Kapitel Sechszehn

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Das ganze Wochenende schaffte ich die Gedanken an diese ganze Cedric-ist-dein-Vater-Geschichte und die Blake-hat-schluss-gemacht-Geschichte nicht mehr zu denken. Beziehungsweise ich schaffte es diese Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirns zu verdrängen, sodass ich meinem Körper und Geist die klare Anweisung gab, nicht zu heulen oder anderweitige Gefühle zuzulassen. 

Es funktionierte auch wirklich gut und schon am Sonntag fragten mich meine Freunde nicht alle halbe Stunde, ob es mir wirklich gut ging. Ich musste nicht einmal lügen, denn Gefühllose-Lynn ging es wirklich gut.

„Okay, wir haben Montag, heißt in fünf Tagen ist der Ball", flötete Abby und setzte sich an unseren Tisch. „Und was genau sollen wir mit dieser Information anfangen?", fragte Julian stirnrunzelnd. „Wir freuen uns einfach, dich den Ententanz tanzen zu sehen", sagte ich grinsend und Julian sah mich mit genervter Miene an. Dass er tatsächlich im Monopoly verloren hatte, schmerzte ihn mehr als er zugeben wollte. Aber Wettschulden waren ja bekanntlich Ehrenschulden. 

„Sie zählt tatsächlich nur die Tage. Aber sicherlich freut sie sich auch über den Ententanz", erklärte Nic und setzte sich neben sie. Seit Sonntag waren die Beiden dazu übergangen, ständig Händchenzuhalten, was süß war. Nur Gefühllose-Lynn konnte sich darüber, dass ihre beiden beste Freunde endlich zueinander gefunden hatten, nicht freuen. Gefühllose-Lynn freute sich generell über nichts. Sie tat so, was aber niemand merkte. Vielleicht Nic, wenn er sich darauf konzentrierte, dass ich ihn anlog.

„Also Lynnie, ich habe mir überlegt, dass wir am Freitagabend noch einmal so einen richtig ausgiebigen Wellnessabend machen! Wir machen ein Gesichtspeeling, lackieren uns unsere Nägel und gehen früh zu Bett, damit wir am Samstag fit uns ausgeruht sind. Und am Samstag treffen wir uns gegen sieben bei mir im Zimmer und machen uns gemeinsam fertig. Dana hat schon zugesagt und hat Gabe versprochen, dass er atemlos sein wird, wenn er sie die Treppe runterkommen sieht!" 

„Klingt cool", sagte ich schlicht und lächelte kurz mein Fake-Lächeln, welches ich mir übers Wochenende angeeignet hatte.

„Apropos Dana... Wo ist sie?", fragte Julian und sah sich um. „Sitzt bei Gabe. Ich glaube, sie mag ihn wirklich", sagte Damien und deutete zu einem Tisch, an dem tatsächlich Dana mit einem blonden Jungen mit dichten Locken saß. Er war ein Gestaltwandler und ich erinnerte mich, ihn schon ein paar Mal beim Training mit Cedric gesehen zu haben. Wirklich mit ihm gesprochen hatte ich noch nie, aber ich wusste, dass er eine Klasse über uns war. 

„Sieht so aus", sagte Julian und nickte leicht. „Solange mir Gabe nicht vorschwärmt, wie gut sie küssen kann..." Wir lachten und Julian verzog das Gesicht zu einem amüsierten Grinsen. „Was steht bei euch heute so auf dem Plan?", fragte er dann in die Runde.

„Nicht viel... Wahrscheinlich ein Überraschungstest von James", murmelte Nic. „Weißt du was?", fragte Damien sofort. Nic zuckte mit den Schultern. „Dad meinte nur heute Morgen zu mir, ich solle mir noch einmal Mathe anschauen. Was ziemlich unfair ist, weil wir Mathe in der Zweiten haben und also keine Zeit bleibt um noch einmal ordentlich zu lernen", sagte er und verdrehte die Augen. 

„Wenigstens warnt dein Dad dich vor", sagte ich und bemerkte zu spät, wie sarkastisch ich klang. Mist. „Ja, hättest du es uns auch gesagt, wenn Julian nicht gefragt hätte?", fragte Abby und sah Nic stirnrunzelnd an. „Natürlich... Ich bin doch kein scheiß Freund", sagte Nic und verdrehte die Augen. Gefühllos-Lynn, die gerade kurzzeitig die echte Lynn an die Macht gelassen hatte, schaffte es sie wieder in die hinterste Ecke ihres Gehirn zu schubsen.

„So haben wir es nicht gemeint. Wir ziehen dich doch bloß auf", sagte ich schnell und lächelte versöhnlich. Nic sah mich an und seufzte dann. „Sorry... bin irgendwie in letzter Zeit empfindlich", sagte er leise. „Willst du darüber reden? Irgendwas belastet dich", sagte Abby und sah ihn mitfühlend an. 

„Jup... Ich merke es auch", sagte Damien ruhig. „Passt schon... Ich weiß selbst nicht, was genau los ist", sagte Nic und ich merkte deutlich wie er log. „Entschuldigt mich kurz, ich gehe mir noch einen Joghurt holen", sagte ich, weil Gefühllose-Lynn immer wieder der echten Lynn Platz machte, die liebend gerne Nic auf alles angesprochen hätte.

An der Essensaugabe war mittlerweile nicht mehr viel los. Fast jeder hatte sich bereits etwas zu essen geholt und holte sich jetzt lediglich etwas Nachschlag oder etwas zu trinken. Ich nahm mir eine kleine Glasschüssel und griff nach dem Löffel für den Kirschjoghurt, der heute angeboten wurde. 

„Ich bin überrascht... Ich hätte dich nicht für diesen Typ... Frau gehalten..." Gefühllose-Lynn hatte alle Hände voll zu tun, der echten Lynn nicht doch das Zepter zurückzugeben. Weil dann hätte ich Cecilia ordentlich in den Arsch getreten. Doch ich drehte mich nur kurz zu ihr und sah sie fragend an.

„Meinst du meine Joghurt-Wahl? Eigentlich bin ich ehr so der Typ Erdbeer-Pannacotta oder Schokolade. Aber so ein Kirschjoghurt hat auch mal was", sagte ich und Cecilia schnaubte. „Tu nicht so dämlich. Du weißt genau worüber ich rede", sagte sie und lächelte dann mitfühlend. 

„Ich hatte wirklich gedacht, du würdest heulend wie ein geprügelter Hundewelpe durch die Gänge irren. Oder zumindest mir ein paar wütende Blicke zuwerfen. Aber... nun ja dir scheint es ja ziemlich egal zu sein", sagte sie. Ich zuckte mit den Schultern. 

„Du hattest mich ja netterweise vorgewarnt. Danke noch einmal. Das hat es wirklich einfacher gemacht. Andernfalls würde ich wahrscheinlich, wie du es gerade beschrieben hast, durch die Gänge laufen. Ich hoffe dich warnt auch jemand rechtzeitig vor, falls Blake mal wieder seine Meinung über dich ändert", sagte ich im selben Tonfall, wie sie gerade mit mir gesprochen hatte. Cecilia sah mich perplex an.

„Na ja, guten Appetit dir noch. Wir sehen uns dann in Mathe, schätze ich. Ach so, eventuell will James einen Überraschungstest schreiben, nur damit du vorgewarnt bist!" Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte ich mich ab und ging zurück zu meinen Freunden, die mich besorgt ansahen. 

„Was wollte dieses Miststück?", fragte Dana, die an unserem Tisch aufgetaucht war, dicht gefolgt von Gabe, der kurz in die Runde nickte und ihr ihre Tasche reichte. „Weiß nicht... Ich glaube sie wollte Salz in die Wunde streuen. Aber, wo keine Wunde ist, kann man kein Salz hintun", sagte ich schulterzuckend und setzte mich wieder neben Abby. 

„Und was hast du zu ihr gesagt? Sie hat dich gerade angesehen, als sei dir ein zweiter Kopf gewachsen", sagte Julian stirnrunzelnd. Wieder zuckte ich mit den Schultern. „Ich war einfach nett. Ich glaube sie ist Nettigkeiten nicht gewohnt", meinte ich und aß genüsslich meinen Joghurt.

„Sicher, dass es dir..." „Mir geht's gut", unterbrach ich Abby ruhig. „Ehrlich Leute, es geht mir gut. Hört auf mich so anzusehen, als wäre mir wirklich ein zweiter Kopf gewachsen. Sonst wächst da wirklich noch einer!" Ich lachte leicht und sah in die Runde. „Ich muss schon los. Sehen wir uns später Babe?" Wir sahen Gabe an, der Dana einen kurzen Kuss auf die Wange gab und dann, nach einem Nicken von ihr, in Richtung Tür ging. 

„Babe?", fragte ich grinsend und Dana wurde etwas rot. „Also wird es doch was ernstes? Will er vielleicht demnächst mit hier bei uns sitzen?", fragte Damien und lächelte. „Wenn ihr ihn dann nicht irgendwelche peinlichen Fragen stellt..." „Wir sind nur deine Freunde, nicht deine Eltern. Aber viel Spaß am Samstag dann, wenn Karen und Mitchell ihn kennenlernen", grinste Julian.

Dana gab ihm einen leichten Schlag auf die Schulter. „Also ich verspreche dir, wir werden ihn nicht ausfragen. Hauptsache er ist nett zu dir und macht dich glücklich!", sagte ich und Abby nickte zustimmend. „Was ist eigentlich mit Emma, Damien? Warum setzt sie sich nicht mal zu uns?", wechselte Dana schnell das Thema. 

„Sie bleibt lieber bei ihren Freundinnen. Und wir sind ja auch kein Paar oder so. Nur Freunde, die gemeinsam zum Ball gehen", sagte er ruhig. „Ach komm", lachte Nic. „Sie steht total auf dich!" „Ja!", sagte Dana und gab ihm einen leichten Schubs. „Oh wie cool wäre es bitte, wenn wir beim Ball alle in einer festen Beziehung wären und... Aua! Julian, du... oh... Sorry Lynn, ich..." „Mir geht's gut", sagte ich und lachte.

„Ehrlich ihr sollt aufhören mich mit Samthandschuhen anzufassen. Es ist alles in bester Ordnung. Ich bin kein wandelndes, heulendes Wrack. Sollte sich das ändern, warne ich euch vor!" Meine Freunde nickten. Und bis auf Nic sahen mich alle weniger besorgt an und nach einem Lächeln meinerseits, lächelten sie zurück und ließen das Thema endlich ruhen.

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