K A P I T E L. 10

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Ein Klingeln. Ein nervtötendes Klingeln, dass mich aus meinem Schlaf reißt.
Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich auf mein viel zu helles Display, schaffe es aber nicht den Namen zu entziffern und gehe einfach dran.
„Hallo?" murre ich und höre hektisches Atmen an der anderen Leitung.
„Meltem? Bitte du musst zu mir kommen." angestrengt versucht er deutlich zu sprechen, doch ich höre seine Panik. Ich höre Ates Panik.
„Was ist passiert?" ich bin schon viel wacher und laufe auf meinen Kleiderschrank zu um mir eine Jacke über meinen Pyjama anzuziehen.
„Ich muss dringend ins Krankenhaus. Meine... Meine Geschwister. Ich muss zu ihnen. Assiya ist sonst alleine, bitte ich weiß nicht wen ich sonst fragen soll." Mir ist bewusst, dass diese Tat Konsequenzen mit sich bringen wird und ich oder eher gesagt wir fünf Grenzen überschreiten aber es geht nicht anders „In Ordnung. Schick mir die Adresse." leise mache ich mich zur Haustüre um Niemanden zu wecken, da wir laut Blick auf die Uhr 03:38 Uhr haben und ziehe mir meine Stiefel erst draußen an.
Im Auto tippe ich die Adresse in das Navi und bin etwas beruhigter, als ich sehe das ich nur 11 Minuten zu ihm brauche.
Das schaffe ich in sieben Minuten um diese Uhrzeit.

Vor einem modernen Mehrfamilienhaus bleibe ich stehen und klingele bei Akyüz.
Nach nicht mal fünf Sekunden wird der Türöffner gedrückt und ich laufe in den dritten Stock.
Ateş sieht müde, verzweifelt und wütend aus.
„Gott ich bin so froh das du da bist. Sie schläft, du musst einfach hier bleiben okey? Wenn sie was braucht oder schlecht träumt ruf mich an." In seinen Nike Shorts und Pullover rast er schon fast die Treppe herunter und das zufallen der Tür ist das letzte was ich höre, bevor ich einen Fuß in die moderne Wohnung setze.
Es ist viel zu modern, viel zu kalt und viel zu unpersönlich.
Mein Blick gleitet zu der gegenüberliegenden Tür, wo aus Holzbuchstaben die mit Marienkäfern bedruckt sind der Name Assiye steht.
Leise öffne ich die Tür und erhasche einen Blick auf Assiya, die aber nicht wie gesagt schläft. Sie sitzt auf dem Boden und hält sich leise schluchzend die Ohren zu.
„Assiya?" ich gehe langsam auf sie zu um sie nicht zu erschrecken und setze mich wieder mit gewissem Abstand zu ihr „Ich mag keinen Streit. Sie sollen aufhören. Baba soll bitte wieder lieb werden." mit verquollenen Augen sieht sie zu mir hoch und wirft sich in meine Arme. Beruhigend fahre ich ihr über ihren zierlichen Rücken und versuche ihr ein Wenig Trost zu spenden.
„Süße, mit wem hat sich dein Vater gestritten?" sachte schiebe ich sie von mir und wische ihre Tränen weg.
„Mit Mama. Sie ist schon wieder nicht da. Sie liebt mich nicht." müde reibt sie sich die Augen und lehnt ihre Stirn gegen meine Schulter.
„Hey sag sowas nicht. Komm wir legen dich ins Bett, du bist sehr müde." verneinend schüttelt sie ihren Kopf.
„Ich möchte Fernseher gucken. Ich kann besser einschlafen." wie soll ich nur nein sagen?
„Okey komm aber nicht lange okey?" sie nickt und steht mit mir auf. Schüchtern schaut sie auf meine Hände und dann auf ihre, bevor ihre Hand zu meiner und wieder zurück zuckt. Lächelnd halte ich ihr meine Hand in und sie führt uns ins große Wohnzimmer.
Sie schaltet den Sandmann über Youtube an und legt sich auf die Couch. Ich hole ihr Bettzeug aus dem Zimmer und decke sie zu, während ich mich zu ihr setze und sie ihren Kopf auf meinem Schoß platziert.
Wir beide schauen auf den Fernseher und ich bin überrascht, dass sie sich bei mir wohl zu fühlen scheint.
Ich versuche wirklich standhaft zu bleiben, aber als ich ihren regelmäßigen Atem höre, nicke auch ich ein und mir fallen die Augen zu.

Durch einen komischen Sing Sang der sich wirklich furchtbar anhört, öffne ich meine Augen und auch Assiya bewegt sich auf meinem Schoß.
„Guten Morgen Süße." murmele ich und sie lächelt mich mit erholten Augen an.
„Guten Morgen." höre ich eine raue Stimme am anderen Ende des Sofas.
Ich zucke zusammen und mein Kopf dreht sich zu Ates. Dieser liegt mit verschränkten Armen auf seinem Bauch und guckt mit gequetschtem Gesicht zu uns. Sogar so sieht er gut aus.
„Gott hast du mich erschreckt." murmele ich und Assiya hüpft erfreut auf ihren Vater, der sie nur gerne empfängt „Es tut mir leid das ich Abends weg musste Prinzessin. Aber Teyze und Amca ging es nicht so gut." erklärt er ihr die Lage mit seinen Geschwistern „Ist nicht schlimm Baba nur streitet euch nicht. Und Meltem Abla mag ich auch." süß lächelt sie mich an und rennt in ihr Zimmer.
„Ja wenn sie dich Fernseher gucken lässt magst du sie natürlich du kleine Hexe." schreit er ihr belustigt hinter her und kichernd schließt sie die Tür.
„Es tut mir leid dich damit so überfallen zu haben. Ich war verzweifelt und wütend weil auf meine Frau kein Verlass mehr ist und du bist die erste die mir in den Sinn gekommen ist." Seine Erschöpfung sieht man ihm merklich an „Das sollte deine geringste Sorge sein. Wie geht es deinen Geschwistern und was ist überhaupt passiert?" seufzend deutet er mir an, ihm in die Küche zu folgen wo er einen Kaffee für uns vorbereitet.
„Meine Geschwister sind für einen Gerichtsprozess weggefahren und auf dem Rückweg wurden sie in einen Unfall verwickelt. Um meinen Bruder schien es einen Moment kritisch aber jetzt sind die Werte von Beiden gut und ich kann sie bald besuchen."
Er reibt sich müde über sein Gesicht „Wie lange warst du weg?" ich nehme ihm die Tasse dankend ab die er mir entgegen hält und nehme einen Schluck vom Milchkaffee „ich war bis ca 6:00 Uhr da und bin danach gekommen." meine Augen verziehen sich mitleidig „Du hast dich vielleicht eine halbe Stunde hingelegt." er winkt nur ab „ich komme ohne viel Schlaf aus, das Studium hat mich auf trab gehalten. Außerdem muss Assiya sowieso gleich in die Vorschule gebracht werden." jetzt ist auch sein Kaffee fertig und er nimmt einen Schluck „Das kann ich für dich übernehmen. Ich muss sowieso nach Hause und mich umziehen, denn ich glaube im Disney Pyjama nimmt mich keiner der Kinder ernst."zum Ende hin murmle ich meinen Aufzug betrachtend und zucke schließlich mit den Schultern. Es gibt schlimmeres in dem mich ein Kollege hätte sehen können.
„Nein das musst du nicht tun. Du hast schon genug getan." „Keine Widerrede." ermahne ich ihn und gehe in Assiyas Zimmer.
Bor der Tür klopfe ich noch ein mal kurz an und stecke meinen Kopf durch den Spalt als sie mir ihr Okey gibt „Hey Süße bist du fertig? Heute fahre ich dich in Ordnung?" sie nickt und kommt fertig angezogen zu mir und will ihre Zähne putzen gehen.
„Komm danach in die Küche was essen." sie guckt verwirrt und auch Ates der aus der Küche tritt sieht verlegen zu mir und kratzt seinen Nacken.
„Wir schaffen es sonst nie zu frühstücken, da wir immer Zeit verschwenden und länger schlafen. Wir holen uns was auf dem Weg vom Bäcker." gibt er leicht bestürzt von sich und ich schaffe es nur den Kopf zu schütteln „Rührei und ein bisschen Obst klein schneiden ist keine Kunst." murre ich und laufe zum Kühlschrank, als ob ich hier lebe.
„Wo sind die Pfannen?" Die Eier die ich mit der Milch und der Butter aus dem Kühlschrank geholt habe lege ich auf die Arbeitsplatte und nehme Ates die Pfanne ab die er mir entgegen hält.
Die Eier verquirle ich mit Gewürzen und Milch in einer Schüssel, während die Butter in der Pfanne schmilzt.
„Worauf wartest du? Das Obst schneidet sich nicht von Selbst."Er nickt verdutzt, als ob er noch nie Jemanden gesehen hat der Frühstück macht.
„Fertig." grinst die Kleine stolz und zeigt uns ihr Lächeln.
„Super mein Schatz." Ates beugt sich für einen Kuss runter, den sie ihm nur zu gerne gibt. Sie setzt sich auf einen der Stühle und wartet geduldig.
Schwer zu glauben, dass sie Aggressionsprobleme und Probleme der Gefühlskontrolle hat.

Ich lege das kleine Frühstück für die beiden bereit und Ates sieht mir etwas länger als gewöhnlich in die Augen „Danke." seine Stimme ist fest und ich habe das Gefühl das viel mehr in diesem kleinen Wort steckt. Neben Dankbarkeit auch Hoffnung und Respekt.
„Komm setz dich." im sitzen rückt er mir meinen Stuhl zu recht und ich danke ihm mit einem Lächeln.
„Meltem Abla danke es schmeckt sehr lecker." Assiya schenkt mir ihr schönstes Lächeln und ich kann mich nicht halten und muss ein mal quietschen bevor ich ihre fülligen Wangen zusammendrücke „Wenn du so lieb Danke sagst, kann man dir doch bei gar nicht widerstehen." breit lächelnd lasse ich ihre Wangen los und sie fängt an erneut so süß zu kichern, dass ich am liebsten ein Audio machen würde und es mir den ganzen Tag anhören würde.

„Ich bin fertig, ich gehe meine Schuhe anziehen. Ellerine Saglik." dankt mir Assiya und hüpft von ihrem Stuhl runter.
Ich weiß das die ausgelassene Stimmung jetzt kippen wird aber ich muss Ates diese Frage stellen „Ates versteh mich nicht falsch, ich helfe dir gerne und auch Assiya ist ein liebes Mädchen aber... aber es fühlt sich falsch an hier zu sitzen wenn du.. wenn du eine Frau hast die hier sitzen sollte." mein Gott, seit wann bin ich so eingeschüchtert und stammle vor mich hin? Sein Blick ist neutral und ich kann nichts erkennen, was mir sagt wie er gelaunt ist.
„Ja du hast recht." er dreht sich zu mir und legt seine Hand auf meinen Unterarm und mein Blick fällt auf seine große Hand. Sein Handgelenk schmückt ein silbernes Königsarmband und es schmeichelt ihm ungemein.
„Du hast recht damit, dass hier meine Frau sitzen sollte. Aber es ist ihr nicht wichtig. Wer weiß wo sie sich rumtreibt? Es gibt vieles was du nicht weißt aber ich kann verstehen, warum du dich unwohl fühlst. Im Endeffekt wird man sich über dich das Maul zerreissen." Irgendwas an seiner Antwort lässt mich wütend werden „du verstehst mich falsch. Mir ist es egal ob Menschen über mich reden, denn ich tue nichts falsches. Ich habe nur bedenken, dass deine Frau falsch denkt und die Situation falsch deutet, denn sie ist immer noch deine Frau." ich weiß selber nicht warum es mich so reizt aber ich habe doch recht oder?
„Dann soll sie es falsch verstehen, das ist meine kleinste Sorge. Sie treibt sich schließlich auch weiß Gott wo rum, selbst wenn ich dich ficken würde könnte es ihr egal sein." Meine Hand schellt ohne zu zögern gegen seine Wange und ich genieße das Klatschende Geräusch, mehr als ich sollte „Erstens hast du vernünftig mit mir zu reden." fange ich an zu reden und tippe ihm feste gegen die Brust, wobei ich nicht an die Konturen seiner Brustmuskeln zu denken versuche. „Und zweitens kann deine Frau was auch immer gemacht haben, du hast keinen Freifahrtschein auch Scheiße abzuziehen. Erst scheidet man sich und dann macht man etwas was nur nicht vergebene Menschen machen. Wenn ihr noch verheiratet seid arbeitet ihr gefälligst an euch, sonst lass mich da raus. Ich bin nicht dein Racheakt gegenüber der Mutter deiner Tochter." noch ein mal schubse ich ihn leicht und lasse ihn mit zusammengepressten Lippen zurück und mache mich auf den Weg zu Assiya.
Diese sitzt gerade auf dem Boden und schnürt sich ihren Schuh zu. Wow, ich hab das erst mit neun gelernt.
„Ciao Baba. Bis später, ich hab dich lieb." Sie winkt ihrem Vater, der an der Tür steht. Er fasst sich und winkt ihr auch zurück „Ciao Prinzessin wir sehen uns später, sei lieb okey?" sie nickt freudig und setzt sich ihre rosa Mütze auf, die voll mit Schmetterlingen bedruckt ist.
Mein Blick gleitet noch ein letztes Mal zu ihm, bevor ich aus der Tür trete und Assiya hinter her gehe.

Ich habe richtig gehandelt, denn das was er gesagt hat war erstens unverschämt mir gegenüber und nicht fair seiner Ehefrau gegenüber. Selbst wenn sie es verdient hat, heißt es nicht das er auch ein schlechter Mensch sein muss.
Und das ist das Leben, dass ich verpasse und meine Mutter gut redet? So eine Ehe könnte auch mich treffen.

-A

IntensivWo Geschichten leben. Entdecke jetzt