-21- Jessy

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Der Ausflug zu Dr. Kauffman war anstrengender, als ich gedacht hätte. Ich werde auf der Couch wach, als es bereits dunkel ist. Matt ist gegangen, er muss ja seine Schicht im Krankenhaus absolvieren. Ich habe das Gefühl, er macht zu viel für mich. Er ist immer da und hilft. Für mich selbst bekomme ich das Gefühl, dass ich ihn ausnutze. Ich fühle mich nicht gut dabei. Ich habe eben Dina geschrieben und gefragt, ob sie Zeit hat. Ich muss mit jemanden reden. Nur zehn Minuten nach meiner SMS stand Dina bereits in meinem Wohnzimmer.

„Was ist los, Süße?"

Sie setzt sich neben mich auf die Couch und ich sinke mit meinem Kopf in ihren Schoß. Das ist schon immer unsere Position, in der wir über unsere Gedanken, Probleme und Gefühle reden können.

„Ich weiß nicht, wie ich mit Matts Hilfe und Fürsorge umgehen soll. Ich habe das Gefühl ich lasse zu viel zu und werde dann sowieso wieder verletzt."

„Meinst du nicht du übertreibst etwas? Matt mag dich denke ich wirklich. Ich mag ihn und er tut dir gut. Gerade jetzt in deiner Situation."

Ich fahre hoch und schaue Dina entsetzt an.

„Was ist denn bitte meine Situation? Ich bin doch nicht behindert oder schwer krank. Ich habe mir meinen Knöchel gebrochen und ich muss geduldig sein, dass es wieder alles wird wie vorher. Klar habe ich Mist gebaut und es selbst zu verschulden. Aber Extremsportler, die sich verletzten, verurteilt man auch nicht mit dem Satz „In deiner Situation"."

„Was willst du denn jetzt von mir hören?", Dina ist sichtlich geschockt von meiner aufbrausenden Antwort.

„Ich will hören, dass es alles wieder gut wird. Und ich denke ich lerne Matt unter den falschen Umständen kennen. Wären wir uns in einer Bar begegnet, dann hätte ich nicht das Gefühl, dass mich jemand babysitten muss. Aber genau das Gefühl bekomme ich, weil ich nichts allein auf die Reihe bekomme. Ich will wieder ein selbständiges und eigenes Leben führen. Mein Bein hindert mich gerade daran. Aber immer, wenn Matt in meiner Nähe ist, erinnere ich mich daran wie er sich bemüht und kümmert. Was ist, wenn alles wieder gesund und heil ist? Haben wir dann eigentlich noch etwas zu besprechen? Haben wir dann noch Themen abseits von einer Weber-A-Fraktur?"

„Ich glaube du steigerst dich da in etwas rein. Weiß er eigentlich, wie das passiert ist?", fragt mich Dina direkt und ich muss nachdenken, was ich damals zu ihm gesagt habe.

„Nein, ich habe nur gesagt ich bin auf dem Nachhauseweg umgeknickt. Mehr weiß er nicht."

„Jessy, warum lässt du das Glück nicht zu? Er war dein Retter in deiner dunklen Stunde, und ich habe schon das Gefühl, er macht es gern. Also dir zu helfen."

„Kannst du dich daran erinnern, wann ich das letzte Mal Hilfe angenommen habe?", frage ich direkt. Und ich weiß auch warum ich ausgerechnet sie das frage. Als Ben und ich damals zusammengezogen sind, waren nicht alle einverstanden und auf meiner Seite. Dazu gehörte auch Dina. Ich habe alles allein durchgezogen, organisiert, eingepackt und wieder ausgepackt. Ich habe es Dina und Jeff damals nicht übelgenommen.

„Vielleicht solltest du mal wieder Hilfe annehmen.", mit diesen Worten steht Dina von der Couch auf, drückt mich noch einmal und geht ohne ein weiteres Wort.

Ich sehe ihr hinterher und begreife gar nicht gleich, was gerade passiert ist. Unruhig rutsche ich auf meinem Platz auf der Couch hin und her. Ich wette Matt überlegt sich schon wieder eine neue Nettigkeit für mich und ich will es einfach nicht. Ich habe diesen Unfall selbst zu verschulden und muss da jetzt auch durch. Ich könnte ihm die Wahrheit jetzt sagen oder ich werde erst einmal gesund, beweise allen, dass ich es allein schaffe, und sage es ihm dann. Ich schnappe mir mein Handy und tippe eine Nachricht. Eine Nachricht an Matt, die ihn bestimmt aus der Bahn werfen wird, ich aber der Überzeugung bin, dass dies das Beste für uns ist. Wenn, und nur wenn, unsere Beziehung, oder was das ist, ein gutes Ende nehmen soll. Als ich die Nachricht abgeschickt habe, sinke ich in meine Couch zurück und schlafe unruhig wieder ein.

Ich wache erst wieder auf, als die Sonne schon in meine Wohnung scheint. Ich habe zwar lange, aber schlecht geschlafen. Der Schuh nervt und wenn ich mein Bein nur ein bisschen verstelle, schmerzt es so sehr, dass ich manchmal sofort Tränen in den Augen habe. Ganz zu schweigen vom Aufstehen. Sobald sich mein Bein in die Waagerechte begibt, schwillt mein Knöchel an und es brennt wie Feuer, und manchmal zwiebelt es so sehr. Ich will, dass dieser Schmerz aufhört. Ich humple dann meist einfach schnell los, damit sich mein Kopf darauf konzentriert, statt auf die Schmerzen. Es klingelt an der Tür, aber ich will niemanden sehen. Ich bleibe ganz still auf der Couch. Zu Hören ist ein Geräusch, dass sich anhört, als hätte jemand etwas auf die Schwelle gestellt. Dann höre ich Schritte, die sich von meiner Eingangstür entfernen. Vielleicht ein Paket von meiner Mom? Oder Dina mit einem weiteren Snack-Paket, wobei ich die letzten Mitbringsel bei weitem noch nicht aufgegessen habe. Ich esse gerade eh wenig. Ein Motor springt an und ich höre ein Auto aus der Einfahrt fahren.

Ich stehe auf, Schmerz... und dann humple ich los. Vor meiner Tür finde ich eine Kühlbox mit einem Zettel darauf:

Damit du nicht nur Dina's Snacks isst. Lass es dir schmecken.

In Liebe, Matt

Ich hole tief Luft und bin trotzdem neugierig, was da drin ist. Ich schiebe die Box mit meiner Krücke in den Hausflur. Nachdem ich sicher mehr als ungalant die Haustür geschlossen habe, bin ich mehr als neugierig, was in der Box ist. Meine Hände an dem Deckel, zögere ich. Ich wollte nicht mehr, dass Matt so lange ich krank bin, mir Geschenke, Essen oder was auch immer schickt, bringt, oder welchen Weg er wählt. Ach, nun ist sie hier, die Box.

Als wäre es eine antike Kiste mit mysteriösem Inhalt,öffne ich vorsichtig den Deckel. Darin befindet sich eine Platte Sushi für einePerson mit großem Hunger. Es duftet frisch und lecker. Ich hatte gegenüber Matteinmal erwähnt, dass ich Sushi mag. Er hat es sich gemerkt und mir Maki undNigiri in allen Formen und Farben gebracht. Nachdem ich die Box noch insWohnzimmer geschoben habe, hole ich eine kleine Schale für die Soy Soße undStäbchen. Ich genieße diese halbe Stunde Sushi der Extraklasse im Wohnzimmermit einer neuen Netflix Serie, die ich gestern angefangen habe. „Outlander" istwirklich spannend ab der ersten Folge. Eigentlich mag ich Phantasy nicht, aber hier bin ich wie gefesselt und könnte eine Folge nach der anderen sehen.

Meine gute Erziehung sagt mir ich sollte mich bedanken. Wenigstens eine Nachricht. Nur das wird den Abstand zerbrechen, den ich gestern geschaffen habe. 

Dr. Cute, bitte in den OP.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt