DasZimmer am Ende des Gangs rechts hat ein Krankenbett mit einem Nachttisch in derMitte stehen. Eine Tür neben dem Eingang weist auf ein kleines Bad hin. EinTisch mit zwei Stühlen stehen neben dem Fenster mit Blick auf DowntownNashville. Neben dem Bett steht ein Ohrensessel mit einer Wolldecke über derLehne. Alles ist hell in Gelb und Grün gehalten. Die Vorhänge sind dunkelgrün,damit nicht so viel Tageslicht hereinströmt, wenn man sie zuzieht. Am Bettendesind zwei Unterarmstützen in einer Halterung angebracht. Schwester Agnes schautmich aufmunternd an und sagt: „Komm Liebes, wir ziehen dir jetzt mal die Jackeund den Schuh aus und ich helfe dir in das Bett. Dann ruh dich etwas aus. DieOP ist für in zwei Stunden angesetzt. Ich komme dann rechtzeitig und helfe dirbeim Umziehen.". Sie duzt mich einfach, aber ich habe komischer Weise garnichts dagegen. Sie ist gerade mein einziger Lichtblick, da Schwester Agnessich wirklich rührend um mich kümmert. Sie hilft mir vorsichtig aus der Jackeund zieht den übrig gebliebenen Schuh von meinem Fuß. Dann hilft sie mir mich insBett zu hieven und deckt mich zu. „Ich bring dir gleich noch was zu trinken.",mit diesen Worten verlässt sie das Zimmer. Ich lege mich zurück, lasse den Kopfin den Nacken fallen und hole tief Luft. Aber all das hilft nichts. Die Tränenfangen wieder an zu laufen. Ohne Rücksicht auf Verluste schluchze ich vor michhin. Ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Also ich bin hier im GeneralHospital Nashville und warte nun auf meine erste OP meines Lebens. Mein Fußschmerzt tierisch und nach der OP wird es nicht besser werden. Mein Fuß wirdaufgeschnitten. Ich bekomme eine Gänsehaut. Dann kommt da eine Platte mitSchrauben in meinen Fuß. Ich komme mir vor wie ein defekter Roboter, derrepariert werden muss. Und was mache ich nur die vielen Wochen, Tage und Stundennach der OP? Ich wollte an Weihnachten zu meiner Familie fahren. Das wird dannwohl nichts. Ach, meine Familie muss ich ja auch noch informieren. Ich greifenach meinem Smartphone, starre es einige Sekunden an und entscheide mich danndoch dagegen. Erst will ich es hinter mich bringen, dann habe ich die Kraft mitmeiner Mutter zu reden. Sie macht sich nur noch mehr Sorgen, wenn ich siegleich informiere. Also lege ich es wieder neben mich auf die Bettdecke undschließe die Augen. Da öffnet sich die Tür und ein riesiger Blumenstrauß wirdvon einer Schwester ins Zimmer getragen. Sie stellt ihn auf dem Tisch ab, nicktmir zu und schaut noch einmal mit neidischen Blicken auf den Strauß. Dannreicht Sie mir eine Karte und verschwindet wieder. Skeptisch inspiziere ich denStrauß, der wirklich wunderschön ist. Ich sehe Amaryllis und Rosen in Weiß und Rosa.Mit etwas Ziergras ist der Strauß eine Augenweide. Ich drehe die Karte inmeinen Händen hin und her. Wer sollte mir bitte einen Strauß ins Krankenhausschicken? Oh bitte nicht Ben. Dina wird ihn doch hoffentlich nicht angerufenhaben. Nein, das würde sie mir nicht antun. Langsam öffne ich den kleinenUmschlag der Karte. Umschlag und Karte sind in einem Natur-beige gehalten. Vorn auf der Karte ist in Kursivschrift „Gute Besserung" aufgedruckt im gleichen Farbton, nur etwas erhaben. Als ich die Karte öffne und beginne zu lesen, traue ich meinen Augen kaum.
Liebe Jessy, ich verspreche dir, es wird alles gut. Matt
Ich lese es zwei Mal, drei Mal. Ist das von meinemArzt? Einen kurzen Augenblick macht mein Herz einen Sprung und erfüllt sich mitFreude. Aber aus alten Kitschfilmen weiß ich, dass eine Romanze zwischen Ärztenund Patienten meist schief geht. Außerdem bin ich noch lange nicht so weit,nach Ben. Dieser Arsch hat mir mein ganzes Jahr versaut. Er hat mich ausgenutztund hintergangen. Fünf Jahre waren wir zusammen. Nach drei Jahren sind wirzusammengezogen. Ab dem Moment wurde unsere Beziehung irgendwie frostig. Benwar viel unterwegs und hat viel mit seinen Leuten gemacht, wie er sie immernannte. Zu allen Familienbesuchen ist er immer brav mitgekommen. DieEinrichtung der Wohnung hat er komplett mir überlassen. Als ich im Sommerdarüber nachdachte, was ich ihm wohl zu Weihnachten schenken könnte, ist mirnichts eingefallen. Ich war erschrocken und habe versucht nicht weiter drübernachzudenken. In meinen Tagträumen und Gedanken war ich dabei mit ihm eineFamilie zu gründen, nur wollte er kein Wort darüber wissen. Wenn ich esansprach, sagte er immer: „Babe, das hat noch Zeit. Wir sind doch noch jung.". Tja,das glaubte ich ihm. Als ich ihn im da mit seiner Sekretärin in meinemLieblingsrestaurant hab sitzen sehen, brach eine Welt über mir zusammen.Anschließend zerbrach ich viele seiner Sachen. Als ich bei meiner Mutter war,fragte sie mich zwar, was passiert sei. Ich konnte es jedoch noch nichtaussprechen. Mütter haben einen Instinkt für sowas, und ich wette sie weißlängst Bescheid. Zurück in meiner, ja nun nur noch meine, Wohnung, habe ichvieles umdekoriert, was Ben nicht so haben wollte. Ich habe die Wohnung damals ausgesucht und sie vom ersten Augenblick geliebt. Ich glaube er wollte nur, dass ich Ruhe gebe und hat zugestimmt. Hinzu kam der Luxus, dass seine Wäsche gewaschen und sein Kram aufgeräumt wurde, was ich übernommen habe, da er ja viel unterwegs war. Ich war so blind und verfluche mich dafür, fünf Jahre meines Lebens für Ben verschwendet zu haben. Vielleicht war auch nicht alles schlecht, aber an dem Punkt bin ich noch nicht.
Die Tür von meinem Krankenzimmer öffnet sich und Schwester Agnes kommt mit einem fröhlichen Gesicht herein. Hier im Zimmer brauch ich Gott sei Dank keinen Mundschutz tragen, aber sobald ich durch die Tür in den Flur komme, ist Mundschutzpflicht. Ich versuch zu lächeln, was mir nur minimal gelingt. „Es ist soweit, Liebes. Ich bereite dich für die Operation vor.". Vorbereiten heißt OP-Hemdchen an, eine wirklich abartige Netzschlüpfer und eine Haube. Alle Ohrringe, Uhren, Brillen und anderen Schmuck abmachen und warten. Da ich weder gepierct bin noch eine Brille trage, sind das bei mir nur die kleinen Ohrringe. Als ich sie auf den Nachttisch lege, fällt mir wieder ein, dass ich die zu Weihnachten von Ben bekommen habe. Ich beschließe sie nach der OP nicht wieder einzustecken. Als wir fertig sind und Schwester Agnes all meine Sachen in den Schrank geräumt hat, kommt sie zum Bett, drückt meine Hand und sagt: „Keine Angst, Liebes. So etwas machen wir hier jeden Tag.", sie dreht sich um und geht.
Und was nun? Ich dachte es geht jetzt los. Nein, nunwarte ich wieder? Ich merke ich habe Durst. Leider darf ich nichts trinken, bisnach der Operation. Die Tür geht wieder auf und Matt kommt in mein Zimmer. Ichweiß nicht, ob ich aufgeregt, beunruhigt oder gelassen sein soll. Seine Wortein der Karte hallen in meinem Kopf. Er setzt sich auf den Ohrensessel nebenmein Bett und nimmt die Maske runter. Seine Augen haben nicht zu viel verraten. Seine Nase passt perfekt in sein Gesicht. Seine Lippen sind voll, aber nicht zu groß, die Zähne strahlen weiß, wenn er lächelt. Nicht nur an den Augen bilden sich dann kleine Fältchen, auch um seine Mundwinkel. Das macht ihn sympathisch und etwas sexy. Nein, Jessy, hier ist niemand sexy.
„Na wie geht es dir?", fragt er mit ruhiger Stimme. Er nimmt meine Hand und tausend Blitze schießen durch meinen Körper. Nach dem ich eine gefühlte Ewigkeit seine Hand in meiner angestarrt habe, hebe ich den Blick und ich treffe seine Augen. „Ich bin aufgeregt und habe Angst. Ich mache mir weniger Sorgen um die Operation, sondern mehr um das danach.", platzt es ehrlich aus mir heraus.
Sein Blick wird düster und er zieht die Hand ganz sacht zurück: „Jeff wird sich doch um dich kümmern, oder etwa nicht?". Was hat denn jetzt Jeff wieder damit zu tun? „Jeff und Dina sind sicher für mich da. Aber den ganzen Tag geht das auch nicht.". Seine Augen blicken unruhig in meinem Gesicht hin und her, als würde er etwas in ihm suchen. Plötzlich steht er auf und geht zur Tür. Was habe ich Falsches gesagt? Schnell rufe ich hinterher: „Wirst du mich operieren?". Matt dreht sich noch einmal zu mir um, er hat seinen Mundschutz bereits wieder aufgesetzt, und antwortet: „Ich nicht, aber ich werde dabei sein.". Dann verlässt er mein Zimmer. Mir bleiben nur lauter Fragezeichen übrig. Warum organisiert er mir dieses Zimmer, schickt mir Blumen, ist wirklich liebevoll und im nächsten Moment so distanziert, dass ich die Kühle direkt spüren kann, die von ihm ausgeht?
Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, denn imgleichen Moment kommt ein Pfleger ins Zimmer und löst die Bremsen meinesKrankenhausbettes. „Los geht's.", sagt er, als wäre es der Beginn einesBaseball-Spiels. Ich setze meinen Mundschutz auf und lehne mich zurück auf demKrankenbett. Jetzt liegt mein Fuß in den Händen der Ärzte. Vor der Tür wartet Schwester Agnes und gibt dem Pfleger eine Mappe, die er unter mein Kopfkissen steckt. Es müsste jetzt gegen fünf Uhr nachmittags sein schätze ich. Als ich eine Uhr im Flur entdecke, sehe ich, dass es bereits sieben Uhr abends ist. Ich schließe die Augen. Nach der dritten Kurve wird mir schlecht und ich muss sie wieder öffnen. Wir stehen vor einem Fahrstuhl. Passt mein Bett da rein? Und ja es passte rein. Leider. Wir erreichen einen Bereich vor dem OP und mir wird erklärt, dass dies der Aufwachraum ist. Vier Personen hieven mich auf eine OP Trage und nach 50 Metern weiteren Gängen mit Lampen an der Decke, erreichen wir den OP-Saal. Hier sieht es aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Lauter Geräte und große Lampen. An den Wänden Computer und Tafeln zum Aufhängen von Röntgenbildern. Zwei Schwestern in grüner Kleidung wuseln an einem Tisch herum und packen lauter Operationsbesteck aus. Eine Schwester, sie stellt sich mir als Anästhesistin vor, klemmt mich an ein Blutdruck-Gerät, an ein EKG und an eine Sättigungsüberwachung. Es wird munter geplaudert. Der operierende Arzt stellt sich mir vor, Dr. Hoover, und gibt der Anästhesistin ein kurzes Nicken. Ich bekomme eine Maske mit einem Schlauch über Mund und Nase gestülpt. „Zählen Sie bitte bis zehn.".
Eins, zwei, drei, viiee....
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Dr. Cute, bitte in den OP.
RomanceKörper an Körper bleiben wir noch eine Weile liegen. Wir reden nicht. Wir genießen nur die Nähe des anderen und ich für meinen Teil will nie mehr wo anders liegen als neben dieser Frau.