Kapitel Vierzehn

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Ich hatte beschlossen die Tatsache, dass mein Vater die ganze Zeit vor meiner Nase gesessen hatte, einfach wegzuschieben und zu ignorieren. Wenn ich die Gedanken einfach nicht zu ließ und das Gehörte ignorierte, dann konnte es mich nicht verletzen, wütend oder traurig machen. Alles wäre beim Alten.

Das redete ich mir zumindest in Gedanken die ganze Zeit ein, während ich mit Abby und Dana abhing und wir uns gegenseitig die Nägel lackierten und testeten, welche Frisur wir zum Ball tragen sollten. 

Ich schaffte es sogar den beiden vorzuspielen, dass alles völlig normal war und ich hatte das Gefühl, dass keine der beiden auch nur im geringsten daran zweifelte, dass es mir gut ging und alles so ist, wie normalerweise auch. Ein Geheimnis mehr oder weniger, welches ich vor ihnen verbergen muss... Meine ganze Existenz ist eh die reinste Lüge und verbunden mit Geheimnissen...

Doch dann kam die Nachtruhe und ich war allein, was meinem Gehirn den Anreiz gab, über alles nachzudenken und alles zu ordnen, was ich jetzt wusste.

Erstens: ich bin ein Chamäleon, eine seltene und von der Regierung der übernatürlichen Bevölkerung als nicht legale Art gekennzeichnete Übernatürliche.

Zweitens: Susan, die Frau die ich jahrelang als meine Mutter bezeichnet hatte, war nicht meine leibliche Mutter. Meine leibliche Mutter war nämlich spurlos verschwunden und niemand wusste, ob sie überhaupt noch am Leben war.

Drittens: mein Vater war Cedric und das bedeutete, dass ich einen Bruder hatte. Und das war der springende Punkt. Ich konnte es nachvollziehen, weshalb Cedric mich zu Susan gebracht hatte und ich konnte auch verstehen, weshalb er sich erst einmal nicht als mein Vater geoutet hatte. Ich konnte auch verstehen, dass Nic mir vorerst nichts gesagt hatte, als er es herausgefunden hat. Oder Cedric es ihm gesagt hat, so genau wusste ich nicht, wie Nic davon erfahren hatte. 

Ich konnte verstehen, dass Cedric aus Sicherheitsgründen nichts vor Summer oder James gesagt hat. Was ich aber nicht verstand war, weshalb er es mir nicht gesagt hat. Wir haben sooft alleine trainiert. Wir hatten mehrere Stunden im Keller gesessen und uns unterhalten, als wir den anderen Schülern hatten vorgaukeln müssen, dass ich mich wie eine Gestaltwandlerin verwandelte. Er hätte es mir sagen müssen.

Hatte er aber nicht. Und das nahm ich ihm übel. Jetzt hieß es im Grunde nur noch abwarten, wann er es mir selbstständig sagen würde. Wenn er es mir überhaupt sagen wollte.

Ein Klopfen an meinem Fenster ließ mich zusammenzucken und lächelnd stand ich vom Bett auf und öffnete das Fenster, damit Blake hereinkommen konnte. Die Gedanken an Cedric und Nic und mein verwirrendes Leben, schob ich erst einmal beiseite. 

Jetzt wollte ich mich nur nach an Blake kuscheln und die Welt für einen Moment vergessen. „Hey", sagte ich, als Blake sich ins Zimmer gleiten ließ und vor dem Fenster stehen blieb. „Hey", sagte Blake leise und ich trat einen Schritt an ihn heran, um ihn zu küssen.

Doch anstatt er sich mir entgegen beugte und mich zu sich zog, schob er mich an den Hüften ein Stück von sich weg. Verwirrt sah ich ihn an und runzelte die Stirn. „Alles okay?", fragte ich und lächelte. 

„Ich weiß, morgen ist Vollmond, aber du musst nicht auf Distanz gehen, weil du Angst hast mich zu verletzen", scherzte ich und sah zu, wie er langsam nach meiner Hand griff und seine Finger leicht mit meinen verschränkte.

„Ich wollte dir nie wehtun Lynn", sagte er leise und ich konnte nichts gegen das spöttische, kleine Lächeln tun. „Du hast mir noch nie wehgetan Blake. Komm schon, was ist los?", fragte ich und strich ihm leicht über die Wange. Sofort nahm er meine Hand und hielt sie fest. 

„Ich kann das nicht mehr machen", murmelte er und wich meinem Blick aus. Ich runzelte die Stirn. Nichts ergab gerade einen Sinn.

„Was meinst du? Blake, was ist los?", fragte ich dieses Mal ernster und verschränkte die Arme vor der Brust. Langsam fuhr er sich durchs Haar und ich spürte deutlich, dass er nach den richtigen Worten suchte. „Ich muss mich entscheiden, Lynn. Das Rudel oder..." Ich schüttelte den Kopf. 

„Du musst gar nichts", fiel ich ihm ins Wort. „Wenn es darum geht, dass du gerne wieder mehr bei den Werwölfen abhängen willst, dann ist das okay. Du musst nicht bei jeder Mahlzeit bei mir und meinen Freunden sitzen oder etwas mit uns machen. Du kannst tun und lassen was du willst", sprach ich weiter und sah ihn an. Blake schluckte.

„Das meine ich nicht", sagte er und sah mich das erste Mal richtig an. „Ich habe gegenüber meinem Rudel eine Verpflichtung. Und ich kann dieser Verpflichtung nicht mit dir an meiner Seite nachgehen!" Ich trat einen Schritt zurück und ein kleines, fassungsloses Lachen blubberte aus mir heraus. 

„Okay, du hattest mich wirklich fast", sagte ich und grinste. „Wie lange hast du diesen Satz vorm Spiegel geübt, bis du ihn ohne zu lachen sagen konntest?" Doch Blake lachte nicht. Er verzog auch seine Lippen nicht zu einem Lächeln oder machte sonst irgendwas, was mir zeigte, dass er Spaß machte. Er sah mich einfach nur an und langsam schüttelte ich den Kopf.

„Du... du meinst das nicht ernst. Blake..." „Es tut mir leid Lynn. Ich wollte dir wirklich nie weh tun, aber... Ich muss mich entscheiden. Du oder das Rudel und..." „Wer sagt, dass du dich entscheiden musst? Das ist doch bullshit!" Blake sah zu Boden. 

„Hat dein Vater darüber mit dir reden wollen vorhin? Wenn er dich zwingt dich zu entscheiden..." „Es geht hier nicht um meinen Vater. Er hat nichts damit zu tun!" Ich schnaubte. „Ja klar", sagte ich und wandte den Blick ab. Tränen bahnten sich einen Weg in meine Augen und ich blinzelte sie schnell weg. 

„Dir ist das gerade erst klar geworden oder wie? Wann genau, als du mich vorhin im Aufenthaltsraum geküsst hast oder nachdem dein Vater mit dir gesprochen hat?" Ich sah ihn an, doch er wandte den Blick ab. „Sieh mich an und sag mir, dass dein Vater dich in keiner Weise beeinflusst hat!"

Blake sah mich nicht an. „Es tut mir leid Lynn. Ich würde es dir gerne erklären, aber..." „Erklär' es mir", unterbrach ich ihn und schluckte. „Du würdest es nicht verstehen..." Ich lachte leise auf. „Klar... Ich würde es nicht verstehen, weil ich wahrscheinlich zu dumm bin oder..." 

„Nein, du würdest es nicht verstehen, weil du nicht Mitglied eines Rudels bist! Ich kann die Zukunft meines Rudels nicht gefährden für...", er unterbrach sich selbst und ich schluckte. „Sag es ruhig. Du kannst die Zukunft deines Rudels nicht gefährden für...?" Ich sah ihn abwartend an, doch er wandte den Blick ab. „Für eine wie mich? Für eine Gestaltwandlerin?" Noch immer antwortete er nicht.

„Also war es das?", fragte ich leise. „Du beendest es?" „Es tut mir leid. Ehrlich, ich will dir nicht weh tun Lynn", sagte er leise und nahm vorsichtig meine Hand. Eine Träne rollte über meine Wange und ich sah ihn schon beinahe flehend an. 

„Dann tu mir nicht weh", sagte ich leise und schloss die Augen, als er mir über die Wange strich und mir einen letzten Kuss auf die Stirn gab. „Bitte... Blake, geh nicht", flüsterte ich und presste die Lippen aufeinander. „Es tut mir leid", sagte er leise und als ich die Augen öffnete, war er gerade dabei aus dem Fenster zu klettern. Ich schluckte.

Ich wollte ihm nach. Ihn anschreien, dass er das nicht tun konnte. Ich wollte ihn festhalten und ihn anflehen, dass er bleiben sollte. Ihm sagen, dass das nicht das Ende sein konnte. Aber anstatt dies zu tun, sackte ich auf die Knie und presste meine Hand an meinen Mund, um nicht laut los zu schluchzen. 

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