Kapitel Zweiunddreißig

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Ich ließ die Turnhalle hinter mir und ging aufs Schulgebäude zu. Aber alles in mir sträubte sich dagegen, hinein zu gehen. Ich hätte jetzt locker Will suchen können, um mit ihm zu sprechen. Aber im Moment wollte ich nicht reden. 

In meinem Kopf waberten so viele Gedanken umher, dass ich das Gefühl hatte in einem überfüllten Raum zu stehen, in dem alle laut durcheinander sprachen. Deshalb schlug ich einen ganze anderen Weg ein.

Ich drehte um und ging in Richtung Friedhof. Das Tor quietschte laut, als ich es öffnete und auf die Kapelle zuging, die majestätisch vor mir aufragte. Ohne zu zögern ging ich hinein und ließ die schwäre Tür hinter mir zufallen. Augenblicklich kehrte Ruhe in mir ein. Ich atmete tief durch und ließ den Raum auf mich wirken.

Die Kapelle wurde lediglich durch das, durch die Buntglasfenster einfallende Sonnenlicht beleuchtet. Rechts und links vom Gang, der zum Altar führte, standen alte, leicht verwitterte Kirchenbänke und obwohl ich nie irgendwie an etwas wie Gott gedacht hatte, spürte ich an diesem Ort eine Energie, die ich nicht beschreiben konnte. Es war angenehm warm hier und langsam ließ ich mich auf die Kirchenbank ganz vorne nieder.

Die einfallenden Sonnenstrahlen machten den herumwirbelnden Staub sichtbar und seufzend lehnte ich mich zurück und starrte auf das große Wandgemälde, welches einen alten Baum zeigte, um den einige Frauen tanzten und Körbe mit Obst und Gemüse trugen. Ich legte den Kopf schief, als ich ein leichten Grünton um die Frauen herum erkannte.

„Die Kapelle wurde hier errichtet, nachdem durch einen Brand, irgendwann im Mittelalter, der Baum des Lebens zerstört wurde. Es ist ein alter Feentempel und nur aufgrund der noch vorhandenen Magie, ist das Bild überhaupt noch sichtbar..."

Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich um. Blake lächelte entschuldigend und trat näher an mich heran. „Entschuldige, ich dachte du wüsstest, dass ich hier bin", sagte er dann und setzte sich neben mich. „Woher wusstest du, dass ich hier bin? Und wieso bist du hier? Hast du keinen Unterricht?", fragte ich und er zuckte mit den Schultern.

„Ich habe gesehen, wie du in den Wald gegangen bist und habe Summer gesagt, dass ich auf Toilette muss. Ich bin dir gefolgt, weil du ziemlich... hilflos gewirkt hast. Verwirrt und... traurig", sagte er und sah mich an. 

„Du musst nicht darüber reden, aber... ich bin hier wenn du mich brauchst!" Ich schluckte und wandte den Blick ab. Wie gerne würde ich einfach über alles reden. Ich würde ihm gerne alles erzählen. Meinen Freunden alles erzählen. Aber ich konnte nicht.

„Ich würde so gerne darüber reden, aber... Ich kann nicht", antwortete ich leise. „Wieso nicht?" Ich zuckte mit den Schultern und wischte mir unauffällig eine Träne aus dem Augenwinkel. „Hey", sagte Blake leise und zog mich zu sich. Kaum hatte er mich an sich gedrückt, konnte ich die Tränen auch nicht mehr zurück halten. Alles, was sich über die letzten Tage, nein Wochen, aufgestaut hatte, all die Trauer, die Wut, die Verzweiflung... 

Es brach alles über mich ein. Angefangen mit dem Schmerz, den ich empfunden habe, als Blake Schluss gemacht hat, bis hin zum Tod von meiner Mutter und dem Gespräch, welches ich gerade mit Cedric geführt hatte. Blake drückte mich an sich, hielt mich fest und strich mir beruhigend über den Rücken. Er sagte nichts, drängte mich nicht dazu, ihm zu sagen was los war. Er hielt mich einfach nur fest und gab mir so das Gefühl, nicht alleine zu sein. Solange, bis keine Träne mehr kam und ich mich so verdammt leer fühlte, dass ich einfach nur da saß und mich von Blake halten ließ.

Ich hatte beinahe vergessen, wie gut es sich anfühlte von ihm gehalten zu werden. Wie sicher und geborgen ich mich immer fühlte, wenn er da war. Wie gut und wie richtig es sich anfühlte, wenn er mich an sich drückte oder wenn er mich küsste.

Silverleaf Academy - Wenn alles anders ist... (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt