21. Familiengeschichte

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Alleine die Überschrift verursacht bei mir Übelkeit.

Hat Mr. Brookmans Sohn seinen Vater aus Rache getötet?

Was geschah wirklich am Morgen des 14.09.2004? Derzeit geht die Polizei von einem Unfall aus, aber wer sagt, dass es sich nicht um einen geplanten Racheakt gehandelt hat? 1997 verstarben Mutter und Schwester auf mysteriöse Weise in Spanien. Der junge Adrian Brookman wuchs ab da alleine bei seinem Vater, einem knallharten Geschäftsmann, auf.

Vielleicht nutze dieser den Jagdausflug, um sich ein für alle Male von ihm zu befreien und das millionenschwere Unternehmen zu erben. Es sind Gerüchte im Umlauf, nach dem der junge Adrian seinen Vater mehrere Kilometer durch den Wald getrieben haben soll, bis er ihn schließlich rücklings erschoss und an Ort und Stelle verbluten ließ.

Werden wir die Wahrheit jemals erfahren? Oder müssen wir uns mit dem Gedanken abfinden, dass vielleicht ein weiterer Psychopath auf freiem Fuß ist?

Nachdem ich den Artikeln fertig gelesen habe, senke ich den Blick und starre auf die Tastatur. Ich weiß nicht, warum er mich zwingt, so etwas zu lesen. Ich weiß selbst, dass solche Artikel an den Haaren herbeigezogen sind.

„Bist du fertig?", schnauzt er mich mit zittriger Stimme an. „Ja, bin ich", flüstere ich.

„Ich sag dir jetzt mal, wie es war. Ich habe ihm nicht in den Rücken geschossen. Er hat mir die Waffe gegeben und ich habe damit rumgespielt. Als er meinen Namen gerufen hat, habe ich mich so erschreckt, dass sich ein Schuss gelöst hat, der ihn in den Bauch getroffen hat. Ich... ich bin so enttäuscht von dir."

Das Zittern in seiner Stimme erschüttert mich bis ins Mark, dafür brauche ich nicht mal in seine Augen zu schauen. Als ich aufblicke, sehe ich ihn nur noch von hinten. „Mary... Mrs. Roberts, ich arbeite heute von zuhause." Ich höre, wie sich seinen Schritte entfernen und dann die Türen des Fahrstuhls, wie sie sich schließen.

Ich habe es so vermasselt. Warum muss ich auch mit dem Rücken zur Tür sitzen? Würde mein Schreibtisch einfach normal im Raum stehen, wäre das nicht passiert. Ich starre noch mit tränenüberschwemmten Augen aus dem Fenster, als es am Türrahmen klopf. Schnell wische ich die Träne weg, die sich ihren Weg nach draußen gebahnt hat.

„Ich habe es verbockt, oder?", frage ich Mary, die im Türrahmen steht. „Allerdings."

Sie kommt auf mich zu und legt mir eine Hand auf den Rücken. „Wie lange kennst du Mr. Brookman? Weißt du, was damals wirklich passiert ist?" „Nicht hier", sagt sie und so gehen wir in die Küche und sie schließt die Tür.

„Ich kenne Adrian seit seiner Geburt. Ich habe vorher für seinen Vater gearbeitet. Ja, Mr. Brookman Senior war ein harter Brocken, ein strenger Vater und als seine Frau und seine süße Tochter bei dem Brand in Spanien ums Leben kamen, wurde er noch verbitterter. Aber ich glaube, dass er Adrian geliebt hat und Adrian ihn.

Der Jagdunfall war einfach eine Tragödie. Er musste mit ansehen, wie sein Vater verblutet, dann ist er zum Auto gerannt und hat Hilfe geholt, aber diese kam natürlich viel zu spät. Adrian wurde von da an von seiner Nanny großgezogen und von der Öffentlichkeit abgeschirmt.

Ich habe ihn erst neun Jahre später, als er das Unternehmen übernommen hat, wiedergesehen. Wenn man überlegt, was für eine schlimme Vergangenheit er hat, dann kann man ihn eigentlich nur noch mehr bewundern, wie er sein Leben meistert. Vielleicht siehst du jetzt einiges anders."

Mit diesen Worten lässt sie mich alleine in der Küche zurück. Ich weiß nicht. Ich betrachte die Sache mit gemischten Gefühlen. Natürlich hat er schlimme Dinge erlebt, aber kann das die Rechtfertigung für alles sein?

Eine Erklärung, ja vielleicht. Anscheinend berechtigt ihn aber eben dies, mich den restlichen Tag Verträge unten im Archiv digitalisieren zu lassen. Dies verrät mir nämlich die E-Mail, die mir entgegen springt, als ich wieder in mein Büro zurückkehre. So stehe ich tatsächlich bis tief in der Nacht im Archiv am Scanner, bis ich erneut eine Nachricht von Mr. Brookman erhalte.

Mach Feierabend, Chester, und ruh dich am Wochenende aus.

Mein Handy zeigt an, dass wir bereits nach 23 Uhr haben. Mein Gemütszustand schwank zwischen Erschöpfung, Traurigkeit und Wut.

Die beiden Erstgenannten lösen sich Gott sei Dank über Nacht in Luft auf. Schließlich habe ich bis elf Uhr geschlafen. Wütend bin ich allerdings immer noch auf Mr. Brookman wegen seiner hirnlosen Strafarbeit. Doch ich versuche nun mein Wochenende zu genießen. Wohl alleine, denn Rachel ist bereits unterwegs.

Nach einem ausgiebigen Frühstück führt mich mein Weg erstmal zum Handyladen, um das Display austauschen zu lassen. „Sie können es in zwei Stunden wieder abholen", sagt der Typ nach einem kurzen Blick auf die Vorderseite meines Telefons.

„Wirklich? Ihr Kollege hat letztes Mal den ganzen Tag gebraucht." Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Nein, nein. Das ist sozusagen eine Routineoperation."

Tja, nun stehe ich da, an einem Samstag ohne mein Handy, ohne ein Date und weiß nichts mit mir anzufangen. Heute ist es sehr frisch draußen und so beschließe ich doch wieder nach Hause zu gehen.

Ich klappe den Kragen meines Mantels hoch und vergrabe die Hände in meinen Taschen. Doch was ist das? Ich ziehe einen kleinen Zettel aus der rechten Tasche hervor und falte ihn auf. Sofort springt mir Johns Telefonnummer entgegen. Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben. Das ist dann wohl Schicksal.

Ich suche die nächste Telefonzelle auf und wähle seine Nummer. Ich habe Glück, er hat tatsächlich frei am heutigen Tag und auch Lust sich mit mir zu treffen. Weil ich der einfallslosestes Mensch aller Zeiten bin, verabreden wir uns im Glascafé, dem Ort meiner letzten misslungenen Dates. Ob das wohl ein Fehler ist?

Date the boss - don't fall in loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt