12. Blind Date Nr. 2

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Ich gehe auf den Tisch zu und räuspere mich, denn der blonde Typ ist immer noch in die Karte in seinen Händen vertieft. Dann lässt er sie langsam sinken und das Blau seiner Augen zieht mich sofort in seinen Bann.

„Hey, ich bin Chester und du musst Phil sein", sage ich und reiche ihm die Hand. Zwischen seinen Lippen kommen strahlend weiße Zähne zum Vorschein, als er mich anlächelt. Die Haut der Hand, die er mir reicht, ist butterweich.

Heute scheint mein Glückstag zu sein, obwohl ich in letzter Zeit nicht gerade viel für mein Karmakonto getan habe.

„Hey Chester, schön dich kennenzulernen. Du bist echt 'ne Granate."

Hat er echt Granate gesagt? Na ja, das Kompliment klingt aus dem Mund eines so hübschen Mannes direkt viel besser.

Ich setze mich zu ihm an den Tisch und lege die Rose neben seine. „Haben die Herrschaften schon gewählt?", fragt die an den Tisch getretene Bedienung, kaum dass ich die Jacke über die Stuhllehne gehängt habe.

„Ähm, du hast schon einen Blick in die Karte geworfen? Weißt du, was du nimmst?" Phil nickt mir lächelnd zu. „Dann bekomme ich das gleiche wie er", sage ich zu der Kellnerin und zwinkere anschließend dem Blonden zu.

„Zwei kleine, stille Wasser, bitte."

Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet und auch wenn stille Wasser tief sind, gelüstet es mir gerade nach etwas anderem. „Oh also, wenn das so ist, nehme ich doch etwas anderes." Ich schlage die Karte auf und überfliege sie. „Einen Cappuccino und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne, bitte. Möchtest du auch? Ich lade dich ein." „Nein danke, ich bleibe bei dem Wasser."

Okay, ich will dieses Thema gar nicht weiter vertiefen, aber bevor ich eine meiner zweihundert bereitgelegten Fragen stellen kann, fühlt er sich wohl genötigt sich zu erklären.

„Ich will diese kapitalistische Gesellschaft einfach nicht unterstützen. Deshalb wäre es super, wenn du die Rechnung übernehmen würdest, damit ich meinen Moralvorstellungen treu bleiben kann."

Puh, ich nicke nur. Ich meine, was soll ich dazu sagen? Ist ja nicht so, als hätte ich ihn zu einer Shoppingtour durch die Designerläden der Stadt genötigt. Also kommen wir zu meiner ersten Frage. „Was denkst du, macht dich aus?"

Er streicht sich beim Nachdenken über das markante Kinn und ich schiebe die Gedanken, dass dieses Date keinen guten Einstieg genommen hat, beiseite.

„Ich bin zielstrebig, diszipliniert und bleibe meinen Prinzipien treu."

Gute Antwort auf meine Frage. Ich habe keine Einwende. Die Kellnerin bringt Phils stilles Wasser, meinen Cappuccino und den Kuchen.

„Willst du den Keks? Schließlich ist er geschenkt", frage ich ihn und reiche das Gebäck über den Tisch. „Nein, danke", sagt er und zieht dann meine Tasse, nach der ich soeben greifen wollte, zu sich. „Willst du das wirklich trinken?", flüstert er verschwörerisch über den Tisch.

Ich beuge mich zu ihm und flüstere ihm ebenfalls zu: „Warum nicht? Hat jemand etwas da hineingetan?" Er schaut mich an, als wüsste er nicht, was ich meine.

„Nein, aber es ist sinnlos, Kalorien über ein Getränk zu sich zunehmen. Weißt du, was für ein Nährwert dieser Cappuccino hat? Den Zucker auf der Untertasse mal nicht mit eingerechnet."

Ich lehne mich zurück und kann mir ein Augenrollen nur schwer verkneifen. „Kläre mich auf!", stöhne ich. „Also allein der Cappuccino hat schon 82 Kalorien."

„Oh mein Gott, das ist ja schrecklich." Meinem Gegenüber bleibt der Sarkasmus in meiner Stimme nicht verborgen. „Und jetzt?", frage ich grinsend, nachdem ich das Tütchen Zucker in die Tasse geschüttet habe. Phil findet das Ganze nicht mal halb so witzig wie ich.

„Um das wieder abzutrainieren, musst du fünfzehn Minuten joggen gehen. Außerdem nennt man Zucker nicht umsonst das weiße Gift. Du schaufelst dir dein eigenes Grab."

„Übertreibst du nicht ein wenig? Immerhin habe ich nicht das getan." Dann schiebe ich zwei gehäufte Teelöffel Zucker direkt in meinem Mund. Ein Fehler in jeglicher Hinsicht.

„Was stimmt nur nicht mit dir?"

„Wach mit mir niff timmt?", frage ich, während die Hälfte des Zuckers aus meinem Mund rieselt, bevor ich den Rest mit Mühe und Not runterwürge.

„Was stimmt nicht mit dir? Mr. Ich-bleibe-meinen-Prinzipien-treu? Ich meine, 'nen Job wirst du wohl haben, auf alle Fälle sieht dein Hemd nicht aus wie aus der Altkleidersammlung. Da ist es dann wohl nicht weit mit deinem Kampf gegen den Kapitalismus."

Fehler Nummer zwei!

Das nächste, was ich spüre, ist der Inhalt von Phils Glas in meinem Gesicht. Stille Wasser sind anscheinend tiefer als gedacht und auch nasser. „Wenigstens sehen meine Klamotten nicht aus, als wäre ich in einen Straßenkampf verwickelt gewesen", schnauzt er mich an, während er wutentbrannt an mir vorbeistapft.

„Das nennt man Used-Look", rufe ich ihm noch nach. „Danke für nichts", sage ich zu mir selbst und wische mir mit der Serviette durch das nasse Gesicht.

Blonde Männer sind anscheinend einfach nicht mein Fall. Das Date war sogar noch kürzer als das die Woche zuvor. Vielleicht sollte ich auf schwarzhaarige Typen umsteigen. Natürlich erscheint vor meinem inneren Auge das Bild von Mr. Brookman und viel zu lange lasse ich meine Gedanken in eine Richtung schweifen, die ich auf keinen Fall einschlagen sollte. Okay, dann halt Braunhaarige.

Oder hat Rachel vielleicht recht und ich sollte eine Pause einlegen? Sieben Dates in einem Monat. Zwar waren nicht alle so ein Desaster wie die letzten beiden, aber zu einem zweiten Treffen ist es nie gekommen. Liegt es vielleicht doch an mir? Bin ich zu kritisch? Verlange ich zu viel?

Aber ich will nicht mehr allein sein. Meine Augen füllen sich mit Tränen und ich starre auf das Stück Apfelkuchen. Jetzt sind es also nur noch wir beide.

Ich steche mit der Gabel in den Kuchen, teile mir ein großes Stück ab und führe es zum Mund. Zusammen mit meinem ganzen Frust schlucke ich es schließlich runter. Der Tag kann nur noch besser werden. Doch just in diesem Moment nimmt jemand den leeren Platz an meinem Tisch ein.

Date the boss - don't fall in loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt