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„Ich kenne den Ort", informierte mich Tyler sofort, als ich ihm die zwei Nachrichten zeigte, die Gold wert waren. „Ungewöhnlich, dass das Treffen dort stattfindet", murmelte er leise, bevor er sich nachdenklich auf seinen Schreibtischstuhl fallen ließ und zu mir ans Bett rollte.

„Warum?"

„Weil dort nichts als eine verlassene Lagerhalle ist."

Ich runzelte die Stirn. „Woher weißt du das?"

Seine grünen Augen hefteten sich auf mich und sein Blick wurde unbehaglich. Verlegen kratzte er sich am Nacken.

„Ich bin dort oft gewesen, bevor meine Eltern sich geschieden haben und meine Mom ausgezogen ist. Hier hab ich sie ständig nur streiten und schreien hören, aber in der Lagerhalle hatte ich meine Ruhe."

Für einen Augenblick war ich sprachlos. Ich hatte nicht gewusst, dass seine Eltern geschieden waren. Und ich hatte auch nicht gewusst, dass er eine so schwere Zeit durchmachen musste, in der er es bei sich zu Hause nicht mehr ausgehalten hatte und sich einen neuen Rückzugsort suchen musste.

„Tyler-", fing ich an, aber sein nervöses Lachen unterbrach mich.

„Mir geht's gut. Keine Sorge. Außerdem war ich dort auch oft einfach nur zum rumfahren. Vor der Lagerhalle ist ein riesiger Platz und weit und breit keine Menschen, die sich über die lauten Motorgeräusche beschweren können."

Tylers Lachen klang gezwungen, aber ich wollte ihn nicht unwohl fühlen lassen, also lächelte ich ihm einfach nur zu und kam wieder auf unser ursprüngliches Thema zurück.

„Wie lange würden wir bis dahin brauchen?", fragte ich.

„Mit dem Bike circa eine Stunde."

Ich konnte es kaum erwarten endlich dort zu sein und die Wahrheit rauszufinden. Aber das Treffen war er nächste Woche Freitag und die lange Wartezeit würde meine Geduld deutlich auf die Probe stellen. Und währenddessen musste ich es auch irgendwie schaffen mich nicht von meinen Schuldgefühlen übermannen zu lassen.

Ich atmete frustriert aus und ließ mich rücklings aufs Bett fallen.

„Ich fühle mich so schlecht", stöhnte ich verzweifelt. Was war ich bloß für eine Freundin? Ich nutzte nicht nur Damiens Betrunkenheit aus, sondern auch noch seine Verletzlichkeit in unseren intimsten Momenten.

Plötzlich spürte ich, wie die Matratze neben mir einsank, als Tyler sich neben mich legte. Er sagte nichts, lag einfach nur da.

„Ich bin eine miese Freundin", murmelte ich. „Damien wird mich hassen, wenn er es rausfindet. Ich meine, ich kann's ihm nicht verübeln, aber-"

„Du bist keine miese Freundin", unterbrach mich Tyler. „Dir ist einfach Ehrlichkeit in einer Beziehung wichtig und daran ist nichts falsch." Er drehte sich auf die Seite, sodass er mich direkt angucken konnte. „Außerdem ist es unmöglich dich zu hassen."

Ich wandte mich ihm zu. Seine Worte verschlugen mir die Sprache und eine Weile blickten wir uns einfach nur stumm an. Ich räusperte mich und unterbrach unseren Augenkontakt, sobald ich merkte, wie absurd das Ganze war.

Ich lag mit Damiens bestem Freund in einem Bett und hörte mir Rechtfertigungen für meinen Vertrauensbruch an.

„Ich sollte jetzt gehen." Ich stand auf und machte mich bereit zu gehen. Aber sofort folgte mir Tyler.

„Warte, ich fahre dich. Es ist schon spät." Da es tatsächlich schon recht spät war und ich mich fürchtete im Dunkeln völlig allein nach Hause zu gehen ließ ich mich von Tyler nach Hause fahren.

Ich bedankte mich, sobald er vor meinem Haus hielt und stieg von seinem Motorrad ab.

„Denk dran: Du darfst dir morgen nichts anmerken lassen, hast du verstanden? Verhalte dich einfach ganz normal", wies er mich an.

Morgen war wieder Schule und das hieß auch, dass ich Damien wieder sehen würde. Und nach unserer Wiedervereinigung musste ich den Schein einer perfekten Beziehung aufrecht erhalten.

Ich schluckte schwer bei der Vorstellung. Der Gedanke daran bereitete mir ein mulmiges Gefühl im Magen. Tyler sah mich eindringlich an.

„Er darf nichts von unserem Vorhaben erfahren."

Ich nickte. „Ja, ich weiß."

Ab Morgen käme es dann wohl auf meine Schauspielkünste an. Das Schwerste wird es wohl sein, mit meinem Gewissen ins Reine zu kommen. Der Gedanke, dass Damien mein Vertrauen durch sein konsequentes Schweigen ebenfalls gebrochen hatte, half mir zumindest, mich nicht ganz so schuldig zu fühlen.

Dennoch nagte ein abstoßendes, schleimiges Gefühl des Verrats an mir. Aber es gab jetzt kein Zurück mehr. Und wenn es hieß, Damien noch eine Weile weiter anzulügen, der Wahrheit willen, dann würde ich es tun.

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„Du hast dich gestern raus geschlichen." Damien sah mich vorwurfsvoll an. Ich riskierte einen schnellen Blick auf Tyler der neben uns stand und zwang mir ein entschuldigendes Lächeln auf die Lippen, als ich mich Damien wieder zu wandte.

„Tut mir leid, ich musste gehen und wollte dich nicht wecken."

Für einen kurzen Augenblick sah er mich durch schmale Augen prüfend an, bevor sein Ausdruck wieder neutral wurde.

Ich versuchte seinem Blick aus dem Weg zu gehen. Er hatte irgendwas Unbehagliches an sich. Als ob er mich durchschauen würde. Auf einmal beugte er sich für einen Kuss runter und ich zuckte überrascht zurück.

Auf Damiens Gesicht, das nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war, erschien ein argwöhnischer Ausdruck und ich konnte nicht verhindern, nervös zu werden.

Ich konnte ihn jetzt nicht küssen. Ich fürchtete, er würde mir all die Lügen von den Lippen schmecken, wo sie einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen hatten. Ich konnte ihn nicht küssen, nachdem ich ihn in seiner Verletzlichkeit ausgenutzt und im Bett benutzt hatte, nur um ihn auszuschöpfen, um an sein Handy zu kommen. Und erst recht konnte ich nicht, weil ich wusste, dass ich ihm noch am Freitag hinterher spionieren würde.

Nachdem er mich ständig von alldem beschützen wollte, würde ich Hals über Kopf in diese Welt stürzen, aus der er mich raushalten wollte. Ich belog ihn und ich würde ihn auch weiterhin belügen müssen. Es war nicht fair, ihn dann weiterhin sorglos zu küssen, als wäre alles perfekt. Denn das war es nicht.

Damien runzelte die Stirn, als ich seinem Kuss auswich. „Geht's dir gut?"

„Bestens", lächelte ich gezwungen. Mein Blick flog für den Bruchteil einer Sekunde zu Tyler, der mir heimlich mit eindringlichem Kopfnicken symbolisierte Damien zu küssen.

Ich verfluchte mich innerlich. Ich durfte mir nichts anmerken lassen. Ich konnte nicht riskieren, so kurz vor der Wahrheit alles auffliegen zu lassen. Ich ignorierte mein inneres Sträuben und legte sanft meine Hände auf Damiens Wange, um ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken.

Es schmeckte nach Verrat und Betrug. Und ich war froh, als mich der Schulgong aus dieser Situation rettete.

„Wir sehen uns später", verabschiedete sich Damien von mir, bevor er zu seinem nächsten Kurs eilte und mich und Tyler alleine zurückließ.

„Was zum Teufel war das denn? Verstehst du das etwa unter ‚Lass dir nichts anmerken'?" Tyler sah mich wütend an.

„Es fühlt sich falsch an", gab ich kleinlaut zu und schlenderte in Richtung des Bioraumes. Tyler folgte mir.

„Mag ja sein, aber du musst das bis Freitag durchhalten."

Seine Wut verflog und wich einem mitleidigen Ton. „Ich weiß, dass es schwer für dich ist", sagte er sanft. Eine Hand legte sich warm auf meine Schulter. „Aber unser Plan hängt jetzt ganz von dir ab."

Ich atmete frustriert aus. Es beruhigte mich nicht gerade, zu wissen, dass alles davon abhing, wie gut ich Damien belog und ihm vorspielte es sei noch alles gut zwischen uns. Denn in Wahrheit war nichts mehr gut. Gar nichts. Und eine böse Vorahnung sagte mir, dass nach Freitag alles nur noch schlimmer werden würde.

DamienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt