Kapitel Fünfunddreißig

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Lynn

Schritte vor der Tür ließen mich hochfahren. Mit einem leisen Quietschen ging sie auf und ich sah in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.

„Essenszeit", flötete Thomas gut gelaunt und ich spürte wie er sich vor mich hockte. „Wir wollen ja, dass du bei Kräften bleibst. Nicht wahr?" Ich schlug ihm den Löffel, den er mir scheinbar an die Lippen halten wollte aus der Hand. Klirrend fiel dieser ein Stück weiter auf den harten Boden. Thomas seufzte und es klang so, als würde er nur mit Mühe ruhig bleiben können.

„Ich habe die Suppe nicht vergiftet, wenn das deine Angst ist. Wir brauchen dich lebend. Vorerst", sagte er und ich hörte, wie er etwas auf dem Boden abstellte. Die Schüssel, wie ich vermutete.

„Lieber verhungere ich", zischte ich und wägte ab, ob ich es schaffen würde ihm eine reinzuhauen. „Egal was du planst, es wird nicht funktionieren! Summer, James und die anderen wissen, dass du dahinter steckst!" Thomas lachte düster. 

„Bist du dir da sicher?", fragte er. „Also als ich gerade mit Summer und James gesprochen habe, haben sie nicht sehr besorgt gewirkt. Ich glaube James' Worte waren sogar, dass es bei dir ja nichts Neues ist, wenn du für einige Stunden verschwindest. Und er hat mich außerdem vom Gelände gelassen. Würde jemand der mir misstraut und weiß, dass ich dich... in Gewahrsam habe, wirklich einfach gehen lassen?"

Ich suchte nach einem Anzeichen einer Lüge, doch nichts. Trotzdem wollte ich ihm nicht glauben. „Du lügst... Sie wissen, dass du hinter allem steckst und Susan getötet hast!" Wieder lachte er. 

„Ach, tun sie das? Wieso haben sie mich dann, ohne weitere Fragen gehen lassen? Wie gesagt, James ließ mich vom Gelände und fand es nicht besonders Besorgniserregend, dass du verschwunden bist. Dafür muss ich dir wirklich danken. Dein Talent abzuhauen, wenn du emotional aufgewühlt bist, macht es um einiges einfacher. Und jetzt iss. Du wirst deine Kräfte brauchen!" Ich zwängte mir den Löffel in den Mund und als ich versuchte seine Hand wegzuschlagen, hielt er sie mit seiner freien Hand eisern fest.

Wütend trat ich nach ihm und hörte wie eine Schüssel lautstark zu Boden fiel und in Einzelteile zerbrach. Thomas atmete hörbar aus. „Gut", presste er hervor und ich hörte wie er aufstand. „Dann auf die harte Tour", fügte er hinzu und ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten. 

Die Tür hatte er offen gelassen, wahrscheinlich weil er davon ausging, dass ich ohnehin nicht abhauen konnte. Schnell und vorsichtig tastete ich den Boden um mich herum ab und zuckte schmerzhaft zusammen, als meine Finger eine scharfkantige Scherbe der Schüssel streiften. Dennoch lächelte ich und umfasste die Scherbe, ehe ich langsam aufstand.

Die Scherbe war ungefähr so lang wie mein Zeigefinger und die Kanten schnitten in meine Haut. Ich ertastete die Seite, die besonders spitz zulief und entschlossen hielt ich die Scherbe so, dass ich sofort zustechen konnte, wenn mir jemand zu nahe kam.

Mein erster Gedanke war, dass ich den Raum verlassen und versuchen sollte abzuhauen. Allerdings wusste ich nicht wo ich war, oder was mich außerhalb dieses Raumes noch alles erwarten würde. War nur Thomas hier, oder liefen hier noch andere Vampire rum? 

Ich wusste auch nicht, wo genau ich war oder wie ich hier weg kam. Es wäre dumm einen Fluchtversuch zu wagen. Aber ich würde Thomas zeigen, dass ich mich wehren würde. Und dass er mich nicht unterschätzen sollte.

So wie ich es in all den Trainingseinheiten gelernt hatte, stellte ich mich in die typische Verteidigungsstellung, als ich schnelle Schritte hörte. Ich achtete darauf, dass man die Scherbe nicht sofort bemerkte. Sie würde meine Geheimwaffe sein. Ich würde damit zwar nicht entkommen, aber immerhin würde Thomas eine ordentliche Narbe davontragen. Doch etwas an den Schritten war anders. Es war nicht nur eine Person, die in meine Richtung kam.

Silverleaf Academy - Wenn alles anders ist... (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt