K A P I T E L 65

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Meltem

Ich habe schon immer gewusst, dass ich einen kleinen Ordnungsfimmel habe aber, dass ich versuchen werde den Keller aufzuräumen, während ich gefühlt nur noch Sekunden von der Entbindung entfernt bin, hätte selbst ich mir nicht vorstellen können. Den errechneten Geburtstermin haben wir jetzt um drei Tage überschritten und ich habe alles versucht, um meinen kleinen Sohn endlich aus mir rauszukriegen, auch wenn ich Sorge darüber habe, in was für eine Welt ich mein Kind schicke. Ich kann jetzt schon nur unruhig schlafen, wenn ich daran denke, dass er irgendwann zu spät nach Hause kommen wird, dass er irgendwann zu 95% mit Diskriminierung rechnen muss und vor allem, dass ihm Menschen Schmerzen zufügen könnten. Es ist zum verrückt werden. Was mache ich, wenn mein Sohn trotz Bemühungen unserer Seits, zum schlechten Menschen wird? Sozialisation hat ja wie man weiß auch seine Kehrseiten. Bring ich mein Kind in die Kita, trotz den Nachrichten, die man mitbekommt?

Wackelig halte ich mich an dem Metallregal fest, da ich das Gefühl habe mich gleich übergeben zu müssen. Diese Gedanken überfordern mich. Ich bin total verängstigt durch meine Gedanken und ich weiß nicht wie ich mit ihnen umzugehen habe. Was ist wenn ich es total vergeige? Was mache ich wenn ich die Bedürfnisse meines Kindes nicht erkenne und... „Meltem, du gehst sofort hoch. Verdammt! Wie kann es sein, dass du nicht ein mal auf mich hören willst." Ateş wütende Stimme dringt zu mir durch und ein paar Sekunden später, sehe ich ihn schon vor unserem Kelleranteil „Du legst es wirklich drauf an, dass ich dich hochschwanger an dieses verdammte Bett fessel oder? Wie kann es sein dass du..." er will mich weiter anschnauzen, da scheint er wohl zu erkennen, dass es mir nicht gut geht und senkt seine Stimme „Ich habe mir Sorgen gemacht." er kommt zu mir und nimmt mich ohne große Worte in den Arm. Er ist meine Gefühlsausbrüche mittlerweile gewöhnt und weiß schon, wie er vorgehen muss.

„Was ist los?" er gibt mir einen Kuss auf die Schläfe und zieht uns beide auf die gestapelten Balkonmöbel zu, die wir eigentlich bald rausholen sollten.
„Ich hab Angst." gestehe ich ihm und genieße seine Körperwärme die mich umschließt. Es ist das schönste auf dieser Welt, jemanden zu haben auf den man sich verlassen kann. Ich weiß viele Sachen nicht aber eine Sache weiß ich- Ateş ist immer mein Auffangnetz.
„Wovor genau?" möchte er sachte wissen und entlockt mir ein Seufzen „vor allem was ansteht. Ich bin jetzt schon überfordert. Was ist, wenn ich alles falsch mache? Was ist wenn ich dich und Assiya vernachlässige und nicht schaffe alles unter einen Hut zu bringen? Was ist wenn mein Baby keine Bindung zu mir hat." ich kann euch sagen, dass ich noch nie ein solch beklemmendes Gefühl in meiner Brust hatte. Was mache ich nur wenn das Baby da ist?

„Hör mir zu Hayatim." er dreht mich an meiner Schulter zu sich, damit ich ihm in seine Augen sehen kann. Diese Augen... sie sind mein persönlicher Frieden. Sie haben die Macht mich in binnen von Sekunden zu beruhigen und mir den Schmerz zu nehmen. Ich hätte niemals gedacht so etwas intensives empfinden zu können, wenn ich einem Menschen allein in die Augen blicke.
„Ich verstehe deine Angst aber wiederum auch nicht, denn wenn ich mir deine Fragen anhöre, höre ich nur eine Mutter die alles dafür tun wird, dass es ihrer Familie gut geht. Diese Fragen sind natürlich nicht unberechtigt aber sie zeigen mir auch, dass du dir einfach nur Sorgen machst. Du wirst eine tolle Mutter, so wie du es für Assiya bist." ich muss lächerlich wirken. Verheult, verängstigt und total überfordert. Ich will ihm gerade meinen Dank aussprechen, als ich mich irgendwie komisch fühle. Ich bewege meine Schenkel hin und her und spüre es dann. Die Panik die Ateş dämpfen konnte, steigt mit rasender Geschwindigkeit wieder hervor.

Meine Fruchtblase ist geplatzt. Meine Fruchtblase ist geplatzt! „Meine Fruchtblase ist geplatzt." murmle ich mit vor Schreck geweiteten Augen und spüre die Nässe zwischen meinen Beinen nur noch mehr, als ob sie mich verhöhnen würde. Ateş springt auf „Was?" er beugt sich zu mir runter um sich zu vergewissern „Oh Gott! Deine Fruchtblase ist geplatzt." beleidigt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen „Was sage ich denn? Ich bin so nass wie nach einer Fahrt auf der Chiapas im Phantasialand." ich kann das alles nicht „Was müssen wir tun?" murmle ich und stehe vorsichtig auf. Ateş stürzt sich sofort auf mich um mir zu helfen. Super, der Keller kann noch einmal geputzt werden.
Ich habe scheinbar alles vergessen, worüber wir uns informiert haben, denn mein Kopf ist wie leergefegt.
„Okey über all stand, dass man nicht in Panik verfallen soll. Bis das Baby kommt dauert es zu 95% noch. Komm, ich setze dich ins Auto, hole Assiya und die Tasche und dann fahren wir." er läuft mit mir die Treppen hoch und stützt mich so gut er kann „Ich freue mich so, ich habe aber auch Angst. Gott, dass wird so weh tun." lache und weine ich gleichzeitig. Ya Allah bitte mach, dass es meinem Baby gut geht und er gesund und munter diese Dunya erblicken darf. Meine Atmung versuche ich zu beruhigen und klammere mich an Ateş Hand „Wir schaffen das." auch er scheint sich beruhigen zu wollen „Ich bin mal gespannt wie wir ein Baby aus mir pressen wollen." er sieht überfordert zu mir aber ich fange an zu lachen „Hör auf mit der Scheiße, ich will dich aufbauen und fühle mich am Ende nur beschissen." seufzt er.

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