ging die Treppe rauf, schaffte es irgendwie die Tränen zu unterdrücken, die sich vor lauter Wut gebildet hatten und nun aus mir raus wollten. Ich stürmte auf mein Zimmer zu und lief hinein.

„Hey, da bist du ja endlich!", lachte Dana, die neben Abby auf meinem Bett saß und sich von Abby die Haare machen ließ. „Wir haben die Gesichtsmasken schon angerührt. Was hat den so lange gedauert?", fragte Abby und lächelte. 

Am liebsten hätte ich losgeschrien und die beiden aus meinem Zimmer geworfen, doch ich spielte einfach mit. „Summer wollte noch kurz mit mir sprechen. Sorry, ich bin nicht weggekommen. Also, Gesichtsmasken?", fragte ich und ließ mich neben den beiden auf mein Bett fallen.

„Mhm... Und Abby hatte die grandiose Idee, dass wir uns gegenseitig die Nägel lackieren!" „Ja, wenn schon ein Wellnessabend, dann so richtig", grinste Abby und begutachtete ihr Werk auf Danas Kopf. Sie hatte Dana die Haare in einen komplizierten Zopf geflochten und schien zufrieden. Dana sah in den Spiegel und nickte. 

„Sieht super aus! Du solltest Friseurin werden!" „Um Gottes Willen", lachte Abby. „Ich kann nur frisieren. Drück mir eine Schere in die Hand und ich versaue dir deinen Kopf!" Die beiden lachten und ich rang mir ein Lächeln ab. Wieso haben mich meine Füße hier her gebracht? Wo es nicht sonst mein Ding, in den Wald zu rennen und für Stunden zu verschwinden? 

Ich hab mich verändert. Mein Unterbewusstsein ist schlauer geworden. Leider.

„Okay, also Mädels lasst uns die Gesichtsmasken auftragen!" Dana holte eine Schüssel von meinem Schreibtisch und begann damit, Abby das Gesicht mit der Avocado-Maske einzuschmieren. Ich wartete bis ich an der Reihe war und nach nur wenigen Minuten merkte ich, wie ich mich entspannte. 

Beziehungsweise ich verdrängte einfach, was ich eben gehört hatte, wodurch ich mich tatsächlich entspannen konnte. Was brachte es mir auch, mich aufzuregen und wütend durch die Gegen zu rennen? Ich hatte doch nur darauf gewartet, dass das nächste große Geheimnis meines Lebens gelüftet wurde. Was soll's. Jetzt konnte mich nichts mehr überraschen oder verletzen. Ich wusste alles, was ich wissen musste. 

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