K A P I T E L 18

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Heute ist der letzte Tag in Izmir und diese paar Tage taten unglaublich gut. Ich habe es vermisst, aus dem Flugzeug auszusteigen und die ganz andere Luft einzuatmen, dieses Heimatgefühl wahrzunehmen und mich wie wieder so belebt zu fühlen. Es ist als ob man einem Vogel den Käfig geöffnet hätte. Meine Probleme und Gedanken habe ich in Deutschland gelassen und konnte hier wenigstens etwas zur Ruhe kommen.
Ich bin mit Eylül viel durch die Möbelhäuser gelaufen und wir haben so gut wie alles gefunden. Wir haben draußen am Hafen-Wasser Tee getrunken und die ersten frischen Sonnenstrahlen genossen. Meine Familie wiederzusehen, außer ein paar Ausnahmen natürlich, war wirklich wohltuend. Wir alle sind solche Familienmenschen und die Distanz ist wie Gift für uns. Die zwei Tanten die meine Lebensweise überhaupt nicht befürworten und meinen über mich reden zu können, obwohl sie mein Leben nur aus den Social Media beurteilen können und mein Cousin, der ein ekelhafter Macho geworden ist werden durch den Rest der Familie wieder übertrumpft. Auch über die schmierigen und ekelhaften Kommentare konnte ich weg gucken, als es hieß, dass ich zu dick, zu vorlaut und zu viel unterwegs bin. Aber nur weil meine Eltern mich zu einem selbstständigen und selbstbewussten Menschen erzogen haben, bin ich nicht drauf eingegangen.

Und jetzt sitze ich auf dem Dach unseres Gebäudekomplexes und ich könnte mir nichts schöneres vorstellen. Hier ist das meiste noch aus Beton, provisorische Laken liegen hier und Holz das mein Opa klein hackt um den Ofen zu heizen. Aber es ist egal, denn die Aussicht ist das Einzige was mir wichtig ist und dafür sitze ich auch stundenlang auf dem kalten Beton oder auf einen der ungemütlichen Hocker.
Ich ziehe meine Strickjacke enger um mich und wackle mit meinen Beinen, die 6 Stockwerke über dem Asphalt baumeln. Die Sterne und die Lichter sind wohl ein Anblick, von dem mir niemals langweilig werden wird. Und direkt darunter diese wunderschöne alte Moschee, die leider nicht so oft besucht wird wie die anderen in der Stadt. Ich liebe diese Stadt einfach, auch wenn viele ein schlechtes Bild haben, denn wenn du aus Izmir kommst wirst du direkt in die Schublade der ungläubigen gesteckt und darüber kann ich mich jedes mal aufs Neue aufregen.

„Du bist ja noch oben. Willst du nicht runter kommen? Wir müssen morgen früh raus." Akin setzt sich neben mich aber nicht halb so vorsichtig wie ich, weswegen ich ihn sofort am Arm packe „du wirst für deinen Tot wahrscheinlich selbst verantwortlich sein." lachend zuckt er die Schultern „dann hatte ich wenigstens ein schönes Leben." schmunzelnd lehne ich mich an seine Schulter „ich hasse die Rückreise immer. Zum Glück kommen wir im Sommer noch ein mal." Akin summt bestätigend und spielt nervös mit seinen Fingern „Was ist los?" er sieht ertappt zum Himmel und seufzt verzweifelt „Der Geburtstermin kommt immer näher und ich werde immer nervöser. Ich hab Angst das ich komplett versagen werde. Als Vater und als Ehemann." pure Verzweiflung ist aus seiner Stimme zu hören und mit gerunzelter Stirn erwarte ich eine Erklärung die nicht kommt „Bist du eigentlich komplett gestört? Ich kann mir keinen besseren Vater vorstellen als dich, du wirst das wie ein Weltmeister machen." aufmunternd streiche ich ihm über den Rücken aber das scheint ihn nicht zu beruhigen, denn ich habe das Gefühl er fängt jetzt erst so richtig an „Was ist wenn ich es komplett verhaue? Ich muss zur Arbeit und will gleichzeitig so viel wie möglich Zuhause sein und Eylül helfen egal ob mit Haushalt oder Kind. Ich will viel Zeit mit meiner Tochter verbringen habe aber Angst davor, meine wunderschöne und so tolle Frau zu vernachlässigen, die so viel Schmerz und Veränderung auf sich genommen hat um uns dieses Kind zu schenken." panisch steigt er von der Mauer und rauft sich die Haare.
Um Gottes Willen! So habe ich meinen Bruder das letzte mal erlebt, als er sich früher nicht für ein Spielzeug entscheiden konnte.
„Akin! Jetzt beruhig dich. Allein das du dir diese wunder, wunderbaren Gedanken darüber machst, zeigt wie toll du es machen wirst. Ihr seid das erste Mal Eltern aber ich weiß das ihr das meistern werdet. Auch wenn ich mir Sorgen mache, dass meine Nichte nach dir kommt." lachend weiche ich seiner Faust aus, die meine Seite treffen will. Quietschend nehme ich ihn in die Arme und drücke ihn feste an mich „Mein großer Bruder wird Papa. Da überkommen mich solche Glücksgefühle, wenn ich daran denke wie süß du mit Kind aussehen wirst." er umarmt mich zurück und anscheinend, wurde der Sturm der Angst in seinem Inneren gestoppt.

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