2. Die beste Mitbewohnerin der Welt

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„Wie war das Date?", ruft mir meine Mitbewohnerin Rachel zu, während ich im Flur meine Schuhe von den Füßen streife und der Wohnungsschlüssel seinen Weg in die Schale auf der kleinen Kommode findet. Ich stecke meinen Kopf durch die Tür zum Wohnzimmer. Rachel sitzt in eine Decke eingedreht und mit einem Buch in der Hand auf der Couch.

Niedergeschlagen lasse ich mich neben sie plumpsen und schiebe meine kalten Füße mit unter die Decke. „Aah Chester, du hättest, glaube ich, echt 'ne Frau werden sollen. Wie kann man nur immer so kalte Mauken haben? Bitte sag mir, dass du jemanden gefunden hast, der in Zukunft deine Füße wärmt."

Ich kippe meinen Kopf in den Nacken auf die Rückenlehne. „Nope, weder jemanden für meine Füße, noch für mein Herz."
„Vielleicht solltest du deine Ansprüche mal etwas herunterschrauben."
„So wie du? Bei dir geht doch auch nichts unter Juniorpartner, oder?"

Nun klappt sie das Buch zu und legt es auf den Couchtisch. „Über mich reden wir hier aber nicht. Ich habe nur das Gefühl, dass du es in letzter Zeit ein bisschen mit den Verabredungen übertreibst. Du bist jung. Genieß das Leben. Jemanden für ewig an dich binden, kannst du später immer noch."

Ich kuschele mich in ihren Arm. Ich weiß, dass sie auf eine Weise recht hat, aber auf der anderen Seite ist es das, was ich mir immer gewünscht habe, das, was meine Eltern auch haben.

„Und jetzt erzähl. Was stimmte nicht mit ihm? War die Nase zu groß? Obwohl du weißt, was man über Nasen sagt." Sie bringt mich immer zum Lachen. Das ist Rachels Superkraft. Sowieso ist sie meine Heldin, denn obwohl sie niemanden mehr auf dieser Welt mehr hat, steht sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden.

„Er war ein Psychopath. Er hat mir seine Liebe gestanden. Nach einer halben Stunde. Kannst du das glauben? Na ja, und der andere wollte es nur mit mir treiben."

Rachel schiebt mich ein Stück von sich weg und sieht mich argwöhnisch an.
„Was war das für ein perverses Date? Ein
Dreier?"
„Ja, sozusagen", sage ich lachend. „Na ja, auf alle Fälle war es für uns alle 'ne Nullnummer."

„Das tut mir wirklich leid." Sie vergräbt ihre rot lackierten Fingernägel in meine braunen Haare und massiert meine Kopfhaut. Wenn Rachel doch nur was zwischen den Beinen hätte und keine Brüste, dann wäre sie der perfekte Mann für mich. Leider hatte sie meinen – nicht ganz ernst gemeinten – Vorschlag, sich operieren zu lassen, abgelehnt.

„Lust auf Pizza?", frage ich sie. „Nee, lieber Sushi... Ach, und wenn du sowieso aufstehst, da ist ein Brief für dich gekommen."
„Ein Brief? Warum sagst du das erst jetzt?" Schnell bin ich auf den Beinen, greife auf dem Weg zur Küche noch schnell nach der Sushi-Karte und reiße dann den Brief, der auf dem Küchentisch lag, auf.

„Rachel, ich habe ein Vorstellungsgespräch bei Brookman Enterprise... das Sushi geht auf mich." Freudestrahlend kehre ich ins Wohnzimmer zurück, wo ich in Rachels trauriges Gesicht blicke. „Soll ich dir jetzt Glück wünschen, oder nicht?", sagt sie beleidigt. „Wir werden uns doch trotzdem jeden Tag sehen."

Rachel ist nicht nur die beste Mitbewohnerin der Welt, sondern auch meine Kollegin. Mein Traum war es immer, Anwalt zu werden, leider hatte sich dieser Traum nach meinem miserablen Abschluss am College erledigt und so kam
ich auf die glorreiche Idee, Rechtsanwaltsfachangestellter zu werden.

Nur leider hat dieser Job nicht im Geringsten irgendetwas mit Recht zu tun. Eher mit Unrecht, denn man hat grauenhafte Arbeitszeiten, wird scheiße behandelt und obendrein noch schlecht bezahlt. Meine Aufstiegschancen sehen auch nicht gerade rosig aus, denn die Chefetage bevorzugt Sekretärinnen in kurzen Röcken und Pumps. Meine behaarten Beine kommen da einfach nicht besonders gut an.

Das hat mich dazu veranlasst, mich anderweitig umzusehen und ich habe mich auf ein paar Assistentenstellen – die immerhin gut bezahlt werden und mir hoffentlich ein wenig Respekt verschaffen – beworben.

Mit dem Sushi kann ich Rachel dann doch noch an diesem Abend versöhnlich stimmen und darf dann sogar später noch zu ihr ins Bett krabbeln.

Die nächsten zwei Arbeitstage lasse ich einfach über mich ergehen. Ich denke einfach nur an meine Pausen mit Rachel und den Mädels und an das bevorstehende Vorstellungsgespräch am Mittwoch. Neben dem Blind Date am kommenden Samstag ist dies der Lichtblick der Woche.

Ich habe mir für das Gespräch einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und eine ebenfalls blaue Krawatte rausgelegt. Jedoch bekomme ich meine braunen, strubbeligen Haare nicht richtig in den Griff und hoffe nur, dass es sich bei meinem potenziellen Arbeitgeber nicht um einen erzkonservativen alten Sack handelt, dem so etwas negativ aufstößt.

Wenn ich sagen würde, ich wäre entspannt an diesen Morgen, dann würde ich lügen. Mein letztes und bisher einziges Vorstellungsgespräch liegt Jahre zurück. Wobei die Tatsache, dass sie mich direkt genommen haben, ja schon für mich spricht.

Aber was mache ich mir überhaupt für Gedanken? Sie haben mich eingeladen, also sind sie auch an mir interessiert. Außerdem bin ich etwas neugierig, da ich heute hinter Mr. Brookmans Geheimnis kommen werde, denn ich konnte kein einziges Foto von ihm im Internet finden. Wahrscheinlich ist er einfach furchtbar hässlich. Hoffentlich entgleisen mir nicht die Gesichtszüge.

Vor dem Gebäude nehme ich nochmal einen tiefen Atemzug und richte meine Krawatte, bevor ich durch die Drehtür die Eingangshalle betrete und mich bei der Empfangsdame anmelde. Danach ruft sie mir den Aufzug, der mich in den in den obersten Stock bringen soll.

Auf der Fahrt nach oben streiche ich mir noch mal durch die Haare und betrachte mich im Spiegel. Dann öffnet sich mit einem Ping-Geräusch die Tür in meinem Rücken und meine Augen treffen im Spiegel auf seine.

Braunes, in Flammen stehendes Holz.

Wie in Zeitlupe drehe ich mich zu ihm um. „Du!", stelle ich völlig entsetzt fest, während seine Lippen nur ein amüsiertes Lächeln umspielt.

Date the boss - don't fall in loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt