Thirty

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Angeline

Die Aufzugtüren öffneten sich, doch ich konnte mich kaum bewegen. Ich war einfach zu paralysiert, zu verängstigt, zu verhalten, aber ich zwang meine Beine, sich endlich in Bewegung zu setzen. Alles, was ich wollte, mich in einem Raum einzusperren, die Decke über meinen Kopf zu ziehen und einfach nur in meinen Tränen zu versinken.

Aber ich wusste, dass Nolan im Penthaus war und vermutlich auf mich wartete. Das tat er immer, selbst jetzt, wo ich ihm bewusst aus dem Weg ging. Ich hatte keine Ahnung, ob es ein möglicher Beschützerinstinkt war, oder ob das sein Versuch war, den Kontakt zu mir beizubehalten. So oder so hielt er jeden Abend daran fest, mich in Sicherheit zu wissen. Doch es war genau diese Sicherheit, die ich heute mehr denn je gebraucht hätte. Es war er, den ich heute gebraucht hätte.

Das Kent mich ungewollt angefasst hatte, hätte selbst Nolan nicht verhindern können. Doch wenn er bei mir gewesen wäre, dann hätte Kent mich niemals angefasst. Wenn Nolan bei mir gewesen wäre, dann hätte ich mich niemals so dreckig gefühlt wie in diesem Moment. Wenn Nolan bei mir gewesen wäre, dann hätte er mich zumindest auffangen können.

Jetzt, wo unser Verhältnis angespannt und kompliziert war, konnte ich nicht darauf bauen, ihn als meine Stütze zu haben. Dabei war er vermutlich der Einzige, den ich gerade brauchte. Nicht meine Mutter. Nicht mein Vater. Nicht Bree oder sonst jemand anderes. Nur Nolan. Er gab mir das Gefühl, sicher zu sein, obwohl ich nicht wusste, wieso. Und gerade war das, das einzige, was mich wieder runterbringen könnte.

Ich stellte mich vor die Eingangstür und schloss für einen Moment die Augen, um tief durchzuatmen. Selbst diese kleine Aufgabe schien eine größere Herausforderung zu sein als alles, was ich bisher durchmachen musste. Ich zwang meine Lungenflügel, sich zu weiten. Ich zwang sie, sich mit neuem Sauerstoff zu füllen. Dann zwang ich sie, sich zusammenzupressen und die Luft wieder zu entlassen. Das tat ich wieder und wieder, bis meine Atmung einigermaßen normal war.

Es war wichtig, einen möglichst normalen Eindruck beizubehalten. Wenn niemand wusste, dass es mir gerade beschissen ging, dann war es vielleicht auch gar nicht so schlimm. Das hoffte ich, denn dieses grauenvolle Gefühl in meinem Magen wollte einfach nicht verschwinden. Es verfolgte mich die ganze Fahrt über. Ich hatte bereits versucht, es abzuschütteln, aber es war, als hätten Kents Berührungen meine Haut gebrantmarkt.

Allein der Gedanke an diesen Mann ließ meine Panik wieder aufsteigen. Ich stützte mich zur Sicherheit am Türrahmen ab, weil ich das Gefühl bekam, gleich zusammenzusacken. Ich versuchte, ruhig weiterzuatmen. Mit Dringlichkeit presste ich meine freie Hand auf meine Brust, genau da, wo mein Herz unerbitterlich raste. Mein Puls war alles andere als ruhig, nein, es schien fast so, als ob mein Körper gerade um sein Überleben kämpfte. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn, die ich schnell wegwischte.

"Dir geht's gut", flüsterte ich zu mir selbst und verdrängte alle Erinnerungen an heute Abend. Meine Stimme klang rau, beinahe heiser, so als hätte ich die ganze Zeit über geschrien. Und vielleicht hatte ich das auch, nicht äußerlich, sondern viel mehr in meinem Inneren.

Ich schluckte und stieß mich vom Türrahmen ab. Vermutlich sah ich schrecklich aus, doch ich hatte nicht vor, Nolan jetzt zu begegnen. Nicht, weil ich ihn nicht gerade brauchte, denn das tat ich. Sondern viel eher weil ich mich schämte, und zwar für das, was passiert ist, und das, was passieren hätte können.

Wie um alles in der Welt hatte ich es so weit kommen lassen? Wieso hatte ich nicht sofort reagieren können? Wieso hatte ich seine Hand nicht sofort weggestoßen? Vielleicht hätte er mich dann nicht weiter bedrängt, vielleicht hätte er meine Ablehnung sofort bemerken können.

Das war alles meine Schuld.

Ich fasste mir an die Schläfe und versuchte diesen letzten Gedanken nicht zu sehr an mich heranzulassen, doch je mehr ich mich dagegen sträubte, desto klarer wurde es. Vielleicht hatte Kent recht, vielleicht hatte ich ihm irgendwelche Anzeichen gegeben, von denen ich nichts wusste. Vielleicht hatte ich ihn provoziert, ohne es zu bemerken.

The Warren-Games | (Broken Billionaires, #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt