-5- Jessy

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„Ms. Handerson?"

„Ms. Handerson?"

Ich schrecke auf. Wo war ich mit meinen Gedanken? Ich blicke in die blauen Augen über dem Mundschutz. Dr. Franklin lehnt mit beiden Händen auf den Rollstuhllehnen gestützt, ziemlich nah vor meinem Gesicht und schaut mir in die Augen.

„Ja?", bringe ich krächzend heraus.

Ein Lächeln umspielt seine Augen und er stößt sich von den Armlehnen ab, um sich auf die Liege mir gegenüber zu setzen. Er holt tief Luft und mir wird ganz mulmig im Bauch.

„Was sagt das Röntgenbild?", frage ich zaghaft und mit einem zerknirschten Gesicht, welches Dr. Franklin hoffentlich hinter meinem Mundschutz nicht ausmachen kann.

„Leider habe ich keine guten Nachrichten, Ms.Handerson. Ihr Sprunggelenk ist gebrochen und ist so verschoben, dass Sieoperiert werden müssen." Ich schlucke und mir wird ganz schwindelig. Doch Dr.Franklin spricht einfach weiter. „Wir werden eine Titanplatte einsetzen müssenund diese mit Schrauben fixieren. Sie bekommen dann einen Stützschuh alsGipsersatz. Dieser ist hygienischer und einfacher in der täglichen Handhabung,er wird Sie mit den Unterarmstützen die nächsten sechs Wochen begleiten." Mirwird schwindelig, meine Ohren beginnen zu summen und ich lasse meinen Kopf nach hinten fallen. „Oh bitte nicht.", ist in dem Moment alles, was ich herausbekomme.

„Ms. Handerson, das ist für uns ein Routineeingriff. Machen Sie sich keine Sorgen.", versucht Dr. Franklin mich zu trösten. Er steht auf und stützt sich wieder nach vorn auf den Armlehnen des Rollstuhls ab, er schaut mir in die Augen. Ruhig und etwas sanfter sagt er: „Ms. Handerson, wir kriegen das hin.", und zwinkert mit dem linken Auge. Ein wolliger Schauer streift mir über den Rücken und ich fühle mich tatsächlich gut bei ihm aufgehoben. Etwas zu lange bleiben unsere Blicke aneinanderhaften. Seine Augen sind tatsächlich stahlblau und wenn er lächelt, bilden sich kleine Fältchen an den Außenseiten. Das lässt ihn sympathisch wirken.

Ich räusperte mich und zwinge mich den Blick zu lösen. Ich frage: „Wie geht es nun weiter? Außer mein Handy, meiner Geldbörse und das was ich trage, habe ich nichts dabei.".

„Rufen Sie Jeff an und bitten Sie ihn Ihnen Kleidung und Hygieneartikel für vier Tage zu packen und vorbeizubringen. Ich kümmere mich um ein Zimmer für Sie.", sagt Dr. Franklin auf dem Weg zur Tür. Als er seinen Satz beendet hat, verschwindet er, ohne mich eines Blickes zu würdigen und schließt die Tür hinter sich. Leidet der Mann an Stimmungsschwankungen? Und was hat Jeff damit zu tun?

Ich fische wieder mein Handy aus der Jacke und rufe Dina an: „Ich stelle auf laut, dann kann Jeff gleich zuhören.", sagt sie ein bisschen besorgt. Ich erkläre den beiden kurz, was Dr. Franklin gesagt hat, lasse seine blauen Augen, seine Lachfältchen und verwuschelten Haare aber weg.

„Oh nein Süße, dass tut mir leid.", sagt Dina in ihremSingsang, mit dem sie es auch wirklich ernst meint. „Ich packe dir alleszusammen und wir bringen dir die Sachen gleich vorbei." „Danke euch, Leute.", mir ist gerade so nach Heulen zumute, dass ich das Gespräch schnell abbreche und mich den Tränen hingebe. Natürlich habe ich kein Taschentuch und schmiere Tränen und was mir aus der Nase läuft etwas ungeniert mit dem Ärmel meiner Jacke ab. Da öffnet sich die Tür, gerade als ich die Hände über mein Gesicht gelegt habe und ein lauter Schluchzer mir entgleitet.

Blitzschnell steht Dr. Franklin an meinem Rollstuhl, er geht in die Hocke und legt seine Hände in meine: „Sie brauchen keine Angst haben, Ms. Handerson. Wie ich bereits sagte, haben wir das schon tausendmal gemacht. Es gibt also keinen Grund zu weinen.", sagt er sanft und reicht mir ein Taschentuch. Ich schnäuze und wische mir die Augen ab. „Doch, den Grund gibt es. Es passt gerade gar nicht, dass so ein Mist passiert ist. Kurz vor Weihnachten, die Beste Zeit im Geschäft. Dazu ist es meine erste Operation überhaupt und ich habe Megaangst davor.", platzt es aus mir heraus. Dr. Franklin sieht mich verständnisvoll an. Das macht er sicher hundert Mal am Tag. „Ich kann Sie verstehen. Damit Ihnen der Aufenthalt nicht zu anstrengend wird, habe ich Ihnen ein Einzelzimmer besorgt.", und schon löst er die Bremse des Rollstuhls und schiebt mich aus dem Zimmer. Ich hocke wie ein Häufchen Elend in dem Stuhl und habe den Blick zu Boden gerichtet. Ich weiß nicht genau, wo wir lang fahren. Nach einer Weile kommen wir an einem Fahrstuhl an. Dr. Franklin drückt auf die zwei. Die Türen schließen sich. Er geht vor meinen Rollstuhl und hockt sich wieder hin. Seine blauen Augen bohren sich in meine. „Ich bin übrigens Matthew. Meine Freunde nennen mich Matt. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auch Matt nennen.", sagt er mit so einer ruhigen und liebevollen Stimme, dass ich nur nicken kann. „Ich bin Jessy.", krächze ich, da mein Hals immer noch vom Weinen ziemlich strapaziert ist. „Freut mich, Jessy. Und glauben Sie mir. Wir kriegen das hin. Ich verspreche es Ihnen.". Mit einem Bing kündigt der Fahrstuhl an, dass wir in der zweiten Etage angekommen sind. Dr. Franklin, Matt, erhebt sich und stellt sich wieder hinter mich. Vor mir sehe ich einen langen Flur mit vielen Türen links und rechts, es laufen überall Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte umher. Kleine Rollschränke mit Verbandsmaterial, Laptops oder medizinische Geräte werden hin und her geschoben. Die Wände sind bis zur Sockelhöhe in einem hellen grün gestrichen. Abgetrennt durch einen Handlauf ist der Teil der Wände darüber weiß. Dr. Franklin schiebt mich in diesen Flur. Plötzlich spüre ich seinen Atem am rechten Ohr und die Wärme seines Gesichts. „Keine Angst, hier beißt keiner.", sagt er mit einem hörbaren Schmunzeln. So plötzlich, wie ich ihn wahrnehmen konnte, ist er auch wieder verschwunden und wir halten vor einer Glasscheibe. Dahinter scheint sich das Schwesternzimmer zu befinden. Eine kleine, rundliche Dame steht auf: „Matt, mein Lieber. Wen bringst du mir?". Sie kommt auf uns zu. Sie ist flinker, als ich gedacht hätte. Sie hat kurze dunkle Haare mit blonden Strähnen durchzogen, einen weißen Kittel mit pinken Schuhen an und ein Lächeln auf den Lippen. Das kann ich an ihren Augen sehen. Ich versuche auch zu lächeln. Aber ich glaube es erreicht meine Augen nicht.

„Das ist Ms. Handerson. Sie hat sich eine Sprunggelenksfraktur Weber A zugezogen und wird heute Abend operiert. Ich habe für sie das letzte Zimmer hinten rechts eingeplant. Und Schwester Agnes, sie braucht absolute Ruhe.", zwinkert er ihr zu.

„Ach Liebes, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Schwester Agnes. Ich bin hier die Stationsschwester und werde mich um sie kümmern.". „Danke, Schwester Agnes. Ich bin Jessy Handerson.".

Matt tritt vor mich: „Ich lasse dich, äh Sie, jetzthier und komme später noch einmal nach Ihnen sehen. Für die OP bereitet SieAgnes vor, sobaldich ihr das Zeichen gebe. Und nochmal, es wird alles gut.". Ich nicke: „WerdenSie mich operieren?". „Ich denke ja, wenn kein Notfall dazwischenkommt.". Ichnicke wieder. Matt schaut mir in die Augen, kurz sehe ich ein blitzen, und dannverschwindet er rasend schnell. Als ich ihm noch hinterher schaue, kommt Agnesauf mich zu. „So, dann wollen wir mal. Ich bringe Sie in Ihr Zimmer.", und ichrolle los.

Dr. Cute, bitte in den OP.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt