„Du zitterst ja", murmelte Tyler besorgt, als wir wieder in der Garage bei seinem Motorrad waren.
Er hatte mich durch den Wald bis hier hin geführt und die Kälte der Dunkelheit hatte mich fest in seinen Klauen gefangen. Aber nicht nur die Nacht war es, die mich Zittern ließ, sondern auch die Kälte, die durch meine Adern schoss, als sich der Kuss immer wieder vor meinem inneren Auge abspielte.
Der Kuss, das Rennen, die Waffen, die Drohungen. Das alles wurde mir zu viel.
„Komm her", flüsterte mir Tyler zu, zog seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern. Er nahm mich in den Arm und seine Wärme war alles was ich im Moment brauchte.
Für einen Augenblick fühlte ich mich sicher, geborgen, beschützt – so, wie ich mich immer in Damiens Armen gefühlt hatte – aber nur für einen Augenblick. Dann kam die Kälte wieder, die mich erneut frösteln ließ.
Der Kuss wurde wie in Dauerschleife in meinem Kopf abgespielt und ich schaffte es einfach nicht es abzustellen. Die Blonde war groß und hübsch. Ihre Oberweite sprengte fast ihr enges rotes Kleid, das ihr nur knapp über den Po ging und ihre sinnlich rot geschminkten Lippen, waren zu einem koketten frechen Lächeln verzogen, bevor sie sie auf Damiens presste.
„Denk nicht so viel darüber nach." Tylers Stimme riss mich aus meinen unerwünschten Gedanken und ich sah träge zu ihm auf.
„Danke, daran hab ich ja noch gar nicht gedacht."
Meine Stimmte triefte vor Sarkasmus und alles was ich jetzt noch wollte, war nach Hause zu fahren und mich unter drei Schichten Decke zu verkriechen.
„Ich bin sicher, es gibt eine Erklärung dafür", versuchte er mich zu besänftigen.
„Oh? Vielleicht war das ja einfach sein Preis", gab ich spöttisch wieder, was Tyler mit einem Winken abtat.
„Ich kenne Damien. Er liebt dich abgöttisch und würde dir das niemals antun."
Mein Blick war hart und unnachgiebig, als ich ihm jetzt in die Augen sah. „Du kennst ihn?" Ich lachte spöttisch auf. „Wusstest du denn auch, dass er Schulden bei Kriminellen hatte? Dass er bei illegalen Straßenrennen mitgemacht hat? Dass sein Leben in ständiger Gefahr war?"
Tyler schwieg.
„Ich wusste das nämlich nicht und ich dachte auch, ich kenne ihn."
Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ich war immer noch überfordert von den Geschehnissen des Tages und immer noch verletzt von dem krönenden Abschluss. Ich hatte keine Lust mehr darüber nachzudenken.
Ich dachte, wenn ich die Wahrheit wüsste, würde alles einfacher werden, würde alles normal werden, würde alles wieder gut werden. Wie ich mich doch getäuscht hatte. Wie um alles in der Welt, sollte ich Damien jetzt noch normal gegenüber treten? Wie sollte ich ihm in die Augen sehen und die Wahrheit verleugnen? Dass er nämlich nicht nur ein Lügner war, sondern auch ein Krimineller.
„Kannst du es glauben? Kannst du glauben, dass Damien wirklich an sowas teilgenommen hat? Und das, weiß Gott wie oft?" Ich sah ihn aus hysterischen Augen an. „Die ganzen zehn Monate die er weg war und die Wochen, die er danach verschwunden war, ständig war er unter Kriminellen. Sie hatten Waffen. Und so wie sie ihn bedroht hatten, waren das wahrscheinlich skrupellose Mörder. Was ist, wenn Damien nicht nur an Rennen teilgenommen hat, sondern noch viel tiefer drin steckt, als wir denken?"
Tyler fuhr sich lautstark atmend durch seine schwarzen Haare. „Ich weiß es nicht, Tessa. Ich weiß nicht, was ich denken soll, was ich glauben soll. Wir hätten heute nicht herkommen sollen. Das war ein Fehler."
Ich schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Jetzt wissen wir wenigstens womit wir es zu tun haben."
„Und wie soll dir das bitte weiter helfen? Wie hilft dir irgendwas von dem was wir heute gesehen haben weiter? Macht es dein Leben leichter?" Er lachte auf. „Scheiße man, Tessa. Das ist schlimm. Das ist richtig schlimm."
Die Hysterie schien nun auch ihn zu überfallen und er ging nervös auf und ab.
Ich stellte mich vor ihn, um ihn vom hin und her gehen zu stoppen. Es machte mich genauso nervös.
„Das spielt jetzt eh keine Rolle mehr. Es ist vorbei. Damien ist raus."
Bei meinen Worten sah er mich mit schiefgelegtem Kopf an. Seine Augen glänzten zynisch. „Ach ja? Glaubst du die lassen ihn einfach so gehen?"
„Du nicht?", entgegnete ich und zitterte bei der Kälte, die mir durch die Glieder fuhr. Ich hatte ehrlich gedachte, Damien wäre raus. Aber Tylers Einwurf klang gefährlich plausibel. Würden sie ihn einfach so gehen lassen? Klar, er hatte seine Schulden anscheinend nun beglichen, aber würde das reichen, um ihn gehen zu lassen? Immerhin sprachen wir hier von gottverdammten Kriminellen, die Leute bedrohten und nicht davor zurückschreckten zu töten.
„Wir sollten jetzt von hier weg", sagte Tyler schließlich und schloss seine Jacke fester um mich. „Zieh sie dir vernünftig an, sonst erfrierst du."
Ich tat, was er mir sagte und seufzte leise auf bei der Wärme, die sie mir spendete. Gleich darauf setzte mir Tyler meinen Helm auf und schwang sich auf sein Bike. Sobald ich sicher hinter ihm saß und er ebenfalls seinen Helm trug, warf er mir einen kurzen Blick über die Schulter zu.
„Gut festhalten", schrie er und raste los.
Der Wind peitschte uns wild entgegen, als wir ungebremst durch die Straßen rasten. Mein Griff um Tylers Hüfte war fest, mein Körper hart gegen seinen gepresst. Ich genoss das Adrenalin, das mir durch die Adern pumpte, als Tyler sich nach vorne beugte und noch mehr an Tempo zulegte.
Ich wusste, dass es sein Weg war die Geschehnisse zu verarbeiten. Sich kurzzeitig abzulenken, seinen Kopf von allen Gedanken zu befreien und nur noch den Rausch der Geschwindigkeit zu spüren. Ich wusste es, weil es dieselbe Wirkung auf mich hatte. Deshalb war ich auch so enttäuscht, als er langsam sein Tempo drosselte, als wir meinem Haus immer näher kamen und schließlich komplett hielten.
„Da wären wir", murmelte er und klappte sein Visier hoch. Ich zog den Helm aus, stand auf und stellte mich mit dem Helm unterm Arm unschlüssig vor ihn hin.
Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wie es weiter gehen sollte.
„Ich weiß nicht, wie ich Damien gegenübertreten soll", gab ich ehrlich zu. „Soll ich ihn mit der Wahrheit konfrontieren? Soll ich es verschweigen? Weiter lügen? Ihm aus dem Weg gehen?"
Mein Blick schweifte unruhig umher, mein Schädel drohte von all den Gedanken zu platzen, die jetzt wieder auf mich einprasselten, seit das Adrenalin mich verlassen hatte.
„Ganz ruhig." Tyler griff nach meinen Schultern und das Gewicht seiner Hände beruhigte mich etwas. „Du gehst jetzt erst mal nach Hause, ruhst dich aus und morgen sehen wir weiter."
Ich nickte träge. „Okay."
„Gut."
Er versuchte sich an ein beruhigendes Lächeln. Es scheiterte.
„Behalt den Helm erst mal", sagte er mit einem knappen Nicken in meine Richtung. Er klappte sein Visier wieder runter und ich konnte mein erbärmliches Spiegelbild darin erkennen.
„Gute Nacht, Tyler", verabschiedete ich mich und winkte ihm zum Abschied zu.
„Gute Nacht, Tessa", sagte er, bevor sein Motor laut aufheulte und er in die Nacht davon brauste.

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Damien
Teen FictionZehn Monate war er weg ohne eine Nachricht. Tessa Jenkins hat sich nach Monaten des Kummers und Schmerzes damit abgefunden und beschlossen ihr Leben weiter zu leben. Dann taucht er aus dem Nichts wieder auf und lässt sie erneut starke Gefühlsausbrüc...